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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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die die Logik beobachten sollte, um sie abzuleiten, sind die Me-
thoden der einzelnen Wissenschaften; denn diesen hat der er-
kennende Geist in den größten Abmessungen sein eigenes We-
sen eingedrückt. Die Wissenschaften versuchen glücklich ihre
eigenthümlichen Wege, aber zum Theil ohne nähere Rechen-
schaft der Methode, da sie auf ihren Gegenstand und nicht auf
das Verfahren gerichtet sind. Die Logik hätte hier die Aufgabe
zu beobachten und zu vergleichen, das Unbewußte zum Be-
wußtsein zu erheben und das Verschiedene im gemeinsamen Ur-
sprunge zu begreifen." Hiermit wird aber entschieden das We-
sen der Logik als empirische Wissenschaft ausgesprochen; eine
solche ist sie auch, wenn nicht vielmehr in Wahrheit mit dem
Wandel der Logik in eine empirische Disciplin die Wissenschaft
den Druck jenes Dualismus von Philosophie und Historie schon
abgeschüttelt hat. Trendelenburg fährt fort: "Ohne sorgfältigen
Hinblick auf die Methode der einzelnen Wissenschaften muß die
Logik ihr Ziel verfehlen, weil sie dann kein bestimmtes Object
hat, an dem sie sich in ihren Theorien zurechtfinde. Wenn sie
ferner die Nothwendigkeit verstehen soll, die von einer Seite in
den Principien der Dinge wurzelt: so kann sie von Neuem der
einzelnen Wissenschaften nicht entrathen, um von deren An-
fangs- oder Endpunkten her in die Quelle dieses Begriffes ein-
zudringen." Wir hoffen, daß aus unserer vorliegenden Arbeit
wie aus allen ihren Vorgängern das Streben in obigem Sinne
der Logik entgegenzuarbeiten klar hervorleuchte.

Sehen wir nun die von Becker citirte Stelle an (S. 314):
"Die Logik hat viel von der Grammatik gelernt. Beide Wis-
senschaften sind Zwillinge und haben sich, wie Geschwister, bei
ihren ersten Schritten gegenseitig unterstützt. Wir denken da-
bei an das Alterthum, auf dessen Gebiet ihr Ursprung liegt.
Wir erinnern an die schöne Betrachtung des Satzes in Platos
Sophisten, wo in den Verhältnissen der Rede die logische und
metaphysische Einheit des Beharrenden und Bewegten, des Seien-
den und Thätigen, wie in einem lebendigen Gegenbilde ange-
schaut wird. Wir erinnern an die Kategorien des Aristoteles,
die in dem zergliederten Satze ihre Begründung zu haben schei-
nen, und an seine Schrift über das Urtheil, die sogar den Na-
men "über den Ausdruck" (peri ermeneias) führt. Auch bei
den Stoikern geht Logik und Grammatik Hand in Hand. Bald
nach ihnen erstarrt die Grammatik ... Auf ähnliche Weise ist

die die Logik beobachten sollte, um sie abzuleiten, sind die Me-
thoden der einzelnen Wissenschaften; denn diesen hat der er-
kennende Geist in den größten Abmessungen sein eigenes We-
sen eingedrückt. Die Wissenschaften versuchen glücklich ihre
eigenthümlichen Wege, aber zum Theil ohne nähere Rechen-
schaft der Methode, da sie auf ihren Gegenstand und nicht auf
das Verfahren gerichtet sind. Die Logik hätte hier die Aufgabe
zu beobachten und zu vergleichen, das Unbewußte zum Be-
wußtsein zu erheben und das Verschiedene im gemeinsamen Ur-
sprunge zu begreifen.“ Hiermit wird aber entschieden das We-
sen der Logik als empirische Wissenschaft ausgesprochen; eine
solche ist sie auch, wenn nicht vielmehr in Wahrheit mit dem
Wandel der Logik in eine empirische Disciplin die Wissenschaft
den Druck jenes Dualismus von Philosophie und Historie schon
abgeschüttelt hat. Trendelenburg fährt fort: „Ohne sorgfältigen
Hinblick auf die Methode der einzelnen Wissenschaften muß die
Logik ihr Ziel verfehlen, weil sie dann kein bestimmtes Object
hat, an dem sie sich in ihren Theorien zurechtfinde. Wenn sie
ferner die Nothwendigkeit verstehen soll, die von einer Seite in
den Principien der Dinge wurzelt: so kann sie von Neuem der
einzelnen Wissenschaften nicht entrathen, um von deren An-
fangs- oder Endpunkten her in die Quelle dieses Begriffes ein-
zudringen.“ Wir hoffen, daß aus unserer vorliegenden Arbeit
wie aus allen ihren Vorgängern das Streben in obigem Sinne
der Logik entgegenzuarbeiten klar hervorleuchte.

