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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853.

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"Sanna," sagte der Knabe, "wir können nicht mehr
hinab gehen, weil es Nacht geworden ist, und weil
wir fallen, oder gar in eine Grube gerathen könnten.
Wir werden da unter die Steine hinein gehen, wo
es so troken und so warm ist, und da werden wir
warten. Die Sonne geht bald wieder auf, dann
laufen wir hinunter. Weine nicht, ich bitte dich recht
schön, weine nicht, ich gebe dir alle Dinge zu essen,
welche uns die Großmutter mitgegeben hat."

Sie weinte auch nicht, sondern nachdem sie beide
unter das steinerne Überdach hinein gegangen waren,
wo sie nicht nur bequem sizen, sondern auch stehen,
und herumgehen konnten, sezte sie sich recht dicht an ihn,
und war mäuschenstille.

"Die Mutter," sagte Konrad, "wird nicht böse
sein, wir werden ihr von dem vielen Schnee erzählen,
der uns aufgehalten hat, und sie wird nichts sagen;
der Vater auch nicht. Wenn uns kalt wird -- weißt
du -- dann mußt du mit den Händen an deinen Leib
schlagen, wie die Holzhauer gethan haben, und dann
wird dir wärmer werden."

"Ja Konrad," sagte das Mädchen.

Sanna war nicht gar so untröstlich, daß sie heute
nicht mehr über den Berg hinab gingen, und nach
Hause liefen, wie er etwa glauben mochte; denn die

„Sanna,“ ſagte der Knabe, „wir können nicht mehr
hinab gehen, weil es Nacht geworden iſt, und weil
wir fallen, oder gar in eine Grube gerathen könnten.
Wir werden da unter die Steine hinein gehen, wo
es ſo troken und ſo warm iſt, und da werden wir
warten. Die Sonne geht bald wieder auf, dann
laufen wir hinunter. Weine nicht, ich bitte dich recht
ſchön, weine nicht, ich gebe dir alle Dinge zu eſſen,
welche uns die Großmutter mitgegeben hat.“

Sie weinte auch nicht, ſondern nachdem ſie beide
unter das ſteinerne Überdach hinein gegangen waren,
wo ſie nicht nur bequem ſizen, ſondern auch ſtehen,
und herumgehen konnten, ſezte ſie ſich recht dicht an ihn,
und war mäuschenſtille.

„Die Mutter,“ ſagte Konrad, „wird nicht böſe
ſein, wir werden ihr von dem vielen Schnee erzählen,
der uns aufgehalten hat, und ſie wird nichts ſagen;
der Vater auch nicht. Wenn uns kalt wird — weißt
du — dann mußt du mit den Händen an deinen Leib
ſchlagen, wie die Holzhauer gethan haben, und dann
wird dir wärmer werden.“

„Ja Konrad,“ ſagte das Mädchen.

Sanna war nicht gar ſo untröſtlich, daß ſie heute
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[64/0075] „Sanna,“ ſagte der Knabe, „wir können nicht mehr hinab gehen, weil es Nacht geworden iſt, und weil wir fallen, oder gar in eine Grube gerathen könnten. Wir werden da unter die Steine hinein gehen, wo es ſo troken und ſo warm iſt, und da werden wir warten. Die Sonne geht bald wieder auf, dann laufen wir hinunter. Weine nicht, ich bitte dich recht ſchön, weine nicht, ich gebe dir alle Dinge zu eſſen, welche uns die Großmutter mitgegeben hat.“ Sie weinte auch nicht, ſondern nachdem ſie beide unter das ſteinerne Überdach hinein gegangen waren, wo ſie nicht nur bequem ſizen, ſondern auch ſtehen, und herumgehen konnten, ſezte ſie ſich recht dicht an ihn, und war mäuschenſtille. „Die Mutter,“ ſagte Konrad, „wird nicht böſe ſein, wir werden ihr von dem vielen Schnee erzählen, der uns aufgehalten hat, und ſie wird nichts ſagen; der Vater auch nicht. Wenn uns kalt wird — weißt du — dann mußt du mit den Händen an deinen Leib ſchlagen, wie die Holzhauer gethan haben, und dann wird dir wärmer werden.“ „Ja Konrad,“ ſagte das Mädchen. Sanna war nicht gar ſo untröſtlich, daß ſie heute nicht mehr über den Berg hinab gingen, und nach Hauſe liefen, wie er etwa glauben mochte; denn die

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/75>, abgerufen am 30.04.2024.