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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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einem Stuhle Plaz. Sie weinte fort; aber ihre
Thränen wurden nach und nach linder. Ich sprach
nichts. Nachdem eine Zeit vergangen war, quollen
ihre Tropfen sparsamer und weniger aus den Augen,
und endlich trocknete sie die lezten mit ihrem Tuche
ab. Wir sassen nun schweigend da, und sahen einan¬
der an. Sie mochte auf meine weißen Haare schauen,
und ich blickte in ihr Angesicht. Dasselbe war schon
verblüht; aber auf den Wangen und um den Mund
lag der liebe Reiz und die sanfte Schwermuth, die
an abgeblühten Frauen so rührend sind, wenn gleich¬
sam ein Himmel vergangener Schönheit hinter ihnen
liegt, der noch nachgespiegelt wird. Ich erkannte in
den Zügen die einstige prangende Jugend."

""Gustav,"" sagte sie, ""so sehen wir uns wieder.
Ich konnte das Unrecht nicht mehr tragen, das ich dir
angethan habe.""

""Es ist kein Unrecht geschehen, Mathilde,""
sagte ich."

""Ja du bist immer gut gewesen,"" antwortete sie,
""das wußte ich, darum bin ich gekommen. Du bist
auch jezt gut, das sagt dein liebes Auge, das noch so
schön ist wie einst, da es meine Wonne war. O ich
bitte dich, Gustav, verzeihe mir.""

einem Stuhle Plaz. Sie weinte fort; aber ihre
Thränen wurden nach und nach linder. Ich ſprach
nichts. Nachdem eine Zeit vergangen war, quollen
ihre Tropfen ſparſamer und weniger aus den Augen,
und endlich trocknete ſie die lezten mit ihrem Tuche
ab. Wir ſaſſen nun ſchweigend da, und ſahen einan¬
der an. Sie mochte auf meine weißen Haare ſchauen,
und ich blickte in ihr Angeſicht. Daſſelbe war ſchon
verblüht; aber auf den Wangen und um den Mund
lag der liebe Reiz und die ſanfte Schwermuth, die
an abgeblühten Frauen ſo rührend ſind, wenn gleich¬
ſam ein Himmel vergangener Schönheit hinter ihnen
liegt, der noch nachgeſpiegelt wird. Ich erkannte in
den Zügen die einſtige prangende Jugend.“

„„Guſtav,““ ſagte ſie, „„ſo ſehen wir uns wieder.
Ich konnte das Unrecht nicht mehr tragen, das ich dir
angethan habe.““

„„Es iſt kein Unrecht geſchehen, Mathilde,““
ſagte ich.“

„„Ja du biſt immer gut geweſen,““ antwortete ſie,
„„das wußte ich, darum bin ich gekommen. Du biſt
auch jezt gut, das ſagt dein liebes Auge, das noch ſo
ſchön iſt wie einſt, da es meine Wonne war. O ich
bitte dich, Guſtav, verzeihe mir.““

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[341/0355] einem Stuhle Plaz. Sie weinte fort; aber ihre Thränen wurden nach und nach linder. Ich ſprach nichts. Nachdem eine Zeit vergangen war, quollen ihre Tropfen ſparſamer und weniger aus den Augen, und endlich trocknete ſie die lezten mit ihrem Tuche ab. Wir ſaſſen nun ſchweigend da, und ſahen einan¬ der an. Sie mochte auf meine weißen Haare ſchauen, und ich blickte in ihr Angeſicht. Daſſelbe war ſchon verblüht; aber auf den Wangen und um den Mund lag der liebe Reiz und die ſanfte Schwermuth, die an abgeblühten Frauen ſo rührend ſind, wenn gleich¬ ſam ein Himmel vergangener Schönheit hinter ihnen liegt, der noch nachgeſpiegelt wird. Ich erkannte in den Zügen die einſtige prangende Jugend.“ „„Guſtav,““ ſagte ſie, „„ſo ſehen wir uns wieder. Ich konnte das Unrecht nicht mehr tragen, das ich dir angethan habe.““ „„Es iſt kein Unrecht geſchehen, Mathilde,““ ſagte ich.“ „„Ja du biſt immer gut geweſen,““ antwortete ſie, „„das wußte ich, darum bin ich gekommen. Du biſt auch jezt gut, das ſagt dein liebes Auge, das noch ſo ſchön iſt wie einſt, da es meine Wonne war. O ich bitte dich, Guſtav, verzeihe mir.““

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/355>, abgerufen am 03.05.2024.