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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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Unter den übrigen Gefängnissen, deren über-
haupt nur drey sind, ist das Polizeygefäng-
niß
das merkwürdigste. Dieses Haus, welches
man gewöhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe-
mals die Kanzelley derselben war, ist seiner
jetzigen Bestimmung nach, der vorzüglichste
Verwahrungsort für alle Straffällige mit de-
nen es die Polizey zu thun hat. Man findet
hier also ungerichtete Verbrecher aller Art, bö-
se Schuldner, Bankerotteurs, falsche Spie-
ler, Händelmacher, Betrüger, Diebe, Nacht-
schwärmer von allen Glaubenssekten und von
allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un-
ter einander. Dieses Beysammenseyn einer so
sonderbaren Menschengattung ist die Quelle
sehr sonderbarer Wirkungen. Der Reichere
erkauft sich Bequemlichkeiten vom Aermern; der
Verschmitzte überlistet den Einfältigen; ausge-
sondert von der menschlichen Gesellschaft bildet
sich innerhalb dieser Mauern eine kleine Repu-
blik, in welcher die beyden großen Hebel der
menschlichen Thätigkeit, Bedürfniß und Lei-
denschaft, ihre Rolle so gut als ausserhalb
spielen. So wucherte vor einigen Jahren ein
Bewohner dieses Hauses mit den Geheimnissen

Erster Theil. N

Unter den uͤbrigen Gefaͤngniſſen, deren uͤber-
haupt nur drey ſind, iſt das Polizeygefaͤng-
niß
das merkwuͤrdigſte. Dieſes Haus, welches
man gewoͤhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe-
mals die Kanzelley derſelben war, iſt ſeiner
jetzigen Beſtimmung nach, der vorzuͤglichſte
Verwahrungsort fuͤr alle Straffaͤllige mit de-
nen es die Polizey zu thun hat. Man findet
hier alſo ungerichtete Verbrecher aller Art, boͤ-
ſe Schuldner, Bankerotteurs, falſche Spie-
ler, Haͤndelmacher, Betruͤger, Diebe, Nacht-
ſchwaͤrmer von allen Glaubensſekten und von
allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un-
ter einander. Dieſes Beyſammenſeyn einer ſo
ſonderbaren Menſchengattung iſt die Quelle
ſehr ſonderbarer Wirkungen. Der Reichere
erkauft ſich Bequemlichkeiten vom Aermern; der
Verſchmitzte uͤberliſtet den Einfaͤltigen; ausge-
ſondert von der menſchlichen Geſellſchaft bildet
ſich innerhalb dieſer Mauern eine kleine Repu-
blik, in welcher die beyden großen Hebel der
menſchlichen Thaͤtigkeit, Beduͤrfniß und Lei-
denſchaft, ihre Rolle ſo gut als auſſerhalb
ſpielen. So wucherte vor einigen Jahren ein
Bewohner dieſes Hauſes mit den Geheimniſſen

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[193/0227] Unter den uͤbrigen Gefaͤngniſſen, deren uͤber- haupt nur drey ſind, iſt das Polizeygefaͤng- niß das merkwuͤrdigſte. Dieſes Haus, welches man gewoͤhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe- mals die Kanzelley derſelben war, iſt ſeiner jetzigen Beſtimmung nach, der vorzuͤglichſte Verwahrungsort fuͤr alle Straffaͤllige mit de- nen es die Polizey zu thun hat. Man findet hier alſo ungerichtete Verbrecher aller Art, boͤ- ſe Schuldner, Bankerotteurs, falſche Spie- ler, Haͤndelmacher, Betruͤger, Diebe, Nacht- ſchwaͤrmer von allen Glaubensſekten und von allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un- ter einander. Dieſes Beyſammenſeyn einer ſo ſonderbaren Menſchengattung iſt die Quelle ſehr ſonderbarer Wirkungen. Der Reichere erkauft ſich Bequemlichkeiten vom Aermern; der Verſchmitzte uͤberliſtet den Einfaͤltigen; ausge- ſondert von der menſchlichen Geſellſchaft bildet ſich innerhalb dieſer Mauern eine kleine Repu- blik, in welcher die beyden großen Hebel der menſchlichen Thaͤtigkeit, Beduͤrfniß und Lei- denſchaft, ihre Rolle ſo gut als auſſerhalb ſpielen. So wucherte vor einigen Jahren ein Bewohner dieſes Hauſes mit den Geheimniſſen Erſter Theil. N

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/227>, abgerufen am 27.04.2024.