Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

"Der Tag ist kurz, wie die Großmutter gesagt
hat, und wie du auch wissen wirst, wir müssen uns
daher sputen."

"Ja Konrad," sagte das Mädchen.

"Warte ein wenig, ich will dich besser einrichten,"
erwiederte der Knabe.

Er nahm seinen Hut ab, sezte ihn Sanna auf
das Haupt, und befestigte ihn mit den beiden Bänd¬
chen unter ihrem Kinne. Das Tüchlein, welches sie
um hatte, schüzte sie zu wenig, während auf seinem
Haupte eine solche Menge dichter Loken war, daß
noch lange Schnee darauf fallen konnte, ehe Nässe
und Kälte durchzudringen vermochten. Dann zog er
sein Pelzjäkchen aus, und zog dasselbe über die Är¬
melein der Schwester. Um seine eigenen Schultern
und Arme, die jezt das blosse Hemd zeigten, band er
das kleinere Tüchlein, das Sanna über die Brust,
und das größere, das sie über die Schultern gehabt
hatte. Das sei für ihn genug, dachte er, wenn er
nur stark auftrete, werde ihn nicht frieren.

Er nahm das Mädchen bei der Hand, und so
gingen sie jezt fort.

Das Mädchen schaute mit den willigen Äuglein
in das ringsum herrschende Grau, und folgte ihm
gerne, nur daß es mit den kleinen eilenden Füßlein

4 *

„Der Tag iſt kurz, wie die Großmutter geſagt
hat, und wie du auch wiſſen wirſt, wir müſſen uns
daher ſputen.“

„Ja Konrad,“ ſagte das Mädchen.

„Warte ein wenig, ich will dich beſſer einrichten,“
erwiederte der Knabe.

Er nahm ſeinen Hut ab, ſezte ihn Sanna auf
das Haupt, und befeſtigte ihn mit den beiden Bänd¬
chen unter ihrem Kinne. Das Tüchlein, welches ſie
um hatte, ſchüzte ſie zu wenig, während auf ſeinem
Haupte eine ſolche Menge dichter Loken war, daß
noch lange Schnee darauf fallen konnte, ehe Näſſe
und Kälte durchzudringen vermochten. Dann zog er
ſein Pelzjäkchen aus, und zog dasſelbe über die Är¬
melein der Schweſter. Um ſeine eigenen Schultern
und Arme, die jezt das bloſſe Hemd zeigten, band er
das kleinere Tüchlein, das Sanna über die Bruſt,
und das größere, das ſie über die Schultern gehabt
hatte. Das ſei für ihn genug, dachte er, wenn er
nur ſtark auftrete, werde ihn nicht frieren.

Er nahm das Mädchen bei der Hand, und ſo
gingen ſie jezt fort.

Das Mädchen ſchaute mit den willigen Äuglein
in das ringsum herrſchende Grau, und folgte ihm
gerne, nur daß es mit den kleinen eilenden Füßlein

4 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0062" n="51"/>
        <p>&#x201E;Der Tag i&#x017F;t kurz, wie die Großmutter ge&#x017F;agt<lb/>
hat, und wie du auch wi&#x017F;&#x017F;en wir&#x017F;t, wir mü&#x017F;&#x017F;en uns<lb/>
daher &#x017F;puten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja Konrad,&#x201C; &#x017F;agte das Mädchen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warte ein wenig, ich will dich be&#x017F;&#x017F;er einrichten,&#x201C;<lb/>
erwiederte der Knabe.</p><lb/>
        <p>Er nahm &#x017F;einen Hut ab, &#x017F;ezte ihn Sanna auf<lb/>
das Haupt, und befe&#x017F;tigte ihn mit den beiden Bänd¬<lb/>
chen unter ihrem Kinne. Das Tüchlein, welches &#x017F;ie<lb/>
um hatte, &#x017F;chüzte &#x017F;ie zu wenig, während auf &#x017F;einem<lb/>
Haupte eine &#x017F;olche Menge dichter Loken war, daß<lb/>
noch lange Schnee darauf fallen konnte, ehe Nä&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Kälte durchzudringen vermochten. Dann zog er<lb/>
&#x017F;ein Pelzjäkchen aus, und zog das&#x017F;elbe über die Är¬<lb/>
melein der Schwe&#x017F;ter. Um &#x017F;eine eigenen Schultern<lb/>
und Arme, die jezt das blo&#x017F;&#x017F;e Hemd zeigten, band er<lb/>
das kleinere Tüchlein, das Sanna über die Bru&#x017F;t,<lb/>
und das größere, das &#x017F;ie über die Schultern gehabt<lb/>
hatte. Das &#x017F;ei für ihn genug, dachte er, wenn er<lb/>
nur &#x017F;tark auftrete, werde ihn nicht frieren.</p><lb/>
        <p>Er nahm das Mädchen bei der Hand, und &#x017F;o<lb/>
gingen &#x017F;ie jezt fort.</p><lb/>
        <p>Das Mädchen &#x017F;chaute mit den willigen Äuglein<lb/>
in das ringsum herr&#x017F;chende Grau, und folgte ihm<lb/>
gerne, nur daß es mit den kleinen eilenden Füßlein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0062] „Der Tag iſt kurz, wie die Großmutter geſagt hat, und wie du auch wiſſen wirſt, wir müſſen uns daher ſputen.“ „Ja Konrad,“ ſagte das Mädchen. „Warte ein wenig, ich will dich beſſer einrichten,“ erwiederte der Knabe. Er nahm ſeinen Hut ab, ſezte ihn Sanna auf das Haupt, und befeſtigte ihn mit den beiden Bänd¬ chen unter ihrem Kinne. Das Tüchlein, welches ſie um hatte, ſchüzte ſie zu wenig, während auf ſeinem Haupte eine ſolche Menge dichter Loken war, daß noch lange Schnee darauf fallen konnte, ehe Näſſe und Kälte durchzudringen vermochten. Dann zog er ſein Pelzjäkchen aus, und zog dasſelbe über die Är¬ melein der Schweſter. Um ſeine eigenen Schultern und Arme, die jezt das bloſſe Hemd zeigten, band er das kleinere Tüchlein, das Sanna über die Bruſt, und das größere, das ſie über die Schultern gehabt hatte. Das ſei für ihn genug, dachte er, wenn er nur ſtark auftrete, werde ihn nicht frieren. Er nahm das Mädchen bei der Hand, und ſo gingen ſie jezt fort. Das Mädchen ſchaute mit den willigen Äuglein in das ringsum herrſchende Grau, und folgte ihm gerne, nur daß es mit den kleinen eilenden Füßlein 4 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/62
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/62>, abgerufen am 01.05.2024.