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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

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Der von der Großmutter vorausgesagte Wind
war noch immer nicht gekommen; aber dafür wurde
der Schneefall nach und nach so dicht, daß auch nicht
mehr die nächsten Bäume zu erkennen waren, sondern
daß sie wie neblige Säke in der Luft standen.

Die Kinder gingen fort. Sie dukten die Köpfe
dichter in ihre Kleider, und gingen fort.

Sanna nahm den Riemen, an welchem Konrad
die Kalbfelltasche um die Schulter hängen hatte, mit
den Händchen, hielt sich daran, und so gingen sie
ihres Weges.

Die Unglüksäule hatten sie noch immer nicht
erreicht. Der Knabe konnte die Zeit nicht ermessen,
weil keine Sonne am Himmel stand, und weil es
immer gleichmäßig grau war.

"Werden wir bald zu der Unglüksäule kommen?"
fragte Sanna.

"Ich weiß es nicht," antwortete der Knabe, "ich
kann heute die Bäume nicht sehen, und den Weg
nicht erkennen, weil er so weiß ist. Die Unglüksäule
werden wir wohl gar nicht sehen, weil so viel Schnee
liegen wird, daß sie verhüllt sein wird, und daß kaum
ein Gräschen oder ein Arm des schwarzen Kreuzes
hervor ragen wird. Aber es macht nichts. Wir gehen
immer auf dem Wege fort, der Weg geht zwischen

Der von der Großmutter vorausgeſagte Wind
war noch immer nicht gekommen; aber dafür wurde
der Schneefall nach und nach ſo dicht, daß auch nicht
mehr die nächſten Bäume zu erkennen waren, ſondern
daß ſie wie neblige Säke in der Luft ſtanden.

Die Kinder gingen fort. Sie dukten die Köpfe
dichter in ihre Kleider, und gingen fort.

Sanna nahm den Riemen, an welchem Konrad
die Kalbfelltaſche um die Schulter hängen hatte, mit
den Händchen, hielt ſich daran, und ſo gingen ſie
ihres Weges.

Die Unglükſäule hatten ſie noch immer nicht
erreicht. Der Knabe konnte die Zeit nicht ermeſſen,
weil keine Sonne am Himmel ſtand, und weil es
immer gleichmäßig grau war.

„Werden wir bald zu der Unglükſäule kommen?“
fragte Sanna.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete der Knabe, „ich
kann heute die Bäume nicht ſehen, und den Weg
nicht erkennen, weil er ſo weiß iſt. Die Unglükſäule
werden wir wohl gar nicht ſehen, weil ſo viel Schnee
liegen wird, daß ſie verhüllt ſein wird, und daß kaum
ein Gräschen oder ein Arm des ſchwarzen Kreuzes
hervor ragen wird. Aber es macht nichts. Wir gehen
immer auf dem Wege fort, der Weg geht zwiſchen

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[48/0059] Der von der Großmutter vorausgeſagte Wind war noch immer nicht gekommen; aber dafür wurde der Schneefall nach und nach ſo dicht, daß auch nicht mehr die nächſten Bäume zu erkennen waren, ſondern daß ſie wie neblige Säke in der Luft ſtanden. Die Kinder gingen fort. Sie dukten die Köpfe dichter in ihre Kleider, und gingen fort. Sanna nahm den Riemen, an welchem Konrad die Kalbfelltaſche um die Schulter hängen hatte, mit den Händchen, hielt ſich daran, und ſo gingen ſie ihres Weges. Die Unglükſäule hatten ſie noch immer nicht erreicht. Der Knabe konnte die Zeit nicht ermeſſen, weil keine Sonne am Himmel ſtand, und weil es immer gleichmäßig grau war. „Werden wir bald zu der Unglükſäule kommen?“ fragte Sanna. „Ich weiß es nicht,“ antwortete der Knabe, „ich kann heute die Bäume nicht ſehen, und den Weg nicht erkennen, weil er ſo weiß iſt. Die Unglükſäule werden wir wohl gar nicht ſehen, weil ſo viel Schnee liegen wird, daß ſie verhüllt ſein wird, und daß kaum ein Gräschen oder ein Arm des ſchwarzen Kreuzes hervor ragen wird. Aber es macht nichts. Wir gehen immer auf dem Wege fort, der Weg geht zwiſchen

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/59>, abgerufen am 30.04.2024.