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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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ihm jene auch kein Leid an, sondern halfen in aller Frühe sein Saumpferd laden und ließen ihn wohlbehalten ziehen. - Andere Geister sind, wie vor Zeiten Sisyphus, verurtheilt schwere Steine auf den Grat zu wälzen, die sich dann oben umdrehen und wieder abwärts rollen. Diese und die vorigen und andere kommen gerne auf dem Greßhorn ober der Au zusammen, wo ein runder Hexenplatz, auf dem kein Gras wächst. *) Unvorsichtig genug wagte es einst ein leichtsinniger Hirte diesen Platz zu verunreinigen, wurde aber in der Nacht von den Geistern geweckt und mußte von der Sennhütte aus einen glühenden Hammer bis an die Stelle tragen, wo er den Frevel verübt. Eine andre gefeite Stelle ist der Hexenthurm, ein freistehender Felsen, der wie ein Schornstein an der Wand der Kanisfluhe hinaufragt und oben einen grünen Büschel Gras trägt.

Das sichere Treffen der Schützen, das der Volksglaube gewöhnlich von Freikugeln abhängig macht, hat hier die Sage anders erklärt. In Mellau nämlich lebte vor Jahren ein Gemsenjäger, der so übernatürlich schoß, daß durch alle die Häute, die er zusammengebracht, wenn sie übereinander gelegt wurden, nur ein und dasselbe Loch ging. Als er aber zu sterben kam, wurden die Beängstigungen des Teufels so stark, daß er schrecklich leiden mußte, und dabei zeigte sich's denn, daß er im Ballen der rechten Hand eine Hostie eingewachsen hatte. Unter diesen Nöthen kam ein frommer Capuciner herbei, der noch zu rechter Zeit das entweihte Heiligthum herauslöste und dem Jäger zu einem seligen Ende verhalf.

Die Wildpretfülle des Waldes hat sich übrigens im Laufe der Zeiten sehr verringert. Hirsche gibt es schon lange nicht mehr und der letzte der Wälderbären wurde vor manchem Jahre bei Sibratsgfäll von einem Stiere erstochen. Die Gemsen sind aber noch zahlreich, kommen auch zuweilen ins Thal herunter, und manchmal hat man sie sogar bei der Au durch die Ache setzen sehen.

*) Wie auf dem Dosenberge in Hessen. S. Grimms deutsche Mythologie. 2te Ausgabe, 428.

ihm jene auch kein Leid an, sondern halfen in aller Frühe sein Saumpferd laden und ließen ihn wohlbehalten ziehen. – Andere Geister sind, wie vor Zeiten Sisyphus, verurtheilt schwere Steine auf den Grat zu wälzen, die sich dann oben umdrehen und wieder abwärts rollen. Diese und die vorigen und andere kommen gerne auf dem Greßhorn ober der Au zusammen, wo ein runder Hexenplatz, auf dem kein Gras wächst. *) Unvorsichtig genug wagte es einst ein leichtsinniger Hirte diesen Platz zu verunreinigen, wurde aber in der Nacht von den Geistern geweckt und mußte von der Sennhütte aus einen glühenden Hammer bis an die Stelle tragen, wo er den Frevel verübt. Eine andre gefeite Stelle ist der Hexenthurm, ein freistehender Felsen, der wie ein Schornstein an der Wand der Kanisfluhe hinaufragt und oben einen grünen Büschel Gras trägt.

Das sichere Treffen der Schützen, das der Volksglaube gewöhnlich von Freikugeln abhängig macht, hat hier die Sage anders erklärt. In Mellau nämlich lebte vor Jahren ein Gemsenjäger, der so übernatürlich schoß, daß durch alle die Häute, die er zusammengebracht, wenn sie übereinander gelegt wurden, nur ein und dasselbe Loch ging. Als er aber zu sterben kam, wurden die Beängstigungen des Teufels so stark, daß er schrecklich leiden mußte, und dabei zeigte sich’s denn, daß er im Ballen der rechten Hand eine Hostie eingewachsen hatte. Unter diesen Nöthen kam ein frommer Capuciner herbei, der noch zu rechter Zeit das entweihte Heiligthum herauslöste und dem Jäger zu einem seligen Ende verhalf.

Die Wildpretfülle des Waldes hat sich übrigens im Laufe der Zeiten sehr verringert. Hirsche gibt es schon lange nicht mehr und der letzte der Wälderbären wurde vor manchem Jahre bei Sibratsgfäll von einem Stiere erstochen. Die Gemsen sind aber noch zahlreich, kommen auch zuweilen ins Thal herunter, und manchmal hat man sie sogar bei der Au durch die Ache setzen sehen.

*) Wie auf dem Dosenberge in Hessen. S. Grimms deutsche Mythologie. 2te Ausgabe, 428.
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[63/0068] ihm jene auch kein Leid an, sondern halfen in aller Frühe sein Saumpferd laden und ließen ihn wohlbehalten ziehen. – Andere Geister sind, wie vor Zeiten Sisyphus, verurtheilt schwere Steine auf den Grat zu wälzen, die sich dann oben umdrehen und wieder abwärts rollen. Diese und die vorigen und andere kommen gerne auf dem Greßhorn ober der Au zusammen, wo ein runder Hexenplatz, auf dem kein Gras wächst. *) Unvorsichtig genug wagte es einst ein leichtsinniger Hirte diesen Platz zu verunreinigen, wurde aber in der Nacht von den Geistern geweckt und mußte von der Sennhütte aus einen glühenden Hammer bis an die Stelle tragen, wo er den Frevel verübt. Eine andre gefeite Stelle ist der Hexenthurm, ein freistehender Felsen, der wie ein Schornstein an der Wand der Kanisfluhe hinaufragt und oben einen grünen Büschel Gras trägt. Das sichere Treffen der Schützen, das der Volksglaube gewöhnlich von Freikugeln abhängig macht, hat hier die Sage anders erklärt. In Mellau nämlich lebte vor Jahren ein Gemsenjäger, der so übernatürlich schoß, daß durch alle die Häute, die er zusammengebracht, wenn sie übereinander gelegt wurden, nur ein und dasselbe Loch ging. Als er aber zu sterben kam, wurden die Beängstigungen des Teufels so stark, daß er schrecklich leiden mußte, und dabei zeigte sich’s denn, daß er im Ballen der rechten Hand eine Hostie eingewachsen hatte. Unter diesen Nöthen kam ein frommer Capuciner herbei, der noch zu rechter Zeit das entweihte Heiligthum herauslöste und dem Jäger zu einem seligen Ende verhalf. Die Wildpretfülle des Waldes hat sich übrigens im Laufe der Zeiten sehr verringert. Hirsche gibt es schon lange nicht mehr und der letzte der Wälderbären wurde vor manchem Jahre bei Sibratsgfäll von einem Stiere erstochen. Die Gemsen sind aber noch zahlreich, kommen auch zuweilen ins Thal herunter, und manchmal hat man sie sogar bei der Au durch die Ache setzen sehen. *) Wie auf dem Dosenberge in Hessen. S. Grimms deutsche Mythologie. 2te Ausgabe, 428.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/68>, abgerufen am 06.05.2024.