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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Verwandtschaft mit andern bekannten Idiomen finden können. Jedenfalls ge-
hören die Bororo weder zu den Tupi noch zu den Ges, an die man zunächst
denken möchte. Es wäre auch nicht weiter wunderbar, wenn alles Bemühen
ergebnislos bleiben würde, weil die Nachbarschaft ihres Gebietes in weitem Um-
fange schon seit der ersten Besiedelung der Matogrosso sehr unruhige Zeitläufte
erlebt hat. Im Norden zieht sich die Strasse nach Goyaz hin, die sie oft mit
ihren Ueberfällen beunruhigt haben, im Süden erfolgte der Zuzug der Entdecker
von der Provinz S. Paulo her, und hier wie dort haben langjährige Sklaven-
jagden stattgefunden.

Die Sprache ist wohllautend und für uns anscheinend leicht zu erlernen.
Von Konsonanten fehlt nur f, abgesehen von fatoguro, Speichel, Doppelkonsonanten
sind selten, der Auslaut ist vokalisch. Der Accent liegt im Allgemeinen auf
der vorletzten Silbe. Eine Pluralendung für das Substantivum ist nicht vor-
handen. Die selbständigen Personalpronomina lauten: 1. imi ich, 2. aki du,
3. ema, au er, 4. pagi wir, 5. tagi ihr, 6. emagi sie. Die entsprechenden Pro-
nominalsuffixe für Substantivum und Verbum sind:
1. i-, 2. a-, 3. --, 4. pa-, 5. te-, 6. e-.

Bei ihrem Gebrauche treten verschiedene Formen des Lautwandels und
Einflüsse auf den Stammanlaut zu Tage. Ich gebe ein paar vorläufige Beispiele:

[Tabelle]

Die Zahlen gehen nach dem Schema der Bakairi: 1, 2, 2 .. 1, 2 .. 2,
2 .. 2 .. 1, 2 .. 2 .. 2. 1 heisst mito, 2 pobe. Wenn diese jedoch in den folgenden
Zahlausdrücken erscheinen, so erhalten sie Zusätze, aus denen wir die Pro-
nomina der dritten Person ema und au (dieser) abscheiden können. In der 3
ist noch die Negation bokua, bokuare enthalten: pobema au metuya (auch metia)
bokuare und sie scheint zu bedeuten: hier habe ich 2, dort nicht mehr als 1.
4 pobema augüre pobe hier zwei, dort auch zwei, 5 pobema augüre pobema au
metuya bokuare
, 6 augüre pobema augüre pobema augüre pobe. Mit Körnern wurde
die Zweier-Häufchenbildung genau ebenso wie bei den Bakairi gemacht und
wurden ebenso die Finger jedesmal zu Rate gezogen. Mein Wunsch, die Zahlwörter
zu erfahren, wurde immer und ausnahmslos so gedeutet, als ob ich eine Auf-
zählung der Verwandten wünsche. Der Betreffende schlug sich auf die Brust,
sagte "ich" und zählte Mutter, Vater, Mädchen, Junge mit oder ohne Beifügung
von 1 und 2, indem er dabei jedem Finger ein Familienmitglied zuordnete.
Ob die Finger als solche Verwandtennamen haben, konnte ich nicht erfahren;
ich glaubte im Anfang der Daumen sei Mutter, bin darin aber irre geworden,

Verwandtschaft mit andern bekannten Idiomen finden können. Jedenfalls ge-
hören die Bororó weder zu den Tupí noch zu den Gēs, an die man zunächst
denken möchte. Es wäre auch nicht weiter wunderbar, wenn alles Bemühen
ergebnislos bleiben würde, weil die Nachbarschaft ihres Gebietes in weitem Um-
fange schon seit der ersten Besiedelung der Matogrosso sehr unruhige Zeitläufte
erlebt hat. Im Norden zieht sich die Strasse nach Goyaz hin, die sie oft mit
ihren Ueberfällen beunruhigt haben, im Süden erfolgte der Zuzug der Entdecker
von der Provinz S. Paulo her, und hier wie dort haben langjährige Sklaven-
jagden stattgefunden.

Die Sprache ist wohllautend und für uns anscheinend leicht zu erlernen.
Von Konsonanten fehlt nur f, abgesehen von fatogúro, Speichel, Doppelkonsonanten
sind selten, der Auslaut ist vokalisch. Der Accent liegt im Allgemeinen auf
der vorletzten Silbe. Eine Pluralendung für das Substantivum ist nicht vor-
handen. Die selbständigen Personalpronomina lauten: 1. imi ich, 2. aki du,
3. ema, au er, 4. pagi wir, 5. tagi ihr, 6. emagi sie. Die entsprechenden Pro-
nominalsuffixe für Substantivum und Verbum sind:
1. i-, 2. a-, 3. —, 4. pa-, 5. te-, 6. e-.

