St. Catharina Lebewohl. Die "Rio Grande", ein gutes Vorzeichen, stand unter dem Kommando desselben Kapitäns, der uns 1884 nach Cuyaba gebracht hatte.
Den 31. Mai verbrachten wir in der Hafenstadt Rio Grande, fuhren den folgenden Tag mit einem Abstecher nach Pelotas und kamen am 4. Juni in Montevideo an. Mein Vetter und ich stiegen sofort auf einen argentinischen Dampfer, den mit raffinirtem Luxus ausgestatteten "Eolo" um, begierig so manches herzliche Wiedersehen, das unserer in Buenos Aires wartete, zu beschleunigen; bald folgten auch Ehrenreich und Vogel.
Fast zwei Wochen hatten wir in der Hauptstadt von Argentinien zu ver- weilen; erst dann kam der eigentliche Matogrosso-Dampfer. Wir benutzten den Aufenthalt, um einige Indianerstudien zu machen. In dem 11. Bataillon der Linien- infanterie wurden zwei Matako und ein Toba linguistisch und anthropologisch auf- genommen sowie photographirt. Einer ganz ausserordentlichen Liebenswürdigkeit hatten wir uns des deutschen Gesandten, des Freiherrn von Rotenhan, zu erfreuen, dessen Empfehlung wir auch die Erlaubniss verdankten, die Soldaten zu untersuchen.
Unter seiner Führung lernten wir die merkwürdige, durch Zauberschlag aus der Erde gestampfte Stadt La Plata kennen, das heisst eine "Stadt", wo das Bürgertum noch so gut wie fehlte, planmässig verteilt aber die grossartigsten Paläste und Regierungsgebäude bereits fertig in der Pampa standen. Leider liess die Ornamentik die fabrikmässige Herstellung nirgends verkennen. Köstlich er- schien uns Spöttern die Kathedrale, die aus Backstein gebaut zu schwindelnder Höhe emporsteigen soll: ein ungeheures Areal, mit den Ziegeluntersätzen der Pfeiler bestellt, und inmitten ein einsamer Arbeiter, der Kalk anrührte, während aus der Ferne ein Zweiter sinnend zuschaute. Wir wanderten staunend von Strasse zu Strasse oder richtiger von Gebäude zu Gebäude, verschafften uns einen flüchtigen Eindruck von den grossartigen Hafenanlagen, auf deren Ausführung die Zukunft der Stadt beruht, und gelangten durch einen überall durchscheinenden, mit entsetzlicher Regelmässigkeit gepflanzten, aber wegen der silbrig schimmernden Blätter dennoch hübschen Eucalyptuswald -- vor unserm geistigen Auge dämmerte trotz der exotischen Bäume etwas wie die Landschaft von Teltow und Lichterfelde auf -- zu dem neuen Provinzialmuseum. Freskogemälde in frischen glänzenden Farben schmückten die Vestibülrotunde: der Amerikaner der Vorzeit in Gesell- schaft fossiler Geschöpfe, moderne Pampasindianer, Eingeborene nach dem ersten Segelschiff ausschauend, das den Fluss heraufkam, andere Feuer durch Reibung entzündend, und Cordilleren-Landschaften. Die schönen Säle enthielten bereits eine Fülle von Schätzen: ausser einer modern naturhistorischen eine reiche pa- läontologische Sammlung von niedern Tieren und in besonderm Glanz zahlreiche Exemplare von Dinosaurium, Megatherium, Glyptodon, Toxodon, Macrauchenia und wie die Arten der tertiären patagonischen Säugetiere oder der Uebergangs- fauna nach dem Quartär hinüber alle heissen mögen, -- eine imposante Sammlung von Schädeln und Skeletten der ältesten menschlichen Einwohner bis zu den Patagoniern, die der Direktor Francisco P. Moreno für die letzten vorgeschichtlichen
St. Catharina Lebewohl. Die „Rio Grande“, ein gutes Vorzeichen, stand unter dem Kommando desselben Kapitäns, der uns 1884 nach Cuyabá gebracht hatte.
