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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
umgekehrte Änderung vorzunehmen 9). Auch Kirchenvä-
ter und Apokryphen lassen nach dieser Andeutung des Mar-
kus Jesum seinem Vater in dessen Geschäft an die Hand
gehen. Justin legt besondern Werth darauf, dass Jesus
Pflüge und Joche, als Sinnbilder des thätigen Lebens und
der Gerechtigkeit, verfertigt habe 10); nach dem arabischen
Kindheitsevangelium geht Jesus mit Joseph an den Orten,
wo dieser Arbeit hatte, umher, um ihm in der Art zu hel-
fen, dass er, wenn Joseph etwas zu lang oder zu kurz ge-
macht hatte, durch Berührung oder blosses Ausstrecken der
Hand der Sache die rechte Grösse gab; eine Nachhülfe,
welche dem Pflegevater Jesu zu Statten kam, weil er, wie
das Apokryphum, als wäre auch für ihn jenes Handwerk
zu gemein gewesen, naiv bemerkt: nec admodum peritus
erat artis fabrilis
11). -- Abgesehen von diesen apokry-
phischen Ausmalungen hat jene Nachricht über die Jugend-
Beschäftigung Jesu Vieles für sich. Einmal die Zusammen-
stimmung mit der jüdischen Sitte, nach welcher auch der
zu einer gelehrten oder überhaupt geistigen Laufbahn Be-
stimmte nebenher ein Gewerbe zu lernen pflegte, wie der
Rabbinenzögling Paulus zugleich ein skenopoios ten tekhnen
war (A. G. 18, 3.). Da wir überdiess nach unsern bisheri-
gen Resultaten von ausserordentlichen Erwartungen und
Planen, welche die Eltern Jesu in Bezug auf ihren Sohn
gehabt hätten, nichts historisch wissen: so ist nichts na-
türlicher, als die Annahme, dass Jesus frühzeitig zu dem
Geschäfte des Vaters angehalten worden sei. Ferner konn-
ten die Christen eher ein Interesse haben, sich gegen die-
se Ansicht von der früheren Beschäftigung ihres Messias

9) s. Paulus, exeg. Handb. 2, S. 199.
10) a. a. O.: tauta gar ta tektonika erga eirgazeto en
anthropois on, arotra kai zuga; dia touton kai ta tes
dikaiosunes sumbola didaskon, kai energe bion.
11) cap. 38.

Erster Abschnitt.
umgekehrte Änderung vorzunehmen 9). Auch Kirchenvä-
ter und Apokryphen lassen nach dieser Andeutung des Mar-
kus Jesum seinem Vater in dessen Geschäft an die Hand
gehen. Justin legt besondern Werth darauf, daſs Jesus
Pflüge und Joche, als Sinnbilder des thätigen Lebens und
der Gerechtigkeit, verfertigt habe 10); nach dem arabischen
Kindheitsevangelium geht Jesus mit Joseph an den Orten,
wo dieser Arbeit hatte, umher, um ihm in der Art zu hel-
fen, daſs er, wenn Joseph etwas zu lang oder zu kurz ge-
macht hatte, durch Berührung oder bloſses Ausstrecken der
Hand der Sache die rechte Gröſse gab; eine Nachhülfe,
welche dem Pflegevater Jesu zu Statten kam, weil er, wie
das Apokryphum, als wäre auch für ihn jenes Handwerk
zu gemein gewesen, naiv bemerkt: nec admodum peritus
erat artis fabrilis
11). — Abgesehen von diesen apokry-
phischen Ausmalungen hat jene Nachricht über die Jugend-
Beschäftigung Jesu Vieles für sich. Einmal die Zusammen-
stimmung mit der jüdischen Sitte, nach welcher auch der
zu einer gelehrten oder überhaupt geistigen Laufbahn Be-
stimmte nebenher ein Gewerbe zu lernen pflegte, wie der
Rabbinenzögling Paulus zugleich ein σκηνοποιὸς τὴν τέχνην
war (A. G. 18, 3.). Da wir überdieſs nach unsern bisheri-
gen Resultaten von ausserordentlichen Erwartungen und
Planen, welche die Eltern Jesu in Bezug auf ihren Sohn
gehabt hätten, nichts historisch wissen: so ist nichts na-
türlicher, als die Annahme, daſs Jesus frühzeitig zu dem
Geschäfte des Vaters angehalten worden sei. Ferner konn-
ten die Christen eher ein Interesse haben, sich gegen die-
se Ansicht von der früheren Beschäftigung ihres Messias

9) s. Paulus, exeg. Handb. 2, S. 199.
10) a. a. O.: ταῦτα γὰρ τὰ τεκτονικὰ ἔργα εἰργάζετο ἐν
ἀνϑρώποις ὢν, ἄροτρα καὶ ζυγά· διὰ τούτων καὶ τὰ τῆς
δικαιοσύνης σύμβολα διδάσκων, καὶ ἐνεργῆ βίον.
11) cap. 38.
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[296/0320] Erster Abschnitt. umgekehrte Änderung vorzunehmen 9). Auch Kirchenvä- ter und Apokryphen lassen nach dieser Andeutung des Mar- kus Jesum seinem Vater in dessen Geschäft an die Hand gehen. Justin legt besondern Werth darauf, daſs Jesus Pflüge und Joche, als Sinnbilder des thätigen Lebens und der Gerechtigkeit, verfertigt habe 10); nach dem arabischen Kindheitsevangelium geht Jesus mit Joseph an den Orten, wo dieser Arbeit hatte, umher, um ihm in der Art zu hel- fen, daſs er, wenn Joseph etwas zu lang oder zu kurz ge- macht hatte, durch Berührung oder bloſses Ausstrecken der Hand der Sache die rechte Gröſse gab; eine Nachhülfe, welche dem Pflegevater Jesu zu Statten kam, weil er, wie das Apokryphum, als wäre auch für ihn jenes Handwerk zu gemein gewesen, naiv bemerkt: nec admodum peritus erat artis fabrilis 11). — Abgesehen von diesen apokry- phischen Ausmalungen hat jene Nachricht über die Jugend- Beschäftigung Jesu Vieles für sich. Einmal die Zusammen- stimmung mit der jüdischen Sitte, nach welcher auch der zu einer gelehrten oder überhaupt geistigen Laufbahn Be- stimmte nebenher ein Gewerbe zu lernen pflegte, wie der Rabbinenzögling Paulus zugleich ein σκηνοποιὸς τὴν τέχνην war (A. G. 18, 3.). Da wir überdieſs nach unsern bisheri- gen Resultaten von ausserordentlichen Erwartungen und Planen, welche die Eltern Jesu in Bezug auf ihren Sohn gehabt hätten, nichts historisch wissen: so ist nichts na- türlicher, als die Annahme, daſs Jesus frühzeitig zu dem Geschäfte des Vaters angehalten worden sei. Ferner konn- ten die Christen eher ein Interesse haben, sich gegen die- se Ansicht von der früheren Beschäftigung ihres Messias 9) s. Paulus, exeg. Handb. 2, S. 199. 10) a. a. O.: ταῦτα γὰρ τὰ τεκτονικὰ ἔργα εἰργάζετο ἐν ἀνϑρώποις ὢν, ἄροτρα καὶ ζυγά· διὰ τούτων καὶ τὰ τῆς δικαιοσύνης σύμβολα διδάσκων, καὶ ἐνεργῆ βίον. 11) cap. 38.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/320>, abgerufen am 27.04.2024.