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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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lösen, weil er sie sich nicht stellen konnte; und er konnte sie
sich nicht stellen, weil er sie schon gelöst zu haben meinte, in-
dem er zeigte, "wie sich die Substanz in der Thätigkeit äußert."
Denn nach ihm wird, "was ein Ding thut, von seinem Be-
griffe geurtheilt." (S. 145). "Auf diesen Act der Sache, den
der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver-
knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus." Und dies hängt
zusammen mit Trendelenburgs metaphysisch-logischem Principe.
Er hat Hegel umgedreht. Hegel meint: weil wir die Kategorien
im reinen Begriffe denken, darum sind sie in der Welt der Wirk-
lichkeit objectiv vorhanden; denn der Begriff schlägt um ins
Object, die Idee erzeugt, entläßt aus sich die Natur. Trende-
lenburg dreht dies Verhältniß, welches wohl auf göttliches Den-
ken anwendbar sei, rücksichtlich des menschlischen Denkens ge-
rade um. Die Einheit des Seins und Denkens setzt er voraus,
wie Hegel; aber es ist das Sein, die objective Welt, welche im
Menschen das Denken erregt. Der menschliche Geist ist ge-
wissermaßen der Spiegel des Alls. Die Substanz also wird in
uns zum Begriffe verklärt; denn der Begriff ist das gedankliche
Abbild der Substanz. Das Urtheil ist nur das Abbild der rea-
len Thätigkeit. Im vollständigen Urtheil äußert sich der Begriff
gerade eben so, wie die Substanz sich in der Thätigkeit äußert,
von welchem Vorgange das vollständige Urtheil das Abbild ist.
Dieses Abspiegeln geht aber keineswegs so unmittelbar vor sich.
Der menschliche Geist ist kein passiver Spiegel. Die Substanz
wird nicht in jedem, im ersten besten Kopfe Begriff, und ihre
Selbstoffenbarung in der Thätigkeit Urtheil. Denken ist nicht
ein Bilder-Empfangen, sondern ein Bilden, eine Thätigkeit.
Diese Denkthätigkeit, welche das Abbild der Substanz und ihrer
Thätigkeit, d. h. Begriff und Urtheil bildet, hat Trendelenburg
nicht dargelegt. Es steht zu vermuthen, daß er das hier Aus-
gelassene in der Psychologie nachträgt, wohin es auch eigentlich
gehört.

Die Sprachwissenschaft nun aber hat gerade diese psycho-
logische Thätigkeit des Abbildens des Wirklichen darzustellen.
Wenn die objective Substanz nicht ihr Bild in unser Denken
als Begriff hineinwirft, so giebt sie uns auch nicht das Wort
dafür. Ist es vielmehr eine geistige Thätigkeit, welche in einem
langen, verwickelten Processe Begriff und Urtheil bildet, so muß
dieser ganze Proceß durchweg von der Sprache begleitet sein.

lösen, weil er sie sich nicht stellen konnte; und er konnte sie
sich nicht stellen, weil er sie schon gelöst zu haben meinte, in-
dem er zeigte, „wie sich die Substanz in der Thätigkeit äußert.“
Denn nach ihm wird, „was ein Ding thut, von seinem Be-
griffe geurtheilt.“ (S. 145). „Auf diesen Act der Sache, den
der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver-
knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus.“ Und dies hängt
zusammen mit Trendelenburgs metaphysisch-logischem Principe.
Er hat Hegel umgedreht. Hegel meint: weil wir die Kategorien
im reinen Begriffe denken, darum sind sie in der Welt der Wirk-
lichkeit objectiv vorhanden; denn der Begriff schlägt um ins
Object, die Idee erzeugt, entläßt aus sich die Natur. Trende-
lenburg dreht dies Verhältniß, welches wohl auf göttliches Den-
ken anwendbar sei, rücksichtlich des menschlischen Denkens ge-
rade um. Die Einheit des Seins und Denkens setzt er voraus,
wie Hegel; aber es ist das Sein, die objective Welt, welche im
Menschen das Denken erregt. Der menschliche Geist ist ge-
wissermaßen der Spiegel des Alls. Die Substanz also wird in
uns zum Begriffe verklärt; denn der Begriff ist das gedankliche
Abbild der Substanz. Das Urtheil ist nur das Abbild der rea-
len Thätigkeit. Im vollständigen Urtheil äußert sich der Begriff
gerade eben so, wie die Substanz sich in der Thätigkeit äußert,
von welchem Vorgange das vollständige Urtheil das Abbild ist.
Dieses Abspiegeln geht aber keineswegs so unmittelbar vor sich.
Der menschliche Geist ist kein passiver Spiegel. Die Substanz
wird nicht in jedem, im ersten besten Kopfe Begriff, und ihre
Selbstoffenbarung in der Thätigkeit Urtheil. Denken ist nicht
ein Bilder-Empfangen, sondern ein Bilden, eine Thätigkeit.
Diese Denkthätigkeit, welche das Abbild der Substanz und ihrer
Thätigkeit, d. h. Begriff und Urtheil bildet, hat Trendelenburg
nicht dargelegt. Es steht zu vermuthen, daß er das hier Aus-
gelassene in der Psychologie nachträgt, wohin es auch eigentlich
gehört.