Den 31. Mai verbrachten wir in der Hafenstadt Rio Grande, fuhren den folgenden Tag mit einem Abstecher nach Pelotas und kamen am 4. Juni in Montevideo an. Mein Vetter und ich stiegen sofort auf einen argentinischen Dampfer, den mit raffinirtem Luxus ausgestatteten »Eolo« um, begierig so manches herzliche Wiedersehen, das unserer in Buenos Aires wartete, zu beschleunigen; bald folgten auch Ehrenreich und Vogel.
Fast zwei Wochen hatten wir in der Hauptstadt von Argentinien zu ver- weilen; erst dann kam der eigentliche Matogrosso-Dampfer. Wir benutzten den Aufenthalt, um einige Indianerstudien zu machen. In dem 11. Bataillon der Linien- infanterie wurden zwei Matako und ein Toba linguistisch und anthropologisch auf- genommen sowie photographirt. Einer ganz ausserordentlichen Liebenswürdigkeit hatten wir uns des deutschen Gesandten, des Freiherrn von Rotenhan, zu erfreuen, dessen Empfehlung wir auch die Erlaubniss verdankten, die Soldaten zu untersuchen.
Unter seiner Führung lernten wir die merkwürdige, durch Zauberschlag aus der Erde gestampfte Stadt La Plata kennen, das heisst eine »Stadt«, wo das Bürgertum noch so gut wie fehlte, planmässig verteilt aber die grossartigsten Paläste und Regierungsgebäude bereits fertig in der Pampa standen. Leider liess die Ornamentik die fabrikmässige Herstellung nirgends verkennen. Köstlich er- schien uns Spöttern die Kathedrale, die aus Backstein gebaut zu schwindelnder Höhe emporsteigen soll: ein ungeheures Areal, mit den Ziegeluntersätzen der Pfeiler bestellt, und inmitten ein einsamer Arbeiter, der Kalk anrührte, während aus der Ferne ein Zweiter sinnend zuschaute. Wir wanderten staunend von Strasse zu Strasse oder richtiger von Gebäude zu Gebäude, verschafften uns einen flüchtigen Eindruck von den grossartigen Hafenanlagen, auf deren Ausführung die Zukunft der Stadt beruht, und gelangten durch einen überall durchscheinenden, mit entsetzlicher Regelmässigkeit gepflanzten, aber wegen der silbrig schimmernden Blätter dennoch hübschen Eucalyptuswald — vor unserm geistigen Auge dämmerte trotz der exotischen Bäume etwas wie die Landschaft von Teltow und Lichterfelde auf — zu dem neuen Provinzialmuseum. Freskogemälde in frischen glänzenden Farben schmückten die Vestibülrotunde: der Amerikaner der Vorzeit in Gesell- schaft fossiler Geschöpfe, moderne Pampasindianer, Eingeborene nach dem ersten Segelschiff ausschauend, das den Fluss heraufkam, andere Feuer durch Reibung entzündend, und Cordilleren-Landschaften. Die schönen Säle enthielten bereits eine Fülle von Schätzen: ausser einer modern naturhistorischen eine reiche pa- läontologische Sammlung von niedern Tieren und in besonderm Glanz zahlreiche Exemplare von Dinosaurium, Megatherium, Glyptodon, Toxodon, Macrauchenia und wie die Arten der tertiären patagonischen Säugetiere oder der Uebergangs- fauna nach dem Quartär hinüber alle heissen mögen, — eine imposante Sammlung von Schädeln und Skeletten der ältesten menschlichen Einwohner bis zu den Patagoniern, die der Direktor Francisco P. Moreno für die letzten vorgeschichtlichen
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St. Catharina Lebewohl. Die „Rio Grande“, ein gutes Vorzeichen, stand unter
dem Kommando desselben Kapitäns, der uns 1884 nach Cuyabá gebracht hatte.
