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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 62.
hier eine Vermengung der Zeiten in ihren Berichten vor-
ausgesezt werden: doch nur wenn kein andrer Ausweg
möglich, d. h. wenn es auf keine Weise denkbar ist, wie
Jesus zu gleicher Zeit jene politisch klingenden und diese
alles Politische scheinbar ausschliessenden Aussprüche ge-
than haben kann.

Diess scheint jedoch keineswegs undenkbar, sondern
ein kath zesthai epi thronous für sich und seine Jünger konnte
Jesus verheissen, ohne durch eine politische Revolution
sich dieser Würde bemächtigen zu wollen, wenn er auf
eine von Gott zu bewirkende Revolution wartete, welche
den erforderlichen Umschwung der Dinge herbeiführen soll-
te. Diess liegt schon darin, dass Jesus jenes richterliche
Auftreten seiner Jünger in die paliggenesia versezt; denn
diese ist ebensowenig eine politische Umwälzung als eine
sittliche Wiedergeburt, sondern es ist die Auferstehung
der Todten, welche Gott durch den Messias bewirken und
damit die messianische Zeit eröffnen wird 3). Allerdings
also erwartete Jesus, den Thron Davids wiederherzustel-
len und mit seinen Jüngern ein befreites Volk zu beherr-
schen: aber keineswegs sezte er dabei auf das Schwert
menschlicher Anhänger seine Hoffnung (Luc. 22, 38. Matth.
26, 52.), sondern auf die Engellegionen, welche sein himm-
lischer Vater ihm senden könne (Matth. 26, 53.). Wo im-
mer er von dem Antritt seiner messianischen Herrlichkeit
spricht, sind es Engel und himmlische Mächte, mit welchen
er sich umgiebt (Matth. 16, 27. 24, 39 f. 25, 31. Joh. 1, 52.);
vor der Majestät des in den Wolken des Himmels kom-
menden Menschensohns werden sich die Völker ohne Schwert-
streich beugen, und auf den Ruf der Engelposaune sich
sammt den auferstehenden Todten ihm und seinen Zwölfen
zum Gerichte stellen. Diess Alles wollte Jesus nicht eigen-
willig herbeiführen, sondern überliess es dem himmlischen

3) s. Fritzsche, in Matth. S. 606 f.

Viertes Kapitel. §. 62.
hier eine Vermengung der Zeiten in ihren Berichten vor-
ausgesezt werden: doch nur wenn kein andrer Ausweg
möglich, d. h. wenn es auf keine Weise denkbar ist, wie
Jesus zu gleicher Zeit jene politisch klingenden und diese
alles Politische scheinbar ausschliessenden Aussprüche ge-
than haben kann.

Dieſs scheint jedoch keineswegs undenkbar, sondern
ein καϑ ζεσϑαι ἐπὶ ϑρόνους für sich und seine Jünger konnte
Jesus verheiſsen, ohne durch eine politische Revolution
sich dieser Würde bemächtigen zu wollen, wenn er auf
eine von Gott zu bewirkende Revolution wartete, welche
den erforderlichen Umschwung der Dinge herbeiführen soll-
te. Dieſs liegt schon darin, daſs Jesus jenes richterliche
Auftreten seiner Jünger in die παλιγγενεσία versezt; denn
diese ist ebensowenig eine politische Umwälzung als eine
sittliche Wiedergeburt, sondern es ist die Auferstehung
der Todten, welche Gott durch den Messias bewirken und
damit die messianische Zeit eröffnen wird 3). Allerdings
also erwartete Jesus, den Thron Davids wiederherzustel-
len und mit seinen Jüngern ein befreites Volk zu beherr-
schen: aber keineswegs sezte er dabei auf das Schwert
menschlicher Anhänger seine Hoffnung (Luc. 22, 38. Matth.
26, 52.), sondern auf die Engellegionen, welche sein himm-
lischer Vater ihm senden könne (Matth. 26, 53.). Wo im-
mer er von dem Antritt seiner messianischen Herrlichkeit
spricht, sind es Engel und himmlische Mächte, mit welchen
er sich umgiebt (Matth. 16, 27. 24, 39 f. 25, 31. Joh. 1, 52.);
vor der Majestät des in den Wolken des Himmels kom-
menden Menschensohns werden sich die Völker ohne Schwert-
streich beugen, und auf den Ruf der Engelposaune sich
sammt den auferstehenden Todten ihm und seinen Zwölfen
zum Gerichte stellen. Dieſs Alles wollte Jesus nicht eigen-
willig herbeiführen, sondern überlieſs es dem himmlischen

3) s. Fritzsche, in Matth. S. 606 f.
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[493/0517] Viertes Kapitel. §. 62. hier eine Vermengung der Zeiten in ihren Berichten vor- ausgesezt werden: doch nur wenn kein andrer Ausweg möglich, d. h. wenn es auf keine Weise denkbar ist, wie Jesus zu gleicher Zeit jene politisch klingenden und diese alles Politische scheinbar ausschliessenden Aussprüche ge- than haben kann. Dieſs scheint jedoch keineswegs undenkbar, sondern ein καϑ ζεσϑαι ἐπὶ ϑρόνους für sich und seine Jünger konnte Jesus verheiſsen, ohne durch eine politische Revolution sich dieser Würde bemächtigen zu wollen, wenn er auf eine von Gott zu bewirkende Revolution wartete, welche den erforderlichen Umschwung der Dinge herbeiführen soll- te. Dieſs liegt schon darin, daſs Jesus jenes richterliche Auftreten seiner Jünger in die παλιγγενεσία versezt; denn diese ist ebensowenig eine politische Umwälzung als eine sittliche Wiedergeburt, sondern es ist die Auferstehung der Todten, welche Gott durch den Messias bewirken und damit die messianische Zeit eröffnen wird 3). Allerdings also erwartete Jesus, den Thron Davids wiederherzustel- len und mit seinen Jüngern ein befreites Volk zu beherr- schen: aber keineswegs sezte er dabei auf das Schwert menschlicher Anhänger seine Hoffnung (Luc. 22, 38. Matth. 26, 52.), sondern auf die Engellegionen, welche sein himm- lischer Vater ihm senden könne (Matth. 26, 53.). Wo im- mer er von dem Antritt seiner messianischen Herrlichkeit spricht, sind es Engel und himmlische Mächte, mit welchen er sich umgiebt (Matth. 16, 27. 24, 39 f. 25, 31. Joh. 1, 52.); vor der Majestät des in den Wolken des Himmels kom- menden Menschensohns werden sich die Völker ohne Schwert- streich beugen, und auf den Ruf der Engelposaune sich sammt den auferstehenden Todten ihm und seinen Zwölfen zum Gerichte stellen. Dieſs Alles wollte Jesus nicht eigen- willig herbeiführen, sondern überlieſs es dem himmlischen 3) s. Fritzsche, in Matth. S. 606 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/517>, abgerufen am 26.04.2024.