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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
kai angeknüpft ist, kann doch nur adversativ in dem Sinn
genommen werden, dass es zur wirklichen Aufnahme Jesu in
das Schiff unerachtet der Bereitwilligkeit der Jünger doch
nicht gekommen sei, weil sie sich bereits am Ufer befunden
haben. In Betracht dieser Differenz hat Chrysostomus zwei
verschiedene Gänge Jesu auf dem Meer angenommen, und
wenn er sagt, bei dem zweiten Fall, den Johannes erzäh-
le, sei Jesus nicht in das Schiff gestiegen, ina to thauma
meizon ergasetai 17): so werden wir diese Absicht auf
den Evangelisten übertragend sagen, wenn Markus das
Wunder dadurch vergrössert habe, dass er Jesu die Ab-
sicht, an den Jüngern vorbei über den ganzen See hinüber-
zuwandeln, unterlegte: so gehe Johannes noch weiter, in-
dem er ihn diese Absicht wirklich ausführen, und ohne
Aufnahme in das Schiff bis an das jenseitige Ufer gelan-
gen lasse. -- Doch nicht nur zu vergrössern, sondern auch
fester zu begründen und zu constatiren hat der vierte Evan-
gelist das vorliegende Wunder gesucht. Nach den Syn-
optikern sind die einzigen Gewährsmänner desselben die
Jünger, welche Jesum auf dem Meer daherschreiten sa-
hen: Johannes fügt zu diesen wenigen unmittelbaren Ge-
währsmännern eine Masse von mittelbaren hinzu, näm-
lich das Volk, das bei der Speisung versammelt gewesen
war. Dieses nämlich, wie es am andern Morgen Jesum
nicht mehr an Ort und Stelle findet, berechnet nach ihm,
1) zu Schiff könne Jesus nicht über den See gekommen sein,
denn a) das Fahrzeug der Jünger habe er nicht mitbestie-
gen (V. 22.), b) ein andres Fahrzeug sei nicht dagewesen
(ebendas.); dass er aber 2) auch nicht zu Land hinüber-
gekommen sei, ist darin enthalten, dass das Volk, als es
sofort über den See fährt, ihn bereits am jenseitigen Ufer
findet (V. 25.), wohin er zu Lande in der kurzen Zwi-
schenzeit schwerlich gelangen konnte. So bleibt in der

17) Homil. in Joann. 43.

Zweiter Abschnitt.
καὶ angeknüpft ist, kann doch nur adversativ in dem Sinn
genommen werden, daſs es zur wirklichen Aufnahme Jesu in
das Schiff unerachtet der Bereitwilligkeit der Jünger doch
nicht gekommen sei, weil sie sich bereits am Ufer befunden
haben. In Betracht dieser Differenz hat Chrysostomus zwei
verschiedene Gänge Jesu auf dem Meer angenommen, und
wenn er sagt, bei dem zweiten Fall, den Johannes erzäh-
le, sei Jesus nicht in das Schiff gestiegen, ἵνα τὸ ϑαῦμα
μεῖζον ἐργάσηται 17): so werden wir diese Absicht auf
den Evangelisten übertragend sagen, wenn Markus das
Wunder dadurch vergrössert habe, daſs er Jesu die Ab-
sicht, an den Jüngern vorbei über den ganzen See hinüber-
zuwandeln, unterlegte: so gehe Johannes noch weiