Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

diese Thüre als ob er sagen wollte: "nun habe ich hier noch ein kleines Kunst-
werk". Es befand sich dort ein Flechtwerk aus dünnen, querliegenden schwarzen
Reisern und vertikal gespanntem gelbem Stroh. Man erblickte zwei Reihen von
Quadraten zwischen drei Stangen, in diagonaler Richtung abwechselnd von links
oben nach rechts unten und von rechts oben nach links unten so geteilt, dass
jedes von ihnen durch ein schwarzes Reiserdreieck und ein gelbes Strohdreieck
zusammengesetzt war. Diese Dreiecke erklärte der Bakairi für "Schwalbenfedern"
"tariga yuchuto". Die tariga ist eine
schwarzgelbe Schwalbe*), während
die iri schwarzweiss ist. Offenbar
stellten die gelben Dreiecke des
Musters die Flügel dar. Es handelt
sich keineswegs um ein zufälliges
Muster, denn danach war weder
der besondere Hinweis, noch die
umgebenden Abbildungen, noch die
Zusammensetzung mit den Reisern
angethan. Allein jeder Zweifel
schwand, als der Indianer uns im
Innern von zwei Quadraten, die
sonst nur aus querliegenden Reisern
gebildet waren, mehrere schmale,
an und für sich ganz zwecklose
Flechttouren zeigte, wo ein wenig
gelbes Stroh aufgewickelt war, und
nun erklärte: "Kapivara-Zähne".
Zähne also von Hydrachoerus ca-
pybara oder Wasserschwein, dem
grossen Nagetier, das sich durch
gewaltige Schneidezähne, die Meissel
der Eingeborenen, auszeichnet. So
ungefähr konnte man zugeben, waren

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 64.

Kettenfigürchen. (1/2 nat. Gr.)

die Umrisse ähnlich, allein von selbst wäre kein Europäer auf diese richtige
Deutung verfallen. Endlich sahen wir im Künstlerhaus der Auetö einen geflochtenen
Streifen, den sie uns als "Fischgräten" bezeichneten. Es war dieselbe Figur
wie Nr. 5, Tafel 20.

Ich würde diese Beispiele schon früher bei den Zeichnungen und nicht hier
angeführt haben, wenn sie sich nicht an eigentümliche Flechtfiguren oder -püppchen
anschlössen, die wir bei den Nahuqua fanden. Von den beiden Abbildungen 65 und 66
ist die eine leicht verständlich und für den Kindergarten brauchbar, sie stellt eine

*) In meinem Buch "Die Bakairi-Sprache", p. 39, irrtümlich als halb schwarz, halb "weiss"
angegeben.

diese Thüre als ob er sagen wollte: »nun habe ich hier noch ein kleines Kunst-
werk«. Es befand sich dort ein Flechtwerk aus dünnen, querliegenden schwarzen
Reisern und vertikal gespanntem gelbem Stroh. Man erblickte zwei Reihen von
Quadraten zwischen drei Stangen, in diagonaler Richtung abwechselnd von links
oben nach rechts unten und von rechts oben nach links unten so geteilt, dass
jedes von ihnen durch ein schwarzes Reiserdreieck und ein gelbes Strohdreieck
zusammengesetzt war. Diese Dreiecke erklärte der Bakaïrí für »Schwalbenfedern«
tåríga yuchúto“. Die tåríga ist eine
schwarzgelbe Schwalbe*), während
die íri schwarzweiss ist. Offenbar
stellten die gelben Dreiecke des
Musters die Flügel dar. Es handelt
sich keineswegs um ein zufälliges
Muster, denn danach war weder
der besondere Hinweis, noch die
umgebenden Abbildungen, noch die
Zusammensetzung mit den Reisern
angethan. Allein jeder Zweifel
schwand, als der Indianer uns im
Innern von zwei Quadraten, die
sonst nur aus querliegenden Reisern
gebildet waren, mehrere schmale,
an und für sich ganz zwecklose
Flechttouren zeigte, wo ein wenig
gelbes Stroh aufgewickelt war, und
nun erklärte: »Kapivara-Zähne«.
Zähne also von Hydrachoerus ca-
pybara oder Wasserschwein, dem
grossen Nagetier, das sich durch
gewaltige Schneidezähne, die Meissel
der Eingeborenen, auszeichnet. So
ungefähr konnte man zugeben, waren

[Abbildung]
[Abbildung] Abb. 64.

Kettenfigürchen. (½ nat. Gr.)

die Umrisse ähnlich, allein von selbst wäre kein Europäer auf diese richtige
Deutung verfallen. Endlich sahen wir im Künstlerhaus der Auetö́ einen geflochtenen
Streifen, den sie uns als »Fischgräten« bezeichneten. Es war dieselbe Figur
wie Nr. 5, Tafel 20.

Ich würde diese Beispiele schon früher bei den Zeichnungen und nicht hier
angeführt haben, wenn sie sich nicht an eigentümliche Flechtfiguren oder -püppchen
anschlössen, die wir bei den Nahuquá fanden. Von den beiden Abbildungen 65 und 66
ist die eine leicht verständlich und für den Kindergarten brauchbar, sie stellt eine

