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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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es komme, dass die das Land mit Brand und Plünderung heimsuchenden Bororo,
sobald man einiger Individuen habhaft wurde, reiche Geschenke erhielten, und
dass er selbst mit seinen Stammesgenossen, die sich seit Generationen der schönsten
Friedfertigkeit befleissigt hatten, noch von seinem letzten Besuch des grossen
Kapitäns mit leeren Händen habe zurückkehren müssen.

Fast Alles, was wir aus brasilischen Quellen über die Westbakairi erfahren
können, findet sich in einem Bericht der Directoria dos Indios, vgl. den Auszug
im Anhang
, vom Jahre 1848 vereinigt.*) Die Bakairi des Paranatinga und Rio
Novo haben sich in ihren beiden armen Dörfern erhalten; sie wurden gelegentlich
von Goldsucherexpeditionen besucht, die alsdann eine kleine Massentaufe ver-
anstalteten und Syphilis und Masern einführten. An den Masern sind Viele zu
Grunde gegangen; nicht nur wird die bei uns verhältnissmässig harmlose Krank-

*) Im Jahrgang 1862 der Petermannschen Mittheilungen findet sich p. 437 ein Referat über
einen Aufsatz, den Dr. Amedee Moure in den "Nouvelles Annales des Voyages" über 33 Stämme der
Provinz Mato Grosso nach eigenen Erfahrungen und Erlebnissen veröffentlicht hat. Der Referent hat
die Angaben Dr. Moure's in einer nach Stamm, Kopfzahl nnd Wohnsitzen geordneten Tabelle über-
sichtlich vereinigt. Wir begegnen unter den Stämmen solchen, die mit einer Kopfzahl von 20,000,
30,000, ja 50,000 angesetzt sind. Addiert man die Minima und Maxima der Schätzungen zusammen,
so erhält man das Ergebniss, dass die Zahl der Indianer des Mato Grosso 241,800 bis 282,000 beträgt.
Wenn man heute die Gesamtzahl der matogrossenser Bevölkerung aller Farben, aller zahmen und
wilden Bewohner jeglicher Kulturstufe auf etwa 70,000 zu schätzen pflegt, so kommt man zweifellos der
Wahrheit um Vieles näher. Der Originalaufsatz von Dr. Moure (Nouvelles Annales des Voyages de la
geographie, de l'histoire et de l'archeologie, Tome II 1862 p. 5--19, 323--341, III p. 77--100, Paris)
enthält auch kleine sachliche Ungeheuerlichkeiten, wie z. B. die, dass die Cambixis, die in den Campos
dos Parecis wohnen und einen reinen Nu-Aruak-Dialekt haben, die peruanische Kechua-Sprache reden,
indessen sind viele Einzelheiten doch von solcher Bestimmtheit, dass eine gute Information zu Grunde
liegen musste. Die Quelle des Herrn Dr. Moure habe ich in Cuyaba wieder aufgefunden; sie bietet
buchstäblich und wörtlich den allergrössten Teil seiner sachlichen Angaben, weiss
aber nichts von den übertriebenen Zahlen, die man auch kaum vor einem Cuyabaner aussprechen
könnte, ohne ein ungläubiges Lächeln bei ihm hervorzurufen.
