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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
7, 14. in der ersten christlichen Kirche auf Jesum bezogen
wurde. Jesus, dachte man, muss als Messias, dieser
Stelle zufolge, von einer Jungfrau durch Gotteskraft ge-
boren sein; was sein musste, schloss man, ist auch wirk-
lich geschehen, und so entstand ein philosophischer (dog-
matischer) Mythus über die Geburt Jesu. Seiner wirkli-
chen Geschichte nach ist dann Jesus, dieser Erklärungsart
zufolge, aus einer ordentlichen Ehe Josephs und der Maria
entsprossen, womit, wie mit Recht bemerkt wird, eben-
sowohl die Würde Jesu als die schuldige Achtung gegen
seine Mutter besteht.

Man hat also, um sich die Entstehung eines solchen
Mythus zu erklären, an die Neigung der alten Welt ge-
dacht, grosse Männer und Wohlthäter ihres Geschlechts
als Göttersöhne darzustellen. Die Beispiele sind von den
Theologen reichlich beigebracht. Namentlich aus der grie-
chisch-römischen Mythologie und Geschichte hat man an
Herkules und die Dioskuren erinnert, an Romulus und
Alexander, vor Allen aber an Pythagoras 2) und Plato 3),
von deren Lezterem Hieronymus, ganz auch auf Jesum
anwendbar, sagt: sapientiae principem non aliter arbi-
trantur, nisi de partu virginis editum
4). Wenn man
aus diesen Beispielen schliessen möchte, dass wohl auch
die Erzählung von der übernatürlichen Erzeugung Jesu,
ohne historischen Grund, aus einer ähnlichen Neigung her-
vorgegangen sein dürfte: so vereinigen sich Orthodoxe
und Rationalisten, jene Analogie nicht gelten zu lassen,
wiewohl aus sehr verschiedenen Gründen. Wenn bei Ori-
genes nicht viel fehlt, dass er um der Gleichartigkeit der
beiderseitigen Erzählungen willen auch die heidnischen Sa-
gen von Göttersöhnen für wahre Wundergeschichten hiel-

2) Jamblich. vita Pythagorae, cap. 2. ed. Kiessling.
3) Diog. Laert. III, 2, 3.
4) adv. Jovin. 1, 26.

Erster Abschnitt.
7, 14. in der ersten christlichen Kirche auf Jesum bezogen
wurde. Jesus, dachte man, muſs als Messias, dieser
Stelle zufolge, von einer Jungfrau durch Gotteskraft ge-
boren sein; was sein muſste, schloſs man, ist auch wirk-
lich geschehen, und so entstand ein philosophischer (dog-
matischer) Mythus über die Geburt Jesu. Seiner wirkli-
chen Geschichte nach ist dann Jesus, dieser Erklärungsart
zufolge, aus einer ordentlichen Ehe Josephs und der Maria
entsprossen, womit, wie mit Recht bemerkt wird, eben-
sowohl die Würde Jesu als die schuldige Achtung gegen
seine Mutter besteht.

Man hat also, um sich die Entstehung eines solchen
Mythus zu erklären, an die Neigung der alten Welt ge-
dacht, groſse Männer und Wohlthäter ihres Geschlechts
als Göttersöhne darzustellen. Die Beispiele sind von den
Theologen reichlich beigebracht. Namentlich aus der grie-
chisch-römischen Mythologie und Geschichte hat man an
Herkules und die Dioskuren erinnert, an Romulus und
Alexander, vor Allen aber an Pythagoras 2) und Plato 3),
von deren Lezterem Hieronymus, ganz auch auf Jesum
anwendbar, sagt: sapientiae principem non aliter arbi-
trantur, nisi de partu virginis editum
4). Wenn man
aus diesen Beispielen schlieſsen möchte, daſs wohl auch
die Erzählung von der übernatürlichen Erzeugung Jesu,
ohne historischen Grund, aus einer ähnlichen Neigung her-
vorgegangen sein dürfte: so vereinigen sich Orthodoxe
und Rationalisten, jene Analogie nicht gelten zu lassen,
wiewohl aus sehr verschiedenen Gründen. Wenn bei Ori-
genes nicht viel fehlt, daſs er um der Gleichartigkeit der
beiderseitigen Erzählungen willen auch die heidnischen Sa-
gen von Göttersöhnen für wahre Wundergeschichten hiel-

2) Jamblich. vita Pythagorae, cap. 2. ed. Kiessling.
3) Diog. Laërt. III, 2, 3.
4) adv. Jovin. 1, 26.
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[174/0198] Erster Abschnitt. 7, 14. in der ersten christlichen Kirche auf Jesum bezogen wurde. Jesus, dachte man, muſs als Messias, dieser Stelle zufolge, von einer Jungfrau durch Gotteskraft ge- boren sein; was sein muſste, schloſs man, ist auch wirk- lich geschehen, und so entstand ein philosophischer (dog- matischer) Mythus über die Geburt Jesu. Seiner wirkli- chen Geschichte nach ist dann Jesus, dieser Erklärungsart zufolge, aus einer ordentlichen Ehe Josephs und der Maria entsprossen, womit, wie mit Recht bemerkt wird, eben- sowohl die Würde Jesu als die schuldige Achtung gegen seine Mutter besteht. Man hat also, um sich die Entstehung eines solchen Mythus zu erklären, an die Neigung der alten Welt ge- dacht, groſse Männer und Wohlthäter ihres Geschlechts als Göttersöhne darzustellen. Die Beispiele sind von den Theologen reichlich beigebracht. Namentlich aus der grie- chisch-römischen Mythologie und Geschichte hat man an Herkules und die Dioskuren erinnert, an Romulus und Alexander, vor Allen aber an Pythagoras 2) und Plato 3), von deren Lezterem Hieronymus, ganz auch auf Jesum anwendbar, sagt: sapientiae principem non aliter arbi- trantur, nisi de partu virginis editum 4). Wenn man aus diesen Beispielen schlieſsen möchte, daſs wohl auch die Erzählung von der übernatürlichen Erzeugung Jesu, ohne historischen Grund, aus einer ähnlichen Neigung her- vorgegangen sein dürfte: so vereinigen sich Orthodoxe und Rationalisten, jene Analogie nicht gelten zu lassen, wiewohl aus sehr verschiedenen Gründen. Wenn bei Ori- genes nicht viel fehlt, daſs er um der Gleichartigkeit der beiderseitigen Erzählungen willen auch die heidnischen Sa- gen von Göttersöhnen für wahre Wundergeschichten hiel- 2) Jamblich. vita Pythagorae, cap. 2. ed. Kiessling. 3) Diog. Laërt. III, 2, 3. 4) adv. Jovin. 1, 26.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/198>, abgerufen am 28.04.2024.