*) In meinem Buch »Die Bakaïrí-Sprache«, p. 39, irrtümlich als halb schwarz, halb »weiss«
angegeben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0339" n="279"/>
diese Thüre als ob er sagen wollte: »nun habe ich hier noch ein kleines Kunst-<lb/>
werk«. Es befand sich dort ein Flechtwerk aus dünnen, querliegenden schwarzen<lb/>
Reisern und vertikal gespanntem gelbem Stroh. Man erblickte zwei Reihen von<lb/>
Quadraten zwischen drei Stangen, in diagonaler Richtung abwechselnd von links<lb/>
oben nach rechts unten und von rechts oben nach links unten so geteilt, dass<lb/>
jedes von ihnen durch ein schwarzes Reiserdreieck und ein gelbes Strohdreieck<lb/>
zusammengesetzt war. Diese Dreiecke erklärte der Bakaïrí für »Schwalbenfedern«<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#i">tåríga yuchúto</hi>&#x201C;. Die <hi rendition="#i">tåríga</hi> ist eine<lb/>
schwarzgelbe Schwalbe<note place="foot" n="*)">In meinem Buch »Die Bakaïrí-Sprache«, p. 39, irrtümlich als halb schwarz, halb »weiss«<lb/>
angegeben.</note>, während<lb/>
die <hi rendition="#i">íri</hi> schwarzweiss ist. Offenbar<lb/>
stellten die gelben Dreiecke des<lb/>
Musters die Flügel dar. Es handelt<lb/>
sich keineswegs um ein zufälliges<lb/>
Muster, denn danach war weder<lb/>
der besondere Hinweis, noch die<lb/>
umgebenden Abbildungen, noch die<lb/>
Zusammensetzung mit den Reisern<lb/>
angethan. Allein jeder Zweifel<lb/>
schwand, als der Indianer uns im<lb/>
Innern von zwei Quadraten, die<lb/>
sonst nur aus querliegenden Reisern<lb/>
gebildet waren, mehrere schmale,<lb/>
an und für sich ganz zwecklose<lb/>
Flechttouren zeigte, wo ein wenig<lb/>
gelbes Stroh aufgewickelt war, und<lb/>
nun erklärte: »Kapivara-Zähne«.<lb/>
Zähne also von Hydrachoerus ca-<lb/>
pybara oder Wasserschwein, dem<lb/>
grossen Nagetier, das sich durch<lb/>
gewaltige Schneidezähne, die Meissel<lb/>
der Eingeborenen, auszeichnet. So<lb/>
ungefähr konnte man zugeben, waren<lb/><figure/> <figure><head>Abb. 64. </head><p><hi rendition="#g">Kettenfigürchen</hi>. (½ nat. Gr.)</p></figure><lb/>
die Umrisse ähnlich, allein von selbst wäre kein Europäer auf diese richtige<lb/>
Deutung verfallen. Endlich sahen wir im Künstlerhaus der Auetö&#x0301; einen geflochtenen<lb/>
Streifen, den sie uns als »Fischgräten« bezeichneten. Es war dieselbe Figur<lb/>
wie Nr. 5, Tafel 20.</p><lb/>
          <p>Ich würde diese Beispiele schon früher bei den Zeichnungen und nicht hier<lb/>
angeführt haben, wenn sie sich nicht an eigentümliche Flechtfiguren oder -püppchen<lb/>
anschlössen, die wir bei den Nahuquá fanden. Von den beiden Abbildungen 65 und 66<lb/>
ist die eine leicht verständlich und für den Kindergarten brauchbar, sie stellt eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0339] diese Thüre als ob er sagen wollte: »nun habe ich hier noch ein kleines Kunst- werk«. Es befand sich dort ein Flechtwerk aus dünnen, querliegenden schwarzen Reisern und vertikal gespanntem gelbem Stroh. Man erblickte zwei Reihen von Quadraten zwischen drei Stangen, in diagonaler Richtung abwechselnd von links oben nach rechts unten und von rechts oben nach links unten so geteilt, dass jedes von ihnen durch ein schwarzes Reiserdreieck und ein gelbes Strohdreieck zusammengesetzt war. Diese Dreiecke erklärte der Bakaïrí für »Schwalbenfedern« „tåríga yuchúto“. Die tåríga ist eine schwarzgelbe Schwalbe *), während die íri schwarzweiss ist. Offenbar stellten die gelben Dreiecke des Musters die Flügel dar. Es handelt sich keineswegs um ein zufälliges Muster, denn danach war weder der besondere Hinweis, noch die umgebenden Abbildungen, noch die Zusammensetzung mit den Reisern angethan. Allein jeder Zweifel schwand, als der Indianer uns im Innern von zwei Quadraten, die sonst nur aus querliegenden Reisern gebildet waren, mehrere schmale, an und für sich ganz zwecklose Flechttouren zeigte, wo ein wenig gelbes Stroh aufgewickelt war, und nun erklärte: »Kapivara-Zähne«. Zähne also von Hydrachoerus ca- pybara oder Wasserschwein, dem grossen Nagetier, das sich durch gewaltige Schneidezähne, die Meissel der Eingeborenen, auszeichnet. So ungefähr konnte man zugeben, waren [Abbildung] [Abbildung Abb. 64. Kettenfigürchen. (½ nat. Gr.)] die Umrisse ähnlich, allein von selbst wäre kein Europäer auf diese richtige Deutung verfallen. Endlich sahen wir im Künstlerhaus der Auetö́ einen geflochtenen Streifen, den sie uns als »Fischgräten« bezeichneten. Es war dieselbe Figur wie Nr. 5, Tafel 20. Ich würde diese Beispiele schon früher bei den Zeichnungen und nicht hier angeführt haben, wenn sie sich nicht an eigentümliche Flechtfiguren oder -püppchen anschlössen, die wir bei den Nahuquá fanden. Von den beiden Abbildungen 65 und 66 ist die eine leicht verständlich und für den Kindergarten brauchbar, sie stellt eine *) In meinem Buch »Die Bakaïrí-Sprache«, p. 39, irrtümlich als halb schwarz, halb »weiss« angegeben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/339
Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/339>, abgerufen am 28.04.2024.