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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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thörichter Weise nicht benutzt, als er das Dorf der nicht "Coroados", sondern
richtig "Bororo" genannten Stammesabteilung am Rio Cabacal besuchte. Bei
diesem Besuch, den er S. 169 ff. schildert, hätte er bemerken sollen, dass die
Indianer einen Dialekt der Sprache des kleinen frommen Sebastian redeten.
Wieder hat er seinen Martius zu Rate gezogen und dort S. 14 die "Bororos"
gefunden und hier 40 Wörter, die wirklich den Bororo am Cabacal gehören, ab-
geschrieben. Auch hier lässt uns sein Missgeschick die Quelle entdecken. Denn
die Wörter, von der Castelnau'schen Expedition aufgenommen, haben leider nicht
portugiesische, sondern französische Schreibweise, in der mehreren Doppelvokalen
eine ganz andere Aussprache zukommt als in der portugiesischen, und stimmen in
einer Weise überein, wie zwei voneinander unabhängige Aufnahmen niemals über-
einstimmen.

Einer der Wenigen, der die Identität der "Coroados" und Bororo, wie ich
später fand, richtig vorausgesetzt hat, ist der Baron Melgaco*) gewesen, ein
ebenso tüchtiger Präsident (zum ersten Mal 1851) als Geograph des Matogrosso.
"Die Coroados hausten im Quellgebiet des S. Lourenco; sie haben nichts gemein
mit denen des Paranabeckens; ich vermute es seien Bororo gewesen." Er hielt
sie nur für ausgestorben.

Bei den Verwechslungen, die im Lande selbst vorkommen, kann es nicht
Wunder nehmen, dass Martius von den Bororo sehr irrige Vorstellungen hat.
Er behandelt sie unter den Central-Tupi,**) er zweifelt selbst mit Recht, dass sie
einen Tupistamm darstellen, fällt aber dann den merkwürdigen Vorstellungen zum
Opfer, die früher über die Zusammensetzung von Indianerstämmen geherrscht
haben und die in seinem Lieblingswort "Colluvies gentium" am besten zum Aus-
druck kommen. "Es ist wahrscheinlich, dass unter Bororos überhaupt feindliche
Indianer, ohne bestimmte Namensbezeichnung, ja vielleicht mitunter wohl auch
eine Colluvies gentium begriffen werde, die ohne scharf ausgeprägte und fest-
gehaltene Nationalität in Sprache, Sitten und körperlicher Erscheinung, bis auf
kleine Banden ohne festen Wohnort zerteilt, plündernd und mordend umher-
schweifen. In Mato Grosso und Goyaz mögen allerdings solchen räuberischen
Gemeinschaften Individuen vom Tupistamme zu Grunde liegen. Indem sich aber
denselben andere Indianer angeschlossen, haben sie ihre Sprache gleichsam zu
einem Diebs-Idiome (!) umgeändert. Bei Cazal (Corografia brasilica p. 302) werden
zwei Horden Bororos: die Coroados oder Geschorenen und die Barbados, Bärtigen,
angeführt. Die ersteren sind keine Schiffahrer, sondern nomadische Jäger, die
südlich und südwestlich von der Stadt Cuyaba in unzugänglichen Einöden an
den Quellen des Rio de S. Lourenco und des Rio dos Mortes
, eines
Tributärs des Araguaya, hausen sollen." Diese Angaben von Cazal sind völlig
genau und zutreffend und auch er erkannte also die "Coroados" als Bororo. Unter

*) Revista Trimensal Bd. 47 p. 396. Baron Melgaco hiess mit seinem bürgerlichen Namen
Aug. Leverger und war französischer Abstammung.
**) Zur Ethnographie Amerika's, p. 209 ff., p. 263 Leipzig 1867.

thörichter Weise nicht benutzt, als er das Dorf der nicht »Coroados«, sondern
richtig »Bororó« genannten Stammesabteilung am Rio Cabaçal besuchte. Bei
diesem Besuch, den er S. 169 ff. schildert, hätte er bemerken sollen, dass die
Indianer einen Dialekt der Sprache des kleinen frommen Sebastian redeten.
Wieder hat er seinen Martius zu Rate gezogen und dort S. 14 die »Bororós«
gefunden und hier 40 Wörter, die wirklich den Bororó am Cabaçal gehören, ab-
geschrieben. Auch hier lässt uns sein Missgeschick die Quelle entdecken. Denn
die Wörter, von der Castelnau’schen Expedition aufgenommen, haben leider nicht
portugiesische, sondern französische Schreibweise, in der mehreren Doppelvokalen
eine ganz andere Aussprache zukommt als in der portugiesischen, und stimmen in
einer Weise überein, wie zwei voneinander unabhängige Aufnahmen niemals über-
einstimmen.

Einer der Wenigen, der die Identität der »Coroados« und Bororó, wie ich
später fand, richtig vorausgesetzt hat, ist der Baron Melgaço*) gewesen, ein
ebenso tüchtiger Präsident (zum ersten Mal 1851) als Geograph des Matogrosso.
»Die Coroados hausten im Quellgebiet des S. Lourenço; sie haben nichts gemein
mit denen des Paranabeckens; ich vermute es seien Bororó gewesen.« Er hielt
sie nur für ausgestorben.

