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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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als anderswo. Als wir zu beschwichtigen suchten, ging er in sehr derben Worten auf die dummen Bücher über und die Fremden, die ins Land hereinkämen und die erlogenen Sagen hinaustrügen und die Leute lächerlich machten. Es hätte eine sehr bedauerliche Scene werden können, wenn nicht einer von uns in seiner Geistesgegenwart: Comment vous portez-vous? gesagt hätte, worauf der Erzürnte nach kurzem Zaudern: Tresbien erwiederte und sich wieder ganz friedlich anließ.

Es ist unzweifelhaft, daß man im Oetzthale und in einigen andern Thälern die alte Sagenpoesie mit der dortigen Aufklärung nicht verträglich findet und daher das Wenige, was davon noch übrig ist, mit allem Eifer auszurotten strebt. Die Frage nach Volkssagen wird manchmal als eine Beleidigung angesehen, als ausländischer Uebermuth der mit der tirolischen Einfalt sein Spiel treiben wolle. Nie wurden auch die Oetzthaler bei ihrem Glauben an die eigene Aufklärung so peinlich angeregt, als im Jahre 1825, wo Herr Eduard von Badenfeld im Hormayr'schen Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst einige Nachrichten über die Sagen dieses Thals mittheilte und der Tirolerbote sie auch im Vaterlande verbreitete. Damals verfügten sich die Aeltesten des Thales zum zuständigen Landgericht zu Silz, um sich Raths zu erholen, wie und wo sie den böswilligen Injurianten gerichtlich belangen könnten, welcher der Ehre ihrer Heimath so nahe getreten sey und sie noch mit alten Mähren höhne, welche die neu eingeführte Aufklärung schon seit mehreren Jahren ganz abgebracht habe.

Selbst literarische Hülfe blieb nicht aus. Ein "geborner Oetzthaler" trat im Tirolerboten auf und schnarchte höchst mißmuthig über die Indiscretion dieser Touristen, die da in seiner Heimath Mährchen gefunden haben wollten. Nebenbei ärgerte ihn freilich auch, daß von Branntwein, Raufen und Stelldicheinen die Rede gewesen. "Beinahe, sagt er in seiner Bitterkeit, kam mir die Versuchung zu wähnen, es gäbe vielleicht zwei Oetzthale, eines das ich recht gut kenne und wo ich meine seligsten Tage verlebt, und ein andres, das der Herr Verfasser geschildert. Oft war mir ein mitleidiges Lächeln, zuweilen

als anderswo. Als wir zu beschwichtigen suchten, ging er in sehr derben Worten auf die dummen Bücher über und die Fremden, die ins Land hereinkämen und die erlogenen Sagen hinaustrügen und die Leute lächerlich machten. Es hätte eine sehr bedauerliche Scene werden können, wenn nicht einer von uns in seiner Geistesgegenwart: Comment vous portez-vous? gesagt hätte, worauf der Erzürnte nach kurzem Zaudern: Trèsbien erwiederte und sich wieder ganz friedlich anließ.

Es ist unzweifelhaft, daß man im Oetzthale und in einigen andern Thälern die alte Sagenpoesie mit der dortigen Aufklärung nicht verträglich findet und daher das Wenige, was davon noch übrig ist, mit allem Eifer auszurotten strebt. Die Frage nach Volkssagen wird manchmal als eine Beleidigung angesehen, als ausländischer Uebermuth der mit der tirolischen Einfalt sein Spiel treiben wolle. Nie wurden auch die Oetzthaler bei ihrem Glauben an die eigene Aufklärung so peinlich angeregt, als im Jahre 1825, wo Herr Eduard von Badenfeld im Hormayr’schen Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst einige Nachrichten über die Sagen dieses Thals mittheilte und der Tirolerbote sie auch im Vaterlande verbreitete. Damals verfügten sich die Aeltesten des Thales zum zuständigen Landgericht zu Silz, um sich Raths zu erholen, wie und wo sie den böswilligen Injurianten gerichtlich belangen könnten, welcher der Ehre ihrer Heimath so nahe getreten sey und sie noch mit alten Mähren höhne, welche die neu eingeführte Aufklärung schon seit mehreren Jahren ganz abgebracht habe.

Selbst literarische Hülfe blieb nicht aus. Ein „geborner Oetzthaler“ trat im Tirolerboten auf und schnarchte höchst mißmuthig über die Indiscretion dieser Touristen, die da in seiner Heimath Mährchen gefunden haben wollten. Nebenbei ärgerte ihn freilich auch, daß von Branntwein, Raufen und Stelldicheinen die Rede gewesen. „Beinahe, sagt er in seiner Bitterkeit, kam mir die Versuchung zu wähnen, es gäbe vielleicht zwei Oetzthale, eines das ich recht gut kenne und wo ich meine seligsten Tage verlebt, und ein andres, das der Herr Verfasser geschildert. Oft war mir ein mitleidiges Lächeln, zuweilen

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[219/0223] als anderswo. Als wir zu beschwichtigen suchten, ging er in sehr derben Worten auf die dummen Bücher über und die Fremden, die ins Land hereinkämen und die erlogenen Sagen hinaustrügen und die Leute lächerlich machten. Es hätte eine sehr bedauerliche Scene werden können, wenn nicht einer von uns in seiner Geistesgegenwart: Comment vous portez-vous? gesagt hätte, worauf der Erzürnte nach kurzem Zaudern: Trèsbien erwiederte und sich wieder ganz friedlich anließ. Es ist unzweifelhaft, daß man im Oetzthale und in einigen andern Thälern die alte Sagenpoesie mit der dortigen Aufklärung nicht verträglich findet und daher das Wenige, was davon noch übrig ist, mit allem Eifer auszurotten strebt. Die Frage nach Volkssagen wird manchmal als eine Beleidigung angesehen, als ausländischer Uebermuth der mit der tirolischen Einfalt sein Spiel treiben wolle. Nie wurden auch die Oetzthaler bei ihrem Glauben an die eigene Aufklärung so peinlich angeregt, als im Jahre 1825, wo Herr Eduard von Badenfeld im Hormayr’schen Archiv für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst einige Nachrichten über die Sagen dieses Thals mittheilte und der Tirolerbote sie auch im Vaterlande verbreitete. Damals verfügten sich die Aeltesten des Thales zum zuständigen Landgericht zu Silz, um sich Raths zu erholen, wie und wo sie den böswilligen Injurianten gerichtlich belangen könnten, welcher der Ehre ihrer Heimath so nahe getreten sey und sie noch mit alten Mähren höhne, welche die neu eingeführte Aufklärung schon seit mehreren Jahren ganz abgebracht habe. Selbst literarische Hülfe blieb nicht aus. Ein „geborner Oetzthaler“ trat im Tirolerboten auf und schnarchte höchst mißmuthig über die Indiscretion dieser Touristen, die da in seiner Heimath Mährchen gefunden haben wollten. Nebenbei ärgerte ihn freilich auch, daß von Branntwein, Raufen und Stelldicheinen die Rede gewesen. „Beinahe, sagt er in seiner Bitterkeit, kam mir die Versuchung zu wähnen, es gäbe vielleicht zwei Oetzthale, eines das ich recht gut kenne und wo ich meine seligsten Tage verlebt, und ein andres, das der Herr Verfasser geschildert. Oft war mir ein mitleidiges Lächeln, zuweilen

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/223>, abgerufen am 08.05.2024.