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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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ob ich mich hinabwerfen solle. Das Bild meiner ver¬
storbenen Mutter mischte sich in diese unklare schauer¬
liche Vorstellung, und wurde mir ein Liebes, an das ich
denken mußte. Ich ging täglich auf diese Kuppe, und
blieb oft mehrere Stunden auf ihr sizen. Ich weiß
nicht, warum ich sie suchte. In meiner Jugend war ich
oft auf ihr, und wir machten uns das Vergnügen,
Steine ziemlicher Größe von ihr hinab zu werfen, um
den Steinstaub aufwirbeln zu sehen, wenn der Ge¬
worfene auf Klippen stieß, und um sein Gepolter in
den Klippen und sein Rasseln in den am Fuße des
Felsens befindlichen Gerölle zu hören. Von dieser
Kuppe war kein Einblick in jene Länder, in denen
Mathildens Wohnung lag, man sah nicht einmal
Gebirgszüge, die an sie grenzten. Ich ging auch nach
und nach in anderen Theilen der Umgebung meines
Heimathortes herum. Mein Schwager war ein sanfter
und stiller Mann, und wir sprachen in meinem Ge¬
burtshause oft einen ganzen Tag hindurch nicht mehr
als einige Worte."

"Als eine geraume Zeit vergangen war, dachte ich
auf meine Abreise und auf meine Berufsarbeiten, die
ich schon so lange vergessen hatte, und auf die ich

ob ich mich hinabwerfen ſolle. Das Bild meiner ver¬
ſtorbenen Mutter miſchte ſich in dieſe unklare ſchauer¬
liche Vorſtellung, und wurde mir ein Liebes, an das ich
denken mußte. Ich ging täglich auf dieſe Kuppe, und
blieb oft mehrere Stunden auf ihr ſizen. Ich weiß
nicht, warum ich ſie ſuchte. In meiner Jugend war ich
oft auf ihr, und wir machten uns das Vergnügen,
Steine ziemlicher Größe von ihr hinab zu werfen, um
den Steinſtaub aufwirbeln zu ſehen, wenn der Ge¬
worfene auf Klippen ſtieß, und um ſein Gepolter in
den Klippen und ſein Raſſeln in den am Fuße des
Felſens befindlichen Gerölle zu hören. Von dieſer
Kuppe war kein Einblick in jene Länder, in denen
Mathildens Wohnung lag, man ſah nicht einmal
Gebirgszüge, die an ſie grenzten. Ich ging auch nach
und nach in anderen Theilen der Umgebung meines
Heimathortes herum. Mein Schwager war ein ſanfter
und ſtiller Mann, und wir ſprachen in meinem Ge¬
burtshauſe oft einen ganzen Tag hindurch nicht mehr
als einige Worte.“

„Als eine geraume Zeit vergangen war, dachte ich
auf meine Abreiſe und auf meine Berufsarbeiten, die
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[330/0344] ob ich mich hinabwerfen ſolle. Das Bild meiner ver¬ ſtorbenen Mutter miſchte ſich in dieſe unklare ſchauer¬ liche Vorſtellung, und wurde mir ein Liebes, an das ich denken mußte. Ich ging täglich auf dieſe Kuppe, und blieb oft mehrere Stunden auf ihr ſizen. Ich weiß nicht, warum ich ſie ſuchte. In meiner Jugend war ich oft auf ihr, und wir machten uns das Vergnügen, Steine ziemlicher Größe von ihr hinab zu werfen, um den Steinſtaub aufwirbeln zu ſehen, wenn der Ge¬ worfene auf Klippen ſtieß, und um ſein Gepolter in den Klippen und ſein Raſſeln in den am Fuße des Felſens befindlichen Gerölle zu hören. Von dieſer Kuppe war kein Einblick in jene Länder, in denen Mathildens Wohnung lag, man ſah nicht einmal Gebirgszüge, die an ſie grenzten. Ich ging auch nach und nach in anderen Theilen der Umgebung meines Heimathortes herum. Mein Schwager war ein ſanfter und ſtiller Mann, und wir ſprachen in meinem Ge¬ burtshauſe oft einen ganzen Tag hindurch nicht mehr als einige Worte.“ „Als eine geraume Zeit vergangen war, dachte ich auf meine Abreiſe und auf meine Berufsarbeiten, die ich ſchon ſo lange vergeſſen hatte, und auf die ich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/344>, abgerufen am 29.04.2024.