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Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

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"Dich wird er zu der Mutter seines Sohnes weisen; er, der Verfluchte, geht zum tiefsten Grund der Höhlen. Thu Dein Gebet, daß Gott sein Bild aus Deiner Seele reiße!"

Da antwortete sie nicht mehr; aber ihre Hände hob sie betend auf, und flehend, daß kein Menschenherz ihr hätte widerstehen können, sprach sie: "Hilf Du mir, lieber Herregott! Nimm ihn mir nicht! Ich könnt' sonst nicht in Deinem Himmel leben!"

Der starke Mann fiel nieder auf die Knie. "Sprich, Kind! Sprich alles, was Du willst!"

Sie hatte sich mit beiden Armen aufgestemmt, mit aufgerissenen Augen sah sie ihren Vater an: "Rolf Lembeck!" flüsterte sie heiser. "Weiter nichts!" Sie hatte dem Tod die Worte abgerungen; nicht Dagmar war es, nur ein Gespenst von Dagmar saß an ihrer Stelle. "Lad' ihn zu meiner Leiche, Vater! Sein Aug' soll auf mir ruhen; noch einmal! Dann" - die Stimme brach ihr plötzlich - "laß ihn ziehn in Frieden!"

Ihr Mund ward stumm; sie sank auf ihre Kissen.

Die Base war inzwischen leis hereingetreten und kniete neben ihr. "O Kind, in solcher Thörniß willst Du uns verlassen!" murmelten die alten Lippen;

„Dich wird er zu der Mutter seines Sohnes weisen; er, der Verfluchte, geht zum tiefsten Grund der Höhlen. Thu Dein Gebet, daß Gott sein Bild aus Deiner Seele reiße!“

Da antwortete sie nicht mehr; aber ihre Hände hob sie betend auf, und flehend, daß kein Menschenherz ihr hätte widerstehen können, sprach sie: „Hilf Du mir, lieber Herregott! Nimm ihn mir nicht! Ich könnt’ sonst nicht in Deinem Himmel leben!“

Der starke Mann fiel nieder auf die Knie. „Sprich, Kind! Sprich alles, was Du willst!“

Sie hatte sich mit beiden Armen aufgestemmt, mit aufgerissenen Augen sah sie ihren Vater an: „Rolf Lembeck!“ flüsterte sie heiser. „Weiter nichts!“ Sie hatte dem Tod die Worte abgerungen; nicht Dagmar war es, nur ein Gespenst von Dagmar saß an ihrer Stelle. „Lad’ ihn zu meiner Leiche, Vater! Sein Aug’ soll auf mir ruhen; noch einmal! Dann“ – die Stimme brach ihr plötzlich – „laß ihn ziehn in Frieden!“

Ihr Mund ward stumm; sie sank auf ihre Kissen.

Die Base war inzwischen leis hereingetreten und kniete neben ihr. „O Kind, in solcher Thörniß willst Du uns verlassen!“ murmelten die alten Lippen;

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[202/0206] „Dich wird er zu der Mutter seines Sohnes weisen; er, der Verfluchte, geht zum tiefsten Grund der Höhlen. Thu Dein Gebet, daß Gott sein Bild aus Deiner Seele reiße!“ Da antwortete sie nicht mehr; aber ihre Hände hob sie betend auf, und flehend, daß kein Menschenherz ihr hätte widerstehen können, sprach sie: „Hilf Du mir, lieber Herregott! Nimm ihn mir nicht! Ich könnt’ sonst nicht in Deinem Himmel leben!“ Der starke Mann fiel nieder auf die Knie. „Sprich, Kind! Sprich alles, was Du willst!“ Sie hatte sich mit beiden Armen aufgestemmt, mit aufgerissenen Augen sah sie ihren Vater an: „Rolf Lembeck!“ flüsterte sie heiser. „Weiter nichts!“ Sie hatte dem Tod die Worte abgerungen; nicht Dagmar war es, nur ein Gespenst von Dagmar saß an ihrer Stelle. „Lad’ ihn zu meiner Leiche, Vater! Sein Aug’ soll auf mir ruhen; noch einmal! Dann“ – die Stimme brach ihr plötzlich – „laß ihn ziehn in Frieden!“ Ihr Mund ward stumm; sie sank auf ihre Kissen. Die Base war inzwischen leis hereingetreten und kniete neben ihr. „O Kind, in solcher Thörniß willst Du uns verlassen!“ murmelten die alten Lippen;

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Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/206>, abgerufen am 11.05.2024.