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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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scheint es eher ein beschränktes Philisterthum, und den Lechthalern gereiche es lediglich zum Vorwurf, daß sie nach einem Leben, dessen schönster Theil auf den großen Weltmärkten dahingegangen, sich in die dumpfe Stille ihrer Dörfer zurückzogen, um dort ohne alle Anregung, ohne stärkende Geselligkeit, ohne Bildungsmittel in ruhiger Verschollenheit abzuwelken. Es ist richtig daß nicht alle, oder vielleicht die wenigsten, wie Herr Falger zu Elbigenalp sich geistige Schätze erworben hatten, die sie nützlich anlegen und mit deren Pflege sie sich würdevoll beschäftigen konnten. Indessen ist dabei zu bedenken, daß in einem Leben, während dessen sich der mitgegebene Mutterpfennig in Hunderttausende von Gulden umwandelte, auch nicht viel Zeit übrig blieb, um nebenher noch für standesgemäße geistige Erwerbungen zu sorgen. Wollen wir daher den wenigen alten müden Herren ihre Ruhe und ihren Frieden neidlos gönnen und nur Gutes reden von denen, die dahingegangen. Gerechteren Tadel möchten die jungen verdienen, wenn sie bei ihren großen Mitteln ihre Erziehung so sehr vernachlässigen würden, wie dieß der Fall seyn soll - obgleich auch gegen diese Behauptung die vielen Namen studirter und gelehrter Lechthaler, die sich da und dort hervorgethan; zu sprechen scheinen. Für die Bildung der Töchter wird nicht übel gesorgt - man gibt sie in die besten Klosterschulen oder in die naheliegenden größern Städte, und die lechthalischen Frauen, welche außer dem Thale verheirathet sind, stehen durchaus in gutem Ansehen.

Nun also wieder weiter, und heute noch in ein andres Land. Zu Steg hört mit dem ebenen Boden auch das Sträßchen auf, das sich von der Heerstraße bei Weißenbach ausbrechend durch das Lechthal heraufzieht. Von hier ins Vorarlberg und zwar in das nächstliegende Thalgelände des Bregenzerwaldes, führt nur ein Bergpfad über ein hohes Joch. Dieses Joch heißt der Tannberg.

Es wäre, um praktisch zu reden, allen Pilgern die den Bregenzerwald sehen wollen, zu rathen daß sie von Füßen das Lechthal hinauf ziehen und dann über den Alpenpaß des Tannberges in den Wald hinuntersteigen. Der Gang über den Tannberg ist aller Reize voll, und - wenn nicht etwa

scheint es eher ein beschränktes Philisterthum, und den Lechthalern gereiche es lediglich zum Vorwurf, daß sie nach einem Leben, dessen schönster Theil auf den großen Weltmärkten dahingegangen, sich in die dumpfe Stille ihrer Dörfer zurückzogen, um dort ohne alle Anregung, ohne stärkende Geselligkeit, ohne Bildungsmittel in ruhiger Verschollenheit abzuwelken. Es ist richtig daß nicht alle, oder vielleicht die wenigsten, wie Herr Falger zu Elbigenalp sich geistige Schätze erworben hatten, die sie nützlich anlegen und mit deren Pflege sie sich würdevoll beschäftigen konnten. Indessen ist dabei zu bedenken, daß in einem Leben, während dessen sich der mitgegebene Mutterpfennig in Hunderttausende von Gulden umwandelte, auch nicht viel Zeit übrig blieb, um nebenher noch für standesgemäße geistige Erwerbungen zu sorgen. Wollen wir daher den wenigen alten müden Herren ihre Ruhe und ihren Frieden neidlos gönnen und nur Gutes reden von denen, die dahingegangen. Gerechteren Tadel möchten die jungen verdienen, wenn sie bei ihren großen Mitteln ihre Erziehung so sehr vernachlässigen würden, wie dieß der Fall seyn soll – obgleich auch gegen diese Behauptung die vielen Namen studirter und gelehrter Lechthaler, die sich da und dort hervorgethan; zu sprechen scheinen. Für die Bildung der Töchter wird nicht übel gesorgt – man gibt sie in die besten Klosterschulen oder in die naheliegenden größern Städte, und die lechthalischen Frauen, welche außer dem Thale verheirathet sind, stehen durchaus in gutem Ansehen.

Nun also wieder weiter, und heute noch in ein andres Land. Zu Steg hört mit dem ebenen Boden auch das Sträßchen auf, das sich von der Heerstraße bei Weißenbach ausbrechend durch das Lechthal heraufzieht. Von hier ins Vorarlberg und zwar in das nächstliegende Thalgelände des Bregenzerwaldes, führt nur ein Bergpfad über ein hohes Joch. Dieses Joch heißt der Tannberg.