Bei den Verwechslungen, die im Lande selbst vorkommen, kann es nicht
Wunder nehmen, dass Martius von den Bororó sehr irrige Vorstellungen hat.
Er behandelt sie unter den Central-Tupí,**) er zweifelt selbst mit Recht, dass sie
einen Tupístamm darstellen, fällt aber dann den merkwürdigen Vorstellungen zum
Opfer, die früher über die Zusammensetzung von Indianerstämmen geherrscht
haben und die in seinem Lieblingswort »Colluvies gentium« am besten zum Aus-
druck kommen. »Es ist wahrscheinlich, dass unter Bororós überhaupt feindliche
Indianer, ohne bestimmte Namensbezeichnung, ja vielleicht mitunter wohl auch
eine Colluvies gentium begriffen werde, die ohne scharf ausgeprägte und fest-
gehaltene Nationalität in Sprache, Sitten und körperlicher Erscheinung, bis auf
kleine Banden ohne festen Wohnort zerteilt, plündernd und mordend umher-
schweifen. In Mato Grosso und Goyaz mögen allerdings solchen räuberischen
Gemeinschaften Individuen vom Tupístamme zu Grunde liegen. Indem sich aber
denselben andere Indianer angeschlossen, haben sie ihre Sprache gleichsam zu
einem Diebs-Idiome (!) umgeändert. Bei Cazal (Corografia brasilica p. 302) werden
zwei Horden Bororós: die Coroados oder Geschorenen und die Barbados, Bärtigen,
angeführt. Die ersteren sind keine Schiffahrer, sondern nomadische Jäger, die
südlich und südwestlich von der Stadt Cuyabá in unzugänglichen Einöden an
den Quellen des Rio de S. Lourenço und des Rio dos Mortes
, eines
Tributärs des Araguaya, hausen sollen.« Diese Angaben von Cazal sind völlig
genau und zutreffend und auch er erkannte also die »Coroados« als Bororó. Unter

*) Revista Trimensal Bd. 47 p. 396. Baron Melgaço hiess mit seinem bürgerlichen Namen
Aug. Leverger und war französischer Abstammung.
**) Zur Ethnographie Amerika’s, p. 209 ff., p. 263 Leipzig 1867.
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[444/0508] thörichter Weise nicht benutzt, als er das Dorf der nicht »Coroados«, sondern richtig »Bororó« genannten Stammesabteilung am Rio Cabaçal besuchte. Bei diesem Besuch, den er S. 169 ff. schildert, hätte er bemerken sollen, dass die Indianer einen Dialekt der Sprache des kleinen frommen Sebastian redeten. Wieder hat er seinen Martius zu Rate gezogen und dort S. 14 die »Bororós« gefunden und hier 40 Wörter, die wirklich den Bororó am Cabaçal gehören, ab- geschrieben. Auch hier lässt uns sein Missgeschick die Quelle entdecken. Denn die Wörter, von der Castelnau’schen Expedition aufgenommen, haben leider nicht portugiesische, sondern französische Schreibweise, in der mehreren Doppelvokalen eine ganz andere Aussprache zukommt als in der portugiesischen, und stimmen in einer Weise überein, wie zwei voneinander unabhängige Aufnahmen niemals über- einstimmen. Einer der Wenigen, der die Identität der »Coroados« und Bororó, wie ich später fand, richtig vorausgesetzt hat, ist der Baron Melgaço *) gewesen, ein ebenso tüchtiger Präsident (zum ersten Mal 1851) als Geograph des Matogrosso. »Die Coroados hausten im Quellgebiet des S. Lourenço; sie haben nichts gemein mit denen des Paranabeckens; ich vermute es seien Bororó gewesen.« Er hielt sie nur für ausgestorben. Bei den Verwechslungen, die im Lande selbst vorkommen, kann es nicht Wunder nehmen, dass Martius von den Bororó sehr irrige Vorstellungen hat. Er behandelt sie unter den Central-Tupí, **) er zweifelt selbst mit Recht, dass sie einen Tupístamm darstellen, fällt aber dann den merkwürdigen Vorstellungen zum Opfer, die früher über die Zusammensetzung von Indianerstämmen geherrscht haben und die in seinem Lieblingswort »Colluvies gentium« am besten zum Aus- druck kommen. »Es ist wahrscheinlich, dass unter Bororós überhaupt feindliche Indianer, ohne bestimmte Namensbezeichnung, ja vielleicht mitunter wohl auch eine Colluvies gentium begriffen werde, die ohne scharf ausgeprägte und fest- gehaltene Nationalität in Sprache, Sitten und körperlicher Erscheinung, bis auf kleine Banden ohne festen Wohnort zerteilt, plündernd und mordend umher- schweifen. In Mato Grosso und Goyaz mögen allerdings solchen räuberischen Gemeinschaften Individuen vom Tupístamme zu Grunde liegen. Indem sich aber denselben andere Indianer angeschlossen, haben sie ihre Sprache gleichsam zu einem Diebs-Idiome (!) umgeändert. Bei Cazal (Corografia brasilica p. 302) werden zwei Horden Bororós: die Coroados oder Geschorenen und die Barbados, Bärtigen, angeführt. Die ersteren sind keine Schiffahrer, sondern nomadische Jäger, die südlich und südwestlich von der Stadt Cuyabá in unzugänglichen Einöden an den Quellen des Rio de S. Lourenço und des Rio dos Mortes, eines Tributärs des Araguaya, hausen sollen.« Diese Angaben von Cazal sind völlig genau und zutreffend und auch er erkannte also die »Coroados« als Bororó. Unter *) Revista Trimensal Bd. 47 p. 396. Baron Melgaço hiess mit seinem bürgerlichen Namen Aug. Leverger und war französischer Abstammung. **) Zur Ethnographie Amerika’s, p. 209 ff., p. 263 Leipzig 1867.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/508>, abgerufen am 12.05.2024.