Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

er inne, dann spielte er wieder, dann hielt er wieder
inne, und so fort. Es waren lauter Weisen, die er
selber ersonnen hatte, oder die ihm vielleicht eben in
dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er
spielte mit aller Kraft und Kunst, die ich an ihm so
oft bewundert hatte, ja er schien heute noch besser als
je zu spielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden
liebte als seine Zither. Alles, was sich in der Nähe
befand, lauschte unbeweglich, und nicht einmal ein
Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde
sah einmal auf Natalien hin und zwar so bedeut¬
sam, als wollte sie sagen: das haben wir nicht ge¬
hört, und das vermögen wir nicht hervorzubringen.
Die Zither war ein lebendiges Wesen, das in einer
Sprache sprach, die allen fremd war, und die alle
verstanden. Als die Töne endlich nicht mehr wieder
beginnen zu wollen schienen, trat ich mit Natalien
ins Gebüsch, und da saß mein Zitherspiellehrer an
einem Tischchen, und hatte seine Zither vor sich. Sein
Anzug war graues Tuch und sehr abgetragen, sein
grüner Hut lag neben der Zither auf dem Tische.

"Joseph, bist du wieder in der Gegend?" fragte
ich ihn.

er inne, dann ſpielte er wieder, dann hielt er wieder
inne, und ſo fort. Es waren lauter Weiſen, die er
ſelber erſonnen hatte, oder die ihm vielleicht eben in
dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er
ſpielte mit aller Kraft und Kunſt, die ich an ihm ſo
oft bewundert hatte, ja er ſchien heute noch beſſer als
je zu ſpielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden
liebte als ſeine Zither. Alles, was ſich in der Nähe
befand, lauſchte unbeweglich, und nicht einmal ein
Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde
ſah einmal auf Natalien hin und zwar ſo bedeut¬
ſam, als wollte ſie ſagen: das haben wir nicht ge¬
hört, und das vermögen wir nicht hervorzubringen.
Die Zither war ein lebendiges Weſen, das in einer
Sprache ſprach, die allen fremd war, und die alle
verſtanden. Als die Töne endlich nicht mehr wieder
beginnen zu wollen ſchienen, trat ich mit Natalien
ins Gebüſch, und da ſaß mein Zitherſpiellehrer an
einem Tiſchchen, und hatte ſeine Zither vor ſich. Sein
Anzug war graues Tuch und ſehr abgetragen, ſein
grüner Hut lag neben der Zither auf dem Tiſche.

„Joſeph, biſt du wieder in der Gegend?“ fragte
ich ihn.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0442" n="428"/>
er inne, dann &#x017F;pielte er wieder, dann hielt er wieder<lb/>
inne, und &#x017F;o fort. Es waren lauter Wei&#x017F;en, die er<lb/>
&#x017F;elber er&#x017F;onnen hatte, oder die ihm vielleicht eben in<lb/>
dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er<lb/>
&#x017F;pielte mit aller Kraft und Kun&#x017F;t, die ich an ihm &#x017F;o<lb/>
oft bewundert hatte, ja er &#x017F;chien heute noch be&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
je zu &#x017F;pielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden<lb/>
liebte als &#x017F;eine Zither. Alles, was &#x017F;ich in der Nähe<lb/>
befand, lau&#x017F;chte unbeweglich, und nicht einmal ein<lb/>
Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde<lb/>
&#x017F;ah einmal auf Natalien hin und zwar &#x017F;o bedeut¬<lb/>
&#x017F;am, als wollte &#x017F;ie &#x017F;agen: das haben wir nicht ge¬<lb/>
hört, und das vermögen wir nicht hervorzubringen.<lb/>
Die Zither war ein lebendiges We&#x017F;en, das in einer<lb/>
Sprache &#x017F;prach, die allen fremd war, und die alle<lb/>
ver&#x017F;tanden. Als die Töne endlich nicht mehr wieder<lb/>
beginnen zu wollen &#x017F;chienen, trat ich mit Natalien<lb/>
ins Gebü&#x017F;ch, und da &#x017F;aß mein Zither&#x017F;piellehrer an<lb/>
einem Ti&#x017F;chchen, und hatte &#x017F;eine Zither vor &#x017F;ich. Sein<lb/>
Anzug war graues Tuch und &#x017F;ehr abgetragen, &#x017F;ein<lb/>
grüner Hut lag neben der Zither auf dem Ti&#x017F;che.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jo&#x017F;eph, bi&#x017F;t du wieder in der Gegend?&#x201C; fragte<lb/>
ich ihn.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[428/0442] er inne, dann ſpielte er wieder, dann hielt er wieder inne, und ſo fort. Es waren lauter Weiſen, die er ſelber erſonnen hatte, oder die ihm vielleicht eben in dem Augenblicke in den Sinn gekommen waren. Er ſpielte mit aller Kraft und Kunſt, die ich an ihm ſo oft bewundert hatte, ja er ſchien heute noch beſſer als je zu ſpielen. Es war, als wenn er nichts auf Erden liebte als ſeine Zither. Alles, was ſich in der Nähe befand, lauſchte unbeweglich, und nicht einmal ein Zeichen eines Beifalles wurde laut. Nur Mathilde ſah einmal auf Natalien hin und zwar ſo bedeut¬ ſam, als wollte ſie ſagen: das haben wir nicht ge¬ hört, und das vermögen wir nicht hervorzubringen. Die Zither war ein lebendiges Weſen, das in einer Sprache ſprach, die allen fremd war, und die alle verſtanden. Als die Töne endlich nicht mehr wieder beginnen zu wollen ſchienen, trat ich mit Natalien ins Gebüſch, und da ſaß mein Zitherſpiellehrer an einem Tiſchchen, und hatte ſeine Zither vor ſich. Sein Anzug war graues Tuch und ſehr abgetragen, ſein grüner Hut lag neben der Zither auf dem Tiſche. „Joſeph, biſt du wieder in der Gegend?“ fragte ich ihn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/442
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/442>, abgerufen am 14.05.2024.