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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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müßte es die Stelle des Subjects einnehmen. Die vorige Form
der Aufstellung mag bleiben; es mag zum Zeichen derselben
eine Copula vorhanden sein; so kann diese jetzt nichts anderes
bezeichnen, als: dieser Begriff hat nichts, woran er als Prädicat
sich anlehne; nichts, was seine Bedeutung beschränkte: er steht
für sich allein und selbständig da. Dieses nun ist der Auf-
schluß über die Verwandtschaft der Copula mit dem Begriffe
des Sein. Jene verwandelt sich in das Zeichen von diesem,
wenn für ein Prädicat das Subject fehlt; und es entsteht auf
die Weise ein Existentialsatz, den man unrichtig auslegt, wenn
man in ihm den Begriff des Sein für das ursprüngliche Prädi-
cat hält. Man bemerke zunächst solche Sätze, wie: es friert,
es regnet, es blitzt, es donnert u. a. m. Hier ist durch die
Sprachform selbst die Art der absoluten Aufstellung bezeichnet.
Die Worte lassen sich als Prädicate brauchen; z. B. Zeus blitzt,
Zeus donnert; allein damit schlechthin die Thatsache als vor-
handen bezeichnet werde, muß das Subject fehlen. Wenn Zeus
donnert, so fragt sich, ob Zeus existire? Wo nicht, so sagt das
Urtheil nicht, daß wirklich das Donnern geschehe. Allein die
Frage fällt weg, wenn schlechthin gesagt wird: es donnert."

Gegen diese Entwickelung, scheint uns, sei mancherlei ein-
zuwenden. Die Existenzialsätze sind natürlich, wie Herbart
selbst bemerkt, nicht in solcher Weise allmählich entstanden;
die dargelegte Entwickelung ist keine reale, sondern eine ideale:
die reale gehört in die Psychologie, die ideale in die Logik.
Hiergegen ist nichts zu sagen. Das Obige aber scheint selbst
als logische Entwickelung nicht stichhaltig.

Der Begriff des Prädicats wird beschränkt durch den des
Subjects: je mehr dieser umfaßt, um so umfangsreicher ist auch
jener. Was kann erfolgen, wenn das Subject endlich verschwin-
det? nichts anderes, als daß nur der Prädicatbegriff seinen vol-
len Umfang hat, der ihm in unbeschränkter Weise zukommt.
Die Frage aber, ob dieses Prädicat wirklich ist, oder nicht,
kommt dabei gar nicht in Betracht. Will man aber überhaupt
diese Frage stellen, so muß dies nicht bloß bei dem Subject
mit dem Prädicate geschehen, sondern auch hier beim bloßen
Prädicat. Denn es ist gar nicht wahr, daß hier das Subject
absolut fehle. Herbart meint, die Copula beim alleinstehenden
Prädicate bezeichne: "dieser Begriff hat nichts, woran er als Prä-
dicat sich anlehne". Wie sollte dies die Copula können, deren

müßte es die Stelle des Subjects einnehmen. Die vorige Form
der Aufstellung mag bleiben; es mag zum Zeichen derselben
eine Copula vorhanden sein; so kann diese jetzt nichts anderes
bezeichnen, als: dieser Begriff hat nichts, woran er als Prädicat
sich anlehne; nichts, was seine Bedeutung beschränkte: er steht
für sich allein und selbständig da. Dieses nun ist der Auf-
schluß über die Verwandtschaft der Copula mit dem Begriffe
des Sein. Jene verwandelt sich in das Zeichen von diesem,
wenn für ein Prädicat das Subject fehlt; und es entsteht auf
die Weise ein Existentialsatz, den man unrichtig auslegt, wenn
man in ihm den Begriff des Sein für das ursprüngliche Prädi-
cat hält. Man bemerke zunächst solche Sätze, wie: es friert,
es regnet, es blitzt, es donnert u. a. m. Hier ist durch die
Sprachform selbst die Art der absoluten Aufstellung bezeichnet.
Die Worte lassen sich als Prädicate brauchen; z. B. Zeus blitzt,
Zeus donnert; allein damit schlechthin die Thatsache als vor-
handen bezeichnet werde, muß das Subject fehlen. Wenn Zeus
donnert, so fragt sich, ob Zeus existire? Wo nicht, so sagt das
Urtheil nicht, daß wirklich das Donnern geschehe. Allein die
Frage fällt weg, wenn schlechthin gesagt wird: es donnert.“

Gegen diese Entwickelung, scheint uns, sei mancherlei ein-
zuwenden. Die Existenzialsätze sind natürlich, wie Herbart
selbst bemerkt, nicht in solcher Weise allmählich entstanden;
die dargelegte Entwickelung ist keine reale, sondern eine ideale:
die reale gehört in die Psychologie, die ideale in die Logik.
Hiergegen ist nichts zu sagen. Das Obige aber scheint selbst
als logische Entwickelung nicht stichhaltig.

