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Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

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als stünde er im Maiensonnenschein am Steuerrad und der Südwind wehte durch seine dunklen Locken. Die holte ich aus meiner Schatulle und legte sie vor ihr hin; "Da, Anna, hast Du Deinen Vater; es war, by Jove, derzeit ein herrlicher Junge!"

Ein heißes Roth flog über das blasse Gesicht, und ihre Augen strahlten für einen Augenblick. "Darf ich sie lesen!" rief sie, und da ich nickte: "darf ich sie auch mit mir nach unten nehmen?"

"Gern," sagte ich, "wenn Du sie hier nicht lesen willst."

Sie schüttelte den Kopf und sah mich mit ihren düsteren Augen bittend an; das hätte einen Stein erbarmen können. "So geh!" sagte ich.

Da nahm sie die Briefe, raffte ihr Nähzeug zusammen, und ich hörte, wie sie draußen die Treppe hinabflog. Ich hörte die Stubenthür im Unterhause öffnen und schließen; sie war wohl dort nicht mehr allein nun; denn die Todten - wer kann's wissen, wenn eine Kinderstimme so ins Grab hinunterschreit!

- - Es gingen wohl acht Tage hin, daß sie nicht zu mir kam; dann pochte eines Abends wieder ihre kleine Hand an meine Stubenthür. "Darf ich hineinkommen, Ohm?"

als stünde er im Maiensonnenschein am Steuerrad und der Südwind wehte durch seine dunklen Locken. Die holte ich aus meiner Schatulle und legte sie vor ihr hin; „Da, Anna, hast Du Deinen Vater; es war, by Jove, derzeit ein herrlicher Junge!“

Ein heißes Roth flog über das blasse Gesicht, und ihre Augen strahlten für einen Augenblick. „Darf ich sie lesen!“ rief sie, und da ich nickte: „darf ich sie auch mit mir nach unten nehmen?“

„Gern,“ sagte ich, „wenn Du sie hier nicht lesen willst.“

Sie schüttelte den Kopf und sah mich mit ihren düsteren Augen bittend an; das hätte einen Stein erbarmen können. „So geh!“ sagte ich.

Da nahm sie die Briefe, raffte ihr Nähzeug zusammen, und ich hörte, wie sie draußen die Treppe hinabflog. Ich hörte die Stubenthür im Unterhause öffnen und schließen; sie war wohl dort nicht mehr allein nun; denn die Todten – wer kann’s wissen, wenn eine Kinderstimme so ins Grab hinunterschreit!

– – Es gingen wohl acht Tage hin, daß sie nicht zu mir kam; dann pochte eines Abends wieder ihre kleine Hand an meine Stubenthür. „Darf ich hineinkommen, Ohm?“

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[76/0080] als stünde er im Maiensonnenschein am Steuerrad und der Südwind wehte durch seine dunklen Locken. Die holte ich aus meiner Schatulle und legte sie vor ihr hin; „Da, Anna, hast Du Deinen Vater; es war, by Jove, derzeit ein herrlicher Junge!“ Ein heißes Roth flog über das blasse Gesicht, und ihre Augen strahlten für einen Augenblick. „Darf ich sie lesen!“ rief sie, und da ich nickte: „darf ich sie auch mit mir nach unten nehmen?“ „Gern,“ sagte ich, „wenn Du sie hier nicht lesen willst.“ Sie schüttelte den Kopf und sah mich mit ihren düsteren Augen bittend an; das hätte einen Stein erbarmen können. „So geh!“ sagte ich. Da nahm sie die Briefe, raffte ihr Nähzeug zusammen, und ich hörte, wie sie draußen die Treppe hinabflog. Ich hörte die Stubenthür im Unterhause öffnen und schließen; sie war wohl dort nicht mehr allein nun; denn die Todten – wer kann’s wissen, wenn eine Kinderstimme so ins Grab hinunterschreit! – – Es gingen wohl acht Tage hin, daß sie nicht zu mir kam; dann pochte eines Abends wieder ihre kleine Hand an meine Stubenthür. „Darf ich hineinkommen, Ohm?“

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Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/80>, abgerufen am 11.05.2024.