Sehen wir nun die von Becker citirte Stelle an (S. 314):
„Die Logik hat viel von der Grammatik gelernt. Beide Wis-
senschaften sind Zwillinge und haben sich, wie Geschwister, bei
ihren ersten Schritten gegenseitig unterstützt. Wir denken da-
bei an das Alterthum, auf dessen Gebiet ihr Ursprung liegt.
Wir erinnern an die schöne Betrachtung des Satzes in Platos
Sophisten, wo in den Verhältnissen der Rede die logische und
metaphysische Einheit des Beharrenden und Bewegten, des Seien-
den und Thätigen, wie in einem lebendigen Gegenbilde ange-
schaut wird. Wir erinnern an die Kategorien des Aristoteles,
die in dem zergliederten Satze ihre Begründung zu haben schei-
nen, und an seine Schrift über das Urtheil, die sogar den Na-
men „über den Ausdruck“ (πεϱὶ ἑϱμηνείας) führt. Auch bei
den Stoikern geht Logik und Grammatik Hand in Hand. Bald
nach ihnen erstarrt die Grammatik … Auf ähnliche Weise ist

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[52/0090] die die Logik beobachten sollte, um sie abzuleiten, sind die Me- thoden der einzelnen Wissenschaften; denn diesen hat der er- kennende Geist in den größten Abmessungen sein eigenes We- sen eingedrückt. Die Wissenschaften versuchen glücklich ihre eigenthümlichen Wege, aber zum Theil ohne nähere Rechen- schaft der Methode, da sie auf ihren Gegenstand und nicht auf das Verfahren gerichtet sind. Die Logik hätte hier die Aufgabe zu beobachten und zu vergleichen, das Unbewußte zum Be- wußtsein zu erheben und das Verschiedene im gemeinsamen Ur- sprunge zu begreifen.“ Hiermit wird aber entschieden das We- sen der Logik als empirische Wissenschaft ausgesprochen; eine solche ist sie auch, wenn nicht vielmehr in Wahrheit mit dem Wandel der Logik in eine empirische Disciplin die Wissenschaft den Druck jenes Dualismus von Philosophie und Historie schon abgeschüttelt hat. Trendelenburg fährt fort: „Ohne sorgfältigen Hinblick auf die Methode der einzelnen Wissenschaften muß die Logik ihr Ziel verfehlen, weil sie dann kein bestimmtes Object hat, an dem sie sich in ihren Theorien zurechtfinde. Wenn sie ferner die Nothwendigkeit verstehen soll, die von einer Seite in den Principien der Dinge wurzelt: so kann sie von Neuem der einzelnen Wissenschaften nicht entrathen, um von deren An- fangs- oder Endpunkten her in die Quelle dieses Begriffes ein- zudringen.“ Wir hoffen, daß aus unserer vorliegenden Arbeit wie aus allen ihren Vorgängern das Streben in obigem Sinne der Logik entgegenzuarbeiten klar hervorleuchte. Sehen wir nun die von Becker citirte Stelle an (S. 314): „Die Logik hat viel von der Grammatik gelernt. Beide Wis- senschaften sind Zwillinge und haben sich, wie Geschwister, bei ihren ersten Schritten gegenseitig unterstützt. Wir denken da- bei an das Alterthum, auf dessen Gebiet ihr Ursprung liegt. Wir erinnern an die schöne Betrachtung des Satzes in Platos Sophisten, wo in den Verhältnissen der Rede die logische und metaphysische Einheit des Beharrenden und Bewegten, des Seien- den und Thätigen, wie in einem lebendigen Gegenbilde ange- schaut wird. Wir erinnern an die Kategorien des Aristoteles, die in dem zergliederten Satze ihre Begründung zu haben schei- nen, und an seine Schrift über das Urtheil, die sogar den Na- men „über den Ausdruck“ (πεϱὶ ἑϱμηνείας) führt. Auch bei den Stoikern geht Logik und Grammatik Hand in Hand. Bald nach ihnen erstarrt die Grammatik … Auf ähnliche Weise ist

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/90>, abgerufen am 29.04.2024.