Die Sprachwissenschaft nun aber hat gerade diese psycho-
logische Thätigkeit des Abbildens des Wirklichen darzustellen.
Wenn die objective Substanz nicht ihr Bild in unser Denken
als Begriff hineinwirft, so giebt sie uns auch nicht das Wort
dafür. Ist es vielmehr eine geistige Thätigkeit, welche in einem
langen, verwickelten Processe Begriff und Urtheil bildet, so muß
dieser ganze Proceß durchweg von der Sprache begleitet sein.

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[194/0232] lösen, weil er sie sich nicht stellen konnte; und er konnte sie sich nicht stellen, weil er sie schon gelöst zu haben meinte, in- dem er zeigte, „wie sich die Substanz in der Thätigkeit äußert.“ Denn nach ihm wird, „was ein Ding thut, von seinem Be- griffe geurtheilt.“ (S. 145). „Auf diesen Act der Sache, den der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver- knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus.“ Und dies hängt zusammen mit Trendelenburgs metaphysisch-logischem Principe. Er hat Hegel umgedreht. Hegel meint: weil wir die Kategorien im reinen Begriffe denken, darum sind sie in der Welt der Wirk- lichkeit objectiv vorhanden; denn der Begriff schlägt um ins Object, die Idee erzeugt, entläßt aus sich die Natur. Trende- lenburg dreht dies Verhältniß, welches wohl auf göttliches Den- ken anwendbar sei, rücksichtlich des menschlischen Denkens ge- rade um. Die Einheit des Seins und Denkens setzt er voraus, wie Hegel; aber es ist das Sein, die objective Welt, welche im Menschen das Denken erregt. Der menschliche Geist ist ge- wissermaßen der Spiegel des Alls. Die Substanz also wird in uns zum Begriffe verklärt; denn der Begriff ist das gedankliche Abbild der Substanz. Das Urtheil ist nur das Abbild der rea- len Thätigkeit. Im vollständigen Urtheil äußert sich der Begriff gerade eben so, wie die Substanz sich in der Thätigkeit äußert, von welchem Vorgange das vollständige Urtheil das Abbild ist. Dieses Abspiegeln geht aber keineswegs so unmittelbar vor sich. Der menschliche Geist ist kein passiver Spiegel. Die Substanz wird nicht in jedem, im ersten besten Kopfe Begriff, und ihre Selbstoffenbarung in der Thätigkeit Urtheil. Denken ist nicht ein Bilder-Empfangen, sondern ein Bilden, eine Thätigkeit. Diese Denkthätigkeit, welche das Abbild der Substanz und ihrer Thätigkeit, d. h. Begriff und Urtheil bildet, hat Trendelenburg nicht dargelegt. Es steht zu vermuthen, daß er das hier Aus- gelassene in der Psychologie nachträgt, wohin es auch eigentlich gehört. Die Sprachwissenschaft nun aber hat gerade diese psycho- logische Thätigkeit des Abbildens des Wirklichen darzustellen. Wenn die objective Substanz nicht ihr Bild in unser Denken als Begriff hineinwirft, so giebt sie uns auch nicht das Wort dafür. Ist es vielmehr eine geistige Thätigkeit, welche in einem langen, verwickelten Processe Begriff und Urtheil bildet, so muß dieser ganze Proceß durchweg von der Sprache begleitet sein.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/232>, abgerufen am 01.05.2024.