Bei ihrem Gebrauche treten verschiedene Formen des Lautwandels und
Einflüsse auf den Stammanlaut zu Tage. Ich gebe ein paar vorläufige Beispiele:

[Tabelle]

Die Zahlen gehen nach dem Schema der Bakaïrí: 1, 2, 2 ‥ 1, 2 ‥ 2,
2 ‥ 2 ‥ 1, 2 ‥ 2 ‥ 2. 1 heisst mito, 2 pobe. Wenn diese jedoch in den folgenden
Zahlausdrücken erscheinen, so erhalten sie Zusätze, aus denen wir die Pro-
nomina der dritten Person ema und au (dieser) abscheiden können. In der 3
ist noch die Negation bókua, bokuáre enthalten: pobéma áu metúya (auch metía)
bokuáre und sie scheint zu bedeuten: hier habe ich 2, dort nicht mehr als 1.
4 pobéma aúgüre pobe hier zwei, dort auch zwei, 5 pobéma aúgüre pobéma áu
metúya bokuáre
, 6 aúgüre pobéma aúgüre pobéma aúgüre póbe. Mit Körnern wurde
die Zweier-Häufchenbildung genau ebenso wie bei den Bakaïrí gemacht und
wurden ebenso die Finger jedesmal zu Rate gezogen. Mein Wunsch, die Zahlwörter
zu erfahren, wurde immer und ausnahmslos so gedeutet, als ob ich eine Auf-
zählung der Verwandten wünsche. Der Betreffende schlug sich auf die Brust,
sagte »ich« und zählte Mutter, Vater, Mädchen, Junge mit oder ohne Beifügung
von 1 und 2, indem er dabei jedem Finger ein Familienmitglied zuordnete.
Ob die Finger als solche Verwandtennamen haben, konnte ich nicht erfahren;
ich glaubte im Anfang der Daumen sei Mutter, bin darin aber irre geworden,

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[517/0593] Verwandtschaft mit andern bekannten Idiomen finden können. Jedenfalls ge- hören die Bororó weder zu den Tupí noch zu den Gēs, an die man zunächst denken möchte. Es wäre auch nicht weiter wunderbar, wenn alles Bemühen ergebnislos bleiben würde, weil die Nachbarschaft ihres Gebietes in weitem Um- fange schon seit der ersten Besiedelung der Matogrosso sehr unruhige Zeitläufte erlebt hat. Im Norden zieht sich die Strasse nach Goyaz hin, die sie oft mit ihren Ueberfällen beunruhigt haben, im Süden erfolgte der Zuzug der Entdecker von der Provinz S. Paulo her, und hier wie dort haben langjährige Sklaven- jagden stattgefunden. Die Sprache ist wohllautend und für uns anscheinend leicht zu erlernen. Von Konsonanten fehlt nur f, abgesehen von fatogúro, Speichel, Doppelkonsonanten sind selten, der Auslaut ist vokalisch. Der Accent liegt im Allgemeinen auf der vorletzten Silbe. Eine Pluralendung für das Substantivum ist nicht vor- handen. Die selbständigen Personalpronomina lauten: 1. imi ich, 2. aki du, 3. ema, au er, 4. pagi wir, 5. tagi ihr, 6. emagi sie. Die entsprechenden Pro- nominalsuffixe für Substantivum und Verbum sind: 1. i-, 2. a-, 3. —, 4. pa-, 5. te-, 6. e-. Bei ihrem Gebrauche treten verschiedene Formen des Lautwandels und Einflüsse auf den Stammanlaut zu Tage. Ich gebe ein paar vorläufige Beispiele: Die Zahlen gehen nach dem Schema der Bakaïrí: 1, 2, 2 ‥ 1, 2 ‥ 2, 2 ‥ 2 ‥ 1, 2 ‥ 2 ‥ 2. 1 heisst mito, 2 pobe. Wenn diese jedoch in den folgenden Zahlausdrücken erscheinen, so erhalten sie Zusätze, aus denen wir die Pro- nomina der dritten Person ema und au (dieser) abscheiden können. In der 3 ist noch die Negation bókua, bokuáre enthalten: pobéma áu metúya (auch metía) bokuáre und sie scheint zu bedeuten: hier habe ich 2, dort nicht mehr als 1. 4 pobéma aúgüre pobe hier zwei, dort auch zwei, 5 pobéma aúgüre pobéma áu metúya bokuáre, 6 aúgüre pobéma aúgüre pobéma aúgüre póbe. Mit Körnern wurde die Zweier-Häufchenbildung genau ebenso wie bei den Bakaïrí gemacht und wurden ebenso die Finger jedesmal zu Rate gezogen. Mein Wunsch, die Zahlwörter zu erfahren, wurde immer und ausnahmslos so gedeutet, als ob ich eine Auf- zählung der Verwandten wünsche. Der Betreffende schlug sich auf die Brust, sagte »ich« und zählte Mutter, Vater, Mädchen, Junge mit oder ohne Beifügung von 1 und 2, indem er dabei jedem Finger ein Familienmitglied zuordnete. Ob die Finger als solche Verwandtennamen haben, konnte ich nicht erfahren; ich glaubte im Anfang der Daumen sei Mutter, bin darin aber irre geworden,

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/593>, abgerufen am 28.04.2024.