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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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Anbruch des Tages findet sie ein russisches
Frühstück bereit, und ihren Wagen zur Abreise
fertig. Ihr Abschied von diesem Räubervolk
war eine der sonderbarsten moralischen Karri-
katuren. Mit dem Eingeständniß ihrer straf-
baren Handlung erhält sie von diesen Menschen
zugleich die Versicherung, daß sie und alle
Durchreisende, die ihren Namen nennen wür-
den, gut aufgenommen und mit Sicherheit be-
herbergt werden sollten; ein Versprechen, wel-
ches mit den rohen aber unverstellten Beweisen
einer herzlichen Zuneigung vergesellschaftet war.

Die Polizey von St. Petersburg hat
eine sehr einfache und zweckmäßige Organisa-
tion. Außer dem Gouverneur, dessen Wirk-
samkeit sich natürlich auch in Rücksicht der Re-
sidenz auf alle Gegenstände des öffentlichen
Wohls erstreckt, ist der Oberpolizeymei-
ster
der eigentliche Chef der ganzen Polizey-
verfassung. Seine Thätigkeit ist, bey dem gro-
ßen Umfange dieser Bestimmung, doch nur auf
die allgemeinen Gegenstände der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung begrenzt. Er ist hier
nicht, wie in andern großen Städten, der fürch-
terliche Mitwisser der Familiengeheimnisse und

Anbruch des Tages findet ſie ein ruſſiſches
Fruͤhſtuͤck bereit, und ihren Wagen zur Abreiſe
fertig. Ihr Abſchied von dieſem Raͤubervolk
war eine der ſonderbarſten moraliſchen Karri-
katuren. Mit dem Eingeſtaͤndniß ihrer ſtraf-
baren Handlung erhaͤlt ſie von dieſen Menſchen
zugleich die Verſicherung, daß ſie und alle
Durchreiſende, die ihren Namen nennen wuͤr-
den, gut aufgenommen und mit Sicherheit be-
herbergt werden ſollten; ein Verſprechen, wel-
ches mit den rohen aber unverſtellten Beweiſen
einer herzlichen Zuneigung vergeſellſchaftet war.

Die Polizey von St. Petersburg hat
eine ſehr einfache und zweckmaͤßige Organiſa-
tion. Außer dem Gouverneur, deſſen Wirk-
ſamkeit ſich natuͤrlich auch in Ruͤckſicht der Re-
ſidenz auf alle Gegenſtaͤnde des oͤffentlichen
Wohls erſtreckt, iſt der Oberpolizeymei-
ſter
der eigentliche Chef der ganzen Polizey-
verfaſſung. Seine Thaͤtigkeit iſt, bey dem gro-
ßen Umfange dieſer Beſtimmung, doch nur auf
die allgemeinen Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen
Sicherheit und Ordnung begrenzt. Er iſt hier
nicht, wie in andern großen Staͤdten, der fuͤrch-
terliche Mitwiſſer der Familiengeheimniſſe und

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[171/0205] Anbruch des Tages findet ſie ein ruſſiſches Fruͤhſtuͤck bereit, und ihren Wagen zur Abreiſe fertig. Ihr Abſchied von dieſem Raͤubervolk war eine der ſonderbarſten moraliſchen Karri- katuren. Mit dem Eingeſtaͤndniß ihrer ſtraf- baren Handlung erhaͤlt ſie von dieſen Menſchen zugleich die Verſicherung, daß ſie und alle Durchreiſende, die ihren Namen nennen wuͤr- den, gut aufgenommen und mit Sicherheit be- herbergt werden ſollten; ein Verſprechen, wel- ches mit den rohen aber unverſtellten Beweiſen einer herzlichen Zuneigung vergeſellſchaftet war. Die Polizey von St. Petersburg hat eine ſehr einfache und zweckmaͤßige Organiſa- tion. Außer dem Gouverneur, deſſen Wirk- ſamkeit ſich natuͤrlich auch in Ruͤckſicht der Re- ſidenz auf alle Gegenſtaͤnde des oͤffentlichen Wohls erſtreckt, iſt der Oberpolizeymei- ſter der eigentliche Chef der ganzen Polizey- verfaſſung. Seine Thaͤtigkeit iſt, bey dem gro- ßen Umfange dieſer Beſtimmung, doch nur auf die allgemeinen Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen Sicherheit und Ordnung begrenzt. Er iſt hier nicht, wie in andern großen Staͤdten, der fuͤrch- terliche Mitwiſſer der Familiengeheimniſſe und

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/205>, abgerufen am 28.04.2024.