Diese Quelle ist das "Archiv" der "Directoria dos Indios", einer den 12. Mai 1846 in einem Gut-
achten des Präsidenten (vgl. Bd. IX der Rev. Trim; dieses zählt die damals bekannten Indianerdörfer
in der Zahl von 21 auf, ohne der Bakairi Erwähnung zu thun) beantragten Aufsichtsbehörde. Der
Direktor hat, um den Indianerhäuptlingen imponieren zu können, den Rang eines Brigadegenerals --
er war zu unserer Zeit ein bescheidener Bürger mit spärlichem Gehalt, dem indessen, wenn er zu
Grabe getragen wird, auch die seinem Rang gebührenden militärischen Ehren erwiesen werden. Das
Archiv, dessen Einsicht mir verstattet wurde, war ein dünnes Folioheft; die Aufzeichnungen begannen
mit dem 1. Oktober 1848. In der ersten Begeisterung hat der Direktor Joaquim · Alvez Ferreira
am 2. Dezember 1848 eine Uebersicht über 33 Stämme mit erläuternden Zusätzen zusammengestellt
und sich dadurch ein grosses Verdienst um seine Nachfolger erworben: Keiner gab sich später die
Mühe selbständig zu prüfen, und wenn man für die Behörden neuer Zahlennachweise bedurfte, schrieb
man vertrauensvoll den Bericht von 1848 ab. So beschränken sich auch Dr. Moure's eigene
Erfahrungen und Erlebnisse auf eine wortgetreue Uebersetzung des Aktenstücks; nur hat er die Seelen-
zahl von 13,020 verzwanzigfacht! Klassisch ist eine neue, sauber geschriebene Tabelle der
Direktorial-Akten vom 13. März 1872. Es war nötig geworden, den gewaltigen und allgemein be-
kannten Veränderungen, die der Paraguay-Krieg im Süden der Provinz hervorgerufen hatte, Rechnung
zu tragen. Von den 1848 unter No. 3--15 aufgezälten Stämmen wurden drei gestrichen, die Gesamt-
summe wurde von 13,020 auf 8670 herabgesetzt, dagegen wurde für die Stämme 1, 2, 16--33 der
alte Bericht wieder wörtlich abgeschrieben, sodass hier in den 24 Jahren kein Mensch geboren und
gestorben zu sein scheint.

es komme, dass die das Land mit Brand und Plünderung heimsuchenden Bororó,
sobald man einiger Individuen habhaft wurde, reiche Geschenke erhielten, und
dass er selbst mit seinen Stammesgenossen, die sich seit Generationen der schönsten
Friedfertigkeit befleissigt hatten, noch von seinem letzten Besuch des grossen
Kapitäns mit leeren Händen habe zurückkehren müssen.

Fast Alles, was wir aus brasilischen Quellen über die Westbakaïrí erfahren
können, findet sich in einem Bericht der Directoria dos Indios, vgl. den Auszug
im Anhang
, vom Jahre 1848 vereinigt.*) Die Bakaïrí des Paranatinga und Rio
Novo haben sich in ihren beiden armen Dörfern erhalten; sie wurden gelegentlich
von Goldsucherexpeditionen besucht, die alsdann eine kleine Massentaufe ver-
anstalteten und Syphilis und Masern einführten. An den Masern sind Viele zu
Grunde gegangen; nicht nur wird die bei uns verhältnissmässig harmlose Krank-

*) Im Jahrgang 1862 der Petermannschen Mittheilungen findet sich p. 437 ein Referat über
einen Aufsatz, den Dr. Amédée Moure in den »Nouvelles Annales des Voyages« über 33 Stämme der
Provinz Mato Grosso nach eigenen Erfahrungen und Erlebnissen veröffentlicht hat. Der Referent hat
die Angaben Dr. Moure’s in einer nach Stamm, Kopfzahl nnd Wohnsitzen geordneten Tabelle über-
sichtlich vereinigt. Wir begegnen unter den Stämmen solchen, die mit einer Kopfzahl von 20,000,
30,000, ja 50,000 angesetzt sind. Addiert man die Minima und Maxima der Schätzungen zusammen,
so erhält man das Ergebniss, dass die Zahl der Indianer des Mato Grosso 241,800 bis 282,000 beträgt.
Wenn man heute die Gesamtzahl der matogrossenser Bevölkerung aller Farben, aller zahmen und
wilden Bewohner jeglicher Kulturstufe auf etwa 70,000 zu schätzen pflegt, so kommt man zweifellos der
Wahrheit um Vieles näher. Der Originalaufsatz von Dr. Moure (Nouvelles Annales des Voyages de la
géographie, de l’histoire et de l’archéologie, Tome II 1862 p. 5—19, 323—341, III p. 77—100, Paris)
enthält auch kleine sachliche Ungeheuerlichkeiten, wie z. B. die, dass die Cambixis, die in den Campos
dos Parecis wohnen und einen reinen Nu-Aruak-Dialekt haben, die peruanische Kechua-Sprache reden,
indessen sind viele Einzelheiten doch von solcher Bestimmtheit, dass eine gute Information zu Grunde
liegen musste. Die Quelle des Herrn Dr. Moure habe ich in Cuyabá wieder aufgefunden; sie bietet
buchstäblich und wörtlich den allergrössten Teil seiner sachlichen Angaben, weiss
aber nichts von den übertriebenen Zahlen, die man auch kaum vor einem Cuyabaner aussprechen
könnte, ohne ein ungläubiges Lächeln bei ihm hervorzurufen.