Der Begriff des Prädicats wird beschränkt durch den des
Subjects: je mehr dieser umfaßt, um so umfangsreicher ist auch
jener. Was kann erfolgen, wenn das Subject endlich verschwin-
det? nichts anderes, als daß nur der Prädicatbegriff seinen vol-
len Umfang hat, der ihm in unbeschränkter Weise zukommt.
Die Frage aber, ob dieses Prädicat wirklich ist, oder nicht,
kommt dabei gar nicht in Betracht. Will man aber überhaupt
diese Frage stellen, so muß dies nicht bloß bei dem Subject
mit dem Prädicate geschehen, sondern auch hier beim bloßen
Prädicat. Denn es ist gar nicht wahr, daß hier das Subject
absolut fehle. Herbart meint, die Copula beim alleinstehenden
Prädicate bezeichne: „dieser Begriff hat nichts, woran er als Prä-
dicat sich anlehne“. Wie sollte dies die Copula können, deren

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[201/0239] müßte es die Stelle des Subjects einnehmen. Die vorige Form der Aufstellung mag bleiben; es mag zum Zeichen derselben eine Copula vorhanden sein; so kann diese jetzt nichts anderes bezeichnen, als: dieser Begriff hat nichts, woran er als Prädicat sich anlehne; nichts, was seine Bedeutung beschränkte: er steht für sich allein und selbständig da. Dieses nun ist der Auf- schluß über die Verwandtschaft der Copula mit dem Begriffe des Sein. Jene verwandelt sich in das Zeichen von diesem, wenn für ein Prädicat das Subject fehlt; und es entsteht auf die Weise ein Existentialsatz, den man unrichtig auslegt, wenn man in ihm den Begriff des Sein für das ursprüngliche Prädi- cat hält. Man bemerke zunächst solche Sätze, wie: es friert, es regnet, es blitzt, es donnert u. a. m. Hier ist durch die Sprachform selbst die Art der absoluten Aufstellung bezeichnet. Die Worte lassen sich als Prädicate brauchen; z. B. Zeus blitzt, Zeus donnert; allein damit schlechthin die Thatsache als vor- handen bezeichnet werde, muß das Subject fehlen. Wenn Zeus donnert, so fragt sich, ob Zeus existire? Wo nicht, so sagt das Urtheil nicht, daß wirklich das Donnern geschehe. Allein die Frage fällt weg, wenn schlechthin gesagt wird: es donnert.“ Gegen diese Entwickelung, scheint uns, sei mancherlei ein- zuwenden. Die Existenzialsätze sind natürlich, wie Herbart selbst bemerkt, nicht in solcher Weise allmählich entstanden; die dargelegte Entwickelung ist keine reale, sondern eine ideale: die reale gehört in die Psychologie, die ideale in die Logik. Hiergegen ist nichts zu sagen. Das Obige aber scheint selbst als logische Entwickelung nicht stichhaltig. Der Begriff des Prädicats wird beschränkt durch den des Subjects: je mehr dieser umfaßt, um so umfangsreicher ist auch jener. Was kann erfolgen, wenn das Subject endlich verschwin- det? nichts anderes, als daß nur der Prädicatbegriff seinen vol- len Umfang hat, der ihm in unbeschränkter Weise zukommt. Die Frage aber, ob dieses Prädicat wirklich ist, oder nicht, kommt dabei gar nicht in Betracht. Will man aber überhaupt diese Frage stellen, so muß dies nicht bloß bei dem Subject mit dem Prädicate geschehen, sondern auch hier beim bloßen Prädicat. Denn es ist gar nicht wahr, daß hier das Subject absolut fehle. Herbart meint, die Copula beim alleinstehenden Prädicate bezeichne: „dieser Begriff hat nichts, woran er als Prä- dicat sich anlehne“. Wie sollte dies die Copula können, deren

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/239>, abgerufen am 30.04.2024.