Es wäre, um praktisch zu reden, allen Pilgern die den Bregenzerwald sehen wollen, zu rathen daß sie von Füßen das Lechthal hinauf ziehen und dann über den Alpenpaß des Tannberges in den Wald hinuntersteigen. Der Gang über den Tannberg ist aller Reize voll, und – wenn nicht etwa

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scheint es eher ein beschränktes Philisterthum, und den Lechthalern gereiche es lediglich zum Vorwurf, daß sie nach einem Leben, dessen schönster Theil auf den großen Weltmärkten dahingegangen, sich in die dumpfe Stille ihrer Dörfer zurückzogen, um dort ohne alle Anregung, ohne stärkende Geselligkeit, ohne Bildungsmittel in ruhiger Verschollenheit abzuwelken. Es ist richtig daß nicht alle, oder vielleicht die wenigsten, wie Herr Falger zu Elbigenalp sich geistige Schätze erworben hatten, die sie nützlich anlegen und mit deren Pflege sie sich würdevoll beschäftigen konnten. Indessen ist dabei zu bedenken, daß in einem Leben, während dessen sich der mitgegebene Mutterpfennig in Hunderttausende von Gulden umwandelte, auch nicht viel Zeit übrig blieb, um nebenher noch für standesgemäße geistige Erwerbungen zu sorgen. Wollen wir daher den wenigen alten müden Herren ihre Ruhe und ihren Frieden neidlos gönnen und nur Gutes reden von denen, die dahingegangen. Gerechteren Tadel möchten die jungen verdienen, wenn sie bei ihren großen Mitteln ihre Erziehung so sehr vernachlässigen würden, wie dieß der Fall seyn soll &#x2013; obgleich auch gegen diese Behauptung die vielen Namen studirter und gelehrter Lechthaler, die sich da und dort hervorgethan; zu sprechen scheinen. Für die Bildung der Töchter wird nicht übel gesorgt &#x2013; man gibt sie in die besten Klosterschulen oder in die naheliegenden größern Städte, und die lechthalischen Frauen, welche außer dem Thale verheirathet sind, stehen durchaus in gutem Ansehen.</p>
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[30/0035] scheint es eher ein beschränktes Philisterthum, und den Lechthalern gereiche es lediglich zum Vorwurf, daß sie nach einem Leben, dessen schönster Theil auf den großen Weltmärkten dahingegangen, sich in die dumpfe Stille ihrer Dörfer zurückzogen, um dort ohne alle Anregung, ohne stärkende Geselligkeit, ohne Bildungsmittel in ruhiger Verschollenheit abzuwelken. Es ist richtig daß nicht alle, oder vielleicht die wenigsten, wie Herr Falger zu Elbigenalp sich geistige Schätze erworben hatten, die sie nützlich anlegen und mit deren Pflege sie sich würdevoll beschäftigen konnten. Indessen ist dabei zu bedenken, daß in einem Leben, während dessen sich der mitgegebene Mutterpfennig in Hunderttausende von Gulden umwandelte, auch nicht viel Zeit übrig blieb, um nebenher noch für standesgemäße geistige Erwerbungen zu sorgen. Wollen wir daher den wenigen alten müden Herren ihre Ruhe und ihren Frieden neidlos gönnen und nur Gutes reden von denen, die dahingegangen. Gerechteren Tadel möchten die jungen verdienen, wenn sie bei ihren großen Mitteln ihre Erziehung so sehr vernachlässigen würden, wie dieß der Fall seyn soll – obgleich auch gegen diese Behauptung die vielen Namen studirter und gelehrter Lechthaler, die sich da und dort hervorgethan; zu sprechen scheinen. Für die Bildung der Töchter wird nicht übel gesorgt – man gibt sie in die besten Klosterschulen oder in die naheliegenden größern Städte, und die lechthalischen Frauen, welche außer dem Thale verheirathet sind, stehen durchaus in gutem Ansehen. Nun also wieder weiter, und heute noch in ein andres Land. Zu Steg hört mit dem ebenen Boden auch das Sträßchen auf, das sich von der Heerstraße bei Weißenbach ausbrechend durch das Lechthal heraufzieht. Von hier ins Vorarlberg und zwar in das nächstliegende Thalgelände des Bregenzerwaldes, führt nur ein Bergpfad über ein hohes Joch. Dieses Joch heißt der Tannberg. Es wäre, um praktisch zu reden, allen Pilgern die den Bregenzerwald sehen wollen, zu rathen daß sie von Füßen das Lechthal hinauf ziehen und dann über den Alpenpaß des Tannberges in den Wald hinuntersteigen. Der Gang über den Tannberg ist aller Reize voll, und – wenn nicht etwa

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/35>, abgerufen am 26.04.2024.