Diese Quelle ist das »Archiv« der »Directoria dos Indios«, einer den 12. Mai 1846 in einem Gut-
achten des Präsidenten (vgl. Bd. IX der Rev. Trim; dieses zählt die damals bekannten Indianerdörfer
in der Zahl von 21 auf, ohne der Bakaïrí Erwähnung zu thun) beantragten Aufsichtsbehörde. Der
Direktor hat, um den Indianerhäuptlingen imponieren zu können, den Rang eines Brigadegenerals —
er war zu unserer Zeit ein bescheidener Bürger mit spärlichem Gehalt, dem indessen, wenn er zu
Grabe getragen wird, auch die seinem Rang gebührenden militärischen Ehren erwiesen werden. Das
Archiv, dessen Einsicht mir verstattet wurde, war ein dünnes Folioheft; die Aufzeichnungen begannen
mit dem 1. Oktober 1848. In der ersten Begeisterung hat der Direktor Joaquim · Alvez Ferreira
am 2. Dezember 1848 eine Uebersicht über 33 Stämme mit erläuternden Zusätzen zusammengestellt
und sich dadurch ein grosses Verdienst um seine Nachfolger erworben: Keiner gab sich später die
Mühe selbständig zu prüfen, und wenn man für die Behörden neuer Zahlennachweise bedurfte, schrieb
man vertrauensvoll den Bericht von 1848 ab. So beschränken sich auch Dr. Moure’s eigene
Erfahrungen und Erlebnisse auf eine wortgetreue Uebersetzung des Aktenstücks; nur hat er die Seelen-
zahl von 13,020 verzwanzigfacht! Klassisch ist eine neue, sauber geschriebene Tabelle der
Direktorial-Akten vom 13. März 1872. Es war nötig geworden, den gewaltigen und allgemein be-
kannten Veränderungen, die der Paraguay-Krieg im Süden der Provinz hervorgerufen hatte, Rechnung
zu tragen. Von den 1848 unter No. 3—15 aufgezälten Stämmen wurden drei gestrichen, die Gesamt-
summe wurde von 13,020 auf 8670 herabgesetzt, dagegen wurde für die Stämme 1, 2, 16—33 der
alte Bericht wieder wörtlich abgeschrieben, sodass hier in den 24 Jahren kein Mensch geboren und
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[389/0453] es komme, dass die das Land mit Brand und Plünderung heimsuchenden Bororó, sobald man einiger Individuen habhaft wurde, reiche Geschenke erhielten, und dass er selbst mit seinen Stammesgenossen, die sich seit Generationen der schönsten Friedfertigkeit befleissigt hatten, noch von seinem letzten Besuch des grossen Kapitäns mit leeren Händen habe zurückkehren müssen. Fast Alles, was wir aus brasilischen Quellen über die Westbakaïrí erfahren können, findet sich in einem Bericht der Directoria dos Indios, vgl. den Auszug im Anhang, vom Jahre 1848 vereinigt. *) Die Bakaïrí des Paranatinga und Rio Novo haben sich in ihren beiden armen Dörfern erhalten; sie wurden gelegentlich von Goldsucherexpeditionen besucht, die alsdann eine kleine Massentaufe ver- anstalteten und Syphilis und Masern einführten. An den Masern sind Viele zu Grunde gegangen; nicht nur wird die bei uns verhältnissmässig harmlose Krank- *) Im Jahrgang 1862 der Petermannschen Mittheilungen findet sich p. 437 ein Referat über einen Aufsatz, den Dr. Amédée Moure in den »Nouvelles Annales des Voyages« über 33 Stämme der Provinz Mato Grosso nach eigenen Erfahrungen und Erlebnissen veröffentlicht hat. Der Referent hat die Angaben Dr. Moure’s in einer nach Stamm, Kopfzahl nnd Wohnsitzen geordneten Tabelle über- sichtlich vereinigt. Wir begegnen unter