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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
pers sich nicht erfreute, zusprechen, ein Gleiches zu thun?
oder wenn er durch ein blosses Wort den Leib des Petrus
vom Gesez der Schwere dispensiren konnte, ist er dann
noch ein Mensch? und wenn ein Gott, wird dieser auf
den Einfall eines Menschen hin so spielend Naturgesetze
cessiren lassen? oder endlich, soll der Glaube die Kraft
haben, augenblicklich den Körper des Gläubigen leichter
zu machen? Der Glaube hat freilich eine solche Kraft, näm-
lich in der kaum erwähnten bildlichen Rede Jesu, nach wel-
cher der Gläubige Berge und Bäume in's Meer zu versetzen, --
und warum nicht auch auf dem Meere zu wandeln? -- im
Stande ist. Und dass nun, sobald der Glaube weiche, auch
das Gelingen aufhöre, diess konnte in keinem der zwei er-
steren Bilder so geschickt dargestellt werden, wie in dem
lezten durch die Wendung: so lange einer Glauben habe,
vermöge er ungefährdet auf dem wogenden Meere einher-
zuschreiten, sobald er aber Zweifeln Raum gebe, sinke er
unter, wenn nicht Christus helfend ihm die Hand reiche.
Das also werden die Grundgedanken der von Matthäus ein-
geschobenen Erzählung sein, dass Petrus auf die Festigkeit
seines Glaubens zu viel vertraut habe, durch das plözliche
Schwachwerden desselben in grosse Gefahr gekommen,
aber durch Jesus gerettet worden sei, ein Gedanke, wel-
cher sich Luc. 22, 31 f. wirklich ausgesprochen findet,
wenn Jesus zu Simon sagt: o satanas exetesato umas tou
suniasai os ton sitons ego de edeethen peri souina me
ekleipe e pisis sou. Diess sagt Jesus dem Petrus mit Be-
zug auf seine bevorstehende Verleugnung: diese war der
Fall, wo sein Glaube, kraft dessen er sich so eben noch
erboten hatte, mit Jesu kai eis phulaken kai eis thanaton
poreuesthai, wankend wurde, wenn nicht der Herr durch
seine Fürbitte ihm neue Stärke verschafft hätte. Nehmen
wir dazu die schon erwähnte Neigung der ersten christli-
chen Zeit, die den Christen anfechtende Welt unter dem
Bilde eines wilden Meeres darzustellen: so werden wir

Zweiter Abschnitt.
pers sich nicht erfreute, zusprechen, ein Gleiches zu thun?
oder wenn er durch ein bloſses Wort den Leib des Petrus
vom Gesez der Schwere dispensiren konnte, ist er dann
noch ein Mensch? und wenn ein Gott, wird dieser auf
den Einfall eines Menschen hin so spielend Naturgesetze
cessiren lassen? oder endlich, soll der Glaube die Kraft
haben, augenblicklich den Körper des Gläubigen leichter
zu machen? Der Glaube hat freilich eine solche Kraft, näm-
lich in der kaum erwähnten bildlichen Rede Jesu, nach wel-
cher der Gläubige Berge und Bäume in's Meer zu versetzen, —
und warum nicht auch auf dem Meere zu wandeln? — im
Stande ist. Und daſs nun, sobald der Glaube weiche, auch
das Gelingen aufhöre, dieſs konnte in keinem der zwei er-
steren Bilder so geschickt dargestellt werden, wie in dem
lezten durch die Wendung: so lange einer Glauben habe,
vermöge er ungefährdet auf dem wogenden Meere einher-
zuschreiten, sobald er aber Zweifeln Raum gebe, sinke er
unter, wenn nicht Christus helfend ihm die Hand reiche.
Das also werden die Grundgedanken der von Matthäus ein-
geschobenen Erzählung sein, daſs Petrus auf die Festigkeit
seines Glaubens zu viel vertraut habe, durch das plözliche
Schwachwerden desselben in groſse Gefahr gekommen,
aber durch Jesus gerettet worden sei, ein Gedanke, wel-
cher sich Luc. 22, 31 f. wirklich ausgesprochen findet,
wenn Jesus zu Simon sagt: ὁ σατανᾶς ἐξῃτήσατο ὑμᾶς τοῦ
συνιᾶσαι ὡς τὸν σῖτονς ἐγὼ δὲ ἐδεήϑην περὶ σοῦἵνα μὴ
ἐκλείπῃ ἡ πίςις σου. Dieſs sagt Jesus dem Petrus mit Be-
zug auf seine bevorstehende Verleugnung: diese war der
Fall, wo sein Glaube, kraft dessen er sich so eben noch
erboten hatte, mit Jesu καὶ εἰς φυλακὴν καὶ εἰς ϑάνατον
πορεύεσϑαι, wankend wurde, wenn nicht der Herr durch
seine Fürbitte ihm neue Stärke verschafft hätte. Nehmen
wir dazu die schon erwähnte Neigung der ersten christli-
chen Zeit, die den Christen anfechtende Welt unter dem
Bilde eines wilden Meeres darzustellen: so werden wir

