Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

schmuck nicht zurück. Der Künstler der Gegenwart
kam zu Ehren.

"Es ist aber auch keiner in unserer Stadt und
vielleicht in weiten Kreisen, der so zeichnen kann,"
sagte mein Vater, "er huldigt keinem Zeitgeschmacke,
sondern nur der Wesenheit der Dinge, und hat ein
so tiefes Gemüth, daß der höchste Ernst und die höch¬
ste Schönheit daraus hervorblicken. Oft wehte es
mich aus seinen Gestalten so an wie aus den Nibe¬
lungen oder wie aus der Geschichte der Ottone.
Wenn dieser Mann nicht so bescheiden wäre, und
statt den Dingen, womit man ihn überhäuft, lieber
große Gemälde machte, er würde seines Gleichen jezt
nicht haben, und nur mit den größten Meistern der
Vergangenheit zusammengestellt werden können."

"Ein Schmuck in seinem Fache," sagte eine Stim¬
me, "ist doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch
mehr wie ein Rahmen ohne Bild."

"Freilich ist es so," entgegnete Risach, "man kann
jedes Ding nur an seinem Plaze beurtheilen, und da
mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten ist,

so wäre es nicht zu verwerfen -- -- Natta bist du
mein liebes Kind?"

"Vater, wie gerne!" antwortete diese.

ſchmuck nicht zurück. Der Künſtler der Gegenwart
kam zu Ehren.

„Es iſt aber auch keiner in unſerer Stadt und
vielleicht in weiten Kreiſen, der ſo zeichnen kann,“
ſagte mein Vater, „er huldigt keinem Zeitgeſchmacke,
ſondern nur der Weſenheit der Dinge, und hat ein
ſo tiefes Gemüth, daß der höchſte Ernſt und die höch¬
ſte Schönheit daraus hervorblicken. Oft wehte es
mich aus ſeinen Geſtalten ſo an wie aus den Nibe¬
lungen oder wie aus der Geſchichte der Ottone.
Wenn dieſer Mann nicht ſo beſcheiden wäre, und
ſtatt den Dingen, womit man ihn überhäuft, lieber
große Gemälde machte, er würde ſeines Gleichen jezt
nicht haben, und nur mit den größten Meiſtern der
Vergangenheit zuſammengeſtellt werden können.“

„Ein Schmuck in ſeinem Fache,“ ſagte eine Stim¬
me, „iſt doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch
mehr wie ein Rahmen ohne Bild.“

„Freilich iſt es ſo,“ entgegnete Riſach, „man kann
jedes Ding nur an ſeinem Plaze beurtheilen, und da
mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten iſt,

ſo wäre es nicht zu verwerfen — — Natta biſt du
mein liebes Kind?“

„Vater, wie gerne!“ antwortete dieſe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0435" n="421"/>
&#x017F;chmuck nicht zurück. Der Kün&#x017F;tler der Gegenwart<lb/>
kam zu Ehren.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t aber auch keiner in un&#x017F;erer Stadt und<lb/>
vielleicht in weiten Krei&#x017F;en, der &#x017F;o zeichnen kann,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte mein Vater, &#x201E;er huldigt keinem Zeitge&#x017F;chmacke,<lb/>
&#x017F;ondern nur der We&#x017F;enheit der Dinge, und hat ein<lb/>
&#x017F;o tiefes Gemüth, daß der höch&#x017F;te Ern&#x017F;t und die höch¬<lb/>
&#x017F;te Schönheit daraus hervorblicken. Oft wehte es<lb/>
mich aus &#x017F;einen Ge&#x017F;talten &#x017F;o an wie aus den Nibe¬<lb/>
lungen oder wie aus der Ge&#x017F;chichte der Ottone.<lb/>
Wenn die&#x017F;er Mann nicht &#x017F;o be&#x017F;cheiden wäre, und<lb/>
&#x017F;tatt den Dingen, womit man ihn überhäuft, lieber<lb/>
große Gemälde machte, er würde &#x017F;eines Gleichen jezt<lb/>
nicht haben, und nur mit den größten Mei&#x017F;tern der<lb/>
Vergangenheit zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt werden können.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ein Schmuck in &#x017F;einem Fache,&#x201C; &#x017F;agte eine Stim¬<lb/>
me, &#x201E;i&#x017F;t doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch<lb/>
mehr wie ein Rahmen ohne Bild.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Freilich i&#x017F;t es &#x017F;o,&#x201C; entgegnete Ri&#x017F;ach, &#x201E;man kann<lb/>
jedes Ding nur an &#x017F;einem Plaze beurtheilen, und da<lb/>
mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten i&#x017F;t,</p><lb/>
        <p>&#x017F;o wäre es nicht zu verwerfen &#x2014; &#x2014; Natta bi&#x017F;t du<lb/>
mein liebes Kind?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Vater, wie gerne!&#x201C; antwortete die&#x017F;e.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0435] ſchmuck nicht zurück. Der Künſtler der Gegenwart kam zu Ehren. „Es iſt aber auch keiner in unſerer Stadt und vielleicht in weiten Kreiſen, der ſo zeichnen kann,“ ſagte mein Vater, „er huldigt keinem Zeitgeſchmacke, ſondern nur der Weſenheit der Dinge, und hat ein ſo tiefes Gemüth, daß der höchſte Ernſt und die höch¬ ſte Schönheit daraus hervorblicken. Oft wehte es mich aus ſeinen Geſtalten ſo an wie aus den Nibe¬ lungen oder wie aus der Geſchichte der Ottone. Wenn dieſer Mann nicht ſo beſcheiden wäre, und ſtatt den Dingen, womit man ihn überhäuft, lieber große Gemälde machte, er würde ſeines Gleichen jezt nicht haben, und nur mit den größten Meiſtern der Vergangenheit zuſammengeſtellt werden können.“ „Ein Schmuck in ſeinem Fache,“ ſagte eine Stim¬ me, „iſt doch wie ein Bild ohne Rahmen, oder noch mehr wie ein Rahmen ohne Bild.“ „Freilich iſt es ſo,“ entgegnete Riſach, „man kann jedes Ding nur an ſeinem Plaze beurtheilen, und da mein Freund als mein Nebenbuhler aufgetreten iſt, ſo wäre es nicht zu verwerfen — — Natta biſt du mein liebes Kind?“ „Vater, wie gerne!“ antwortete dieſe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/435
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/435>, abgerufen am 14.05.2024.