den Stämmen solchen, die mit einer Kopfzahl von 20,000, 30,000, ja 50,000 angesetzt sind. Addiert man die Minima und Maxima der Schätzungen zusammen, so erhält man das Ergebniss, dass die Zahl der Indianer des Mato Grosso 241,800 bis 282,000 beträgt. Wenn man heute die Gesamtzahl der matogrossenser Bevölkerung aller Farben, aller zahmen und wilden Bewohner jeglicher Kulturstufe auf etwa 70,000 zu schätzen pflegt, so kommt man zweifellos der Wahrheit um Vieles näher. Der Originalaufsatz von Dr. Moure (Nouvelles Annales des Voyages de la géographie, de l’histoire et de l’archéologie, Tome II 1862 p. 5—19, 323—341, III p. 77—100, Paris) enthält auch kleine sachliche Ungeheuerlichkeiten, wie z. B. die, dass die Cambixis, die in den Campos dos Parecis wohnen und einen reinen Nu-Aruak-Dialekt haben, die peruanische Kechua-Sprache reden, indessen sind viele Einzelheiten doch von solcher Bestimmtheit, dass eine gute Information zu Grunde liegen musste. Die Quelle des Herrn Dr. Moure habe ich in Cuyabá wieder aufgefunden; sie bietet buchstäblich und wörtlich den allergrössten Teil seiner sachlichen Angaben, weiss aber nichts von den übertriebenen Zahlen, die man auch kaum vor einem Cuyabaner aussprechen könnte, ohne ein ungläubiges Lächeln bei ihm hervorzurufen. Diese Quelle ist das »Archiv« der »Directoria dos Indios«, einer den 12. Mai 1846 in einem Gut- achten des Präsidenten (vgl. Bd. IX der Rev. Trim; dieses zählt die damals bekannten Indianerdörfer in der Zahl von 21 auf, ohne der Bakaïrí Erwähnung zu thun) beantragten Aufsichtsbehörde. Der Direktor hat, um den Indianerhäuptlingen imponieren zu können, den Rang eines Brigadegenerals — er war zu unserer Zeit ein bescheidener Bürger mit spärlichem Gehalt, dem indessen, wenn er zu Grabe getragen wird, auch die seinem Rang gebührenden militärischen Ehren erwiesen werden. Das Archiv, dessen Einsicht mir verstattet wurde, war ein dünnes Folioheft; die Aufzeichnungen begannen mit dem 1. Oktober 1848. In der ersten Begeisterung hat der Direktor Joaquim · Alvez Ferreira am 2. Dezember 1848 eine Uebersicht über 33 Stämme mit erläuternden Zusätzen zusammengestellt und sich dadurch ein grosses Verdienst um seine Nachfolger erworben: Keiner gab sich später die Mühe selbständig zu prüfen, und wenn man für die Behörden neuer Zahlennachweise bedurfte, schrieb man vertrauensvoll den Bericht von 1848 ab. So beschränken sich auch Dr. Moure’s eigene Erfahrungen und Erlebnisse auf eine wortgetreue Uebersetzung des Aktenstücks; nur hat er die Seelen- zahl von 13,020 verzwanzigfacht! Klassisch ist eine neue, sauber geschriebene Tabelle der Direktorial-Akten vom 13. März 1872. Es war nötig geworden, den gewaltigen und allgemein be- kannten Veränderungen, die der Paraguay-Krieg im Süden der Provinz hervorgerufen hatte, Rechnung zu tragen. Von den 1848 unter No. 3—15 aufgezälten Stämmen wurden drei gestrichen, die Gesamt- summe wurde von 13,020 auf 8670 herabgesetzt, dagegen wurde für die Stämme 1, 2, 16—33 der alte Bericht wieder wörtlich abgeschrieben, sodass hier in den 24 Jahren kein Mensch geboren und gestorben zu sein scheint.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/453>, abgerufen am 28.04.2024.