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[186/0205] Zweiter Abschnitt. pers sich nicht erfreute, zusprechen, ein Gleiches zu thun? oder wenn er durch ein bloſses Wort den Leib des Petrus vom Gesez der Schwere dispensiren konnte, ist er dann noch ein Mensch? und wenn ein Gott, wird dieser auf den Einfall eines Menschen hin so spielend Naturgesetze cessiren lassen? oder endlich, soll der Glaube die Kraft haben, augenblicklich den Körper des Gläubigen leichter zu machen? Der Glaube hat freilich eine solche Kraft, näm- lich in der kaum erwähnten bildlichen Rede Jesu, nach wel- cher der Gläubige Berge und Bäume in's Meer zu versetzen, — und warum nicht auch auf dem Meere zu wandeln? — im Stande ist. Und daſs nun, sobald der Glaube weiche, auch das Gelingen aufhöre, dieſs konnte in keinem der zwei er- steren Bilder so geschickt dargestellt werden, wie in dem lezten durch die Wendung: so lange einer Glauben habe, vermöge er ungefährdet auf dem wogenden Meere einher- zuschreiten, sobald er aber Zweifeln Raum gebe, sinke er unter, wenn nicht Christus helfend ihm die Hand reiche. Das also werden die Grundgedanken der von Matthäus ein- geschobenen Erzählung sein, daſs Petrus auf die Festigkeit seines Glaubens zu viel vertraut habe, durch das plözliche Schwachwerden desselben in groſse Gefahr gekommen, aber durch Jesus gerettet worden sei, ein Gedanke, wel- cher sich Luc. 22, 31 f. wirklich ausgesprochen findet, wenn Jesus zu Simon sagt: ὁ σατανᾶς ἐξῃτήσατο ὑμᾶς τοῦ συνιᾶσαι ὡς τὸν σῖτονς ἐγὼ δὲ ἐδεήϑην περὶ σοῦἵνα μὴ ἐκλείπῃ ἡ πίςις σου. Dieſs sagt Jesus dem Petrus mit Be- zug auf seine bevorstehende Verleugnung: diese war der Fall, wo sein Glaube, kraft dessen er sich so eben noch erboten hatte, mit Jesu καὶ εἰς φυλακὴν καὶ εἰς ϑάνατον πορεύεσϑαι, wankend wurde, wenn nicht der Herr durch seine Fürbitte ihm neue Stärke verschafft hätte. Nehmen wir dazu die schon erwähnte Neigung der ersten christli- chen Zeit, die den Christen anfechtende Welt unter dem Bilde eines wilden Meeres darzustellen: so werden wir

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/205>, abgerufen am 29.04.2024.