Den 31. Mai verbrachten wir in der Hafenstadt Rio Grande, fuhren den
folgenden Tag mit einem Abstecher nach Pelotas und kamen am 4. Juni in
Montevideo an. Mein Vetter und ich stiegen sofort auf einen argentinischen
Dampfer, den mit raffinirtem Luxus ausgestatteten »Eolo« um, begierig so manches
herzliche Wiedersehen, das unserer in Buenos Aires wartete, zu beschleunigen;
bald folgten auch Ehrenreich und Vogel.
Fast zwei Wochen hatten wir in der Hauptstadt von Argentinien zu ver-
weilen; erst dann kam der eigentliche Matogrosso-Dampfer. Wir benutzten den
Aufenthalt, um einige Indianerstudien zu machen. In dem 11. Bataillon der Linien-
infanterie wurden zwei Matako und ein Toba linguistisch und anthropologisch auf-
genommen sowie photographirt. Einer ganz ausserordentlichen Liebenswürdigkeit
hatten wir uns des deutschen Gesandten, des Freiherrn von Rotenhan, zu erfreuen,
dessen Empfehlung wir auch die Erlaubniss verdankten, die Soldaten zu untersuchen.
Unter seiner Führung lernten wir die merkwürdige, durch Zauberschlag aus
der Erde gestampfte Stadt La Plata kennen, das heisst eine »Stadt«, wo das
Bürgertum noch so gut wie fehlte, planmässig verteilt aber die grossartigsten
Paläste und Regierungsgebäude bereits fertig in der Pampa standen. Leider liess
die Ornamentik die fabrikmässige Herstellung nirgends verkennen. Köstlich er-
schien uns Spöttern die Kathedrale, die aus Backstein gebaut zu schwindelnder
Höhe emporsteigen soll: ein ungeheures Areal, mit den Ziegeluntersätzen der
Pfeiler bestellt, und inmitten ein einsamer Arbeiter, der Kalk anrührte, während
aus der Ferne ein Zweiter sinnend zuschaute. Wir wanderten staunend von
Strasse zu Strasse oder richtiger von Gebäude zu Gebäude, verschafften uns einen
flüchtigen Eindruck von den grossartigen Hafenanlagen, auf deren Ausführung
die Zukunft der Stadt beruht, und gelangten durch einen überall durchscheinenden,
mit entsetzlicher Regelmässigkeit gepflanzten, aber wegen der silbrig schimmernden
Blätter dennoch hübschen Eucalyptuswald — vor unserm geistigen Auge dämmerte
trotz der exotischen Bäume etwas wie die Landschaft von Teltow und Lichterfelde
auf — zu dem neuen Provinzialmuseum. Freskogemälde in frischen glänzenden
Farben schmückten die Vestibülrotunde: der Amerikaner der Vorzeit in Gesell-
schaft fossiler Geschöpfe, moderne Pampasindianer, Eingeborene nach dem ersten
Segelschiff ausschauend, das den Fluss heraufkam, andere Feuer durch Reibung
entzündend, und Cordilleren-Landschaften. Die schönen Säle enthielten bereits
eine Fülle von Schätzen: ausser einer modern naturhistorischen eine reiche pa-
läontologische Sammlung von niedern Tieren und in besonderm Glanz zahlreiche
Exemplare von Dinosaurium, Megatherium, Glyptodon, Toxodon, Macrauchenia
und wie die Arten der tertiären patagonischen Säugetiere oder der Uebergangs-
fauna nach dem Quartär hinüber alle heissen mögen, — eine imposante Sammlung
von Schädeln und Skeletten der ältesten menschlichen Einwohner bis zu den
Patagoniern, die der Direktor Francisco P. Moreno für die letzten vorgeschichtlichen
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/27>, abgerufen am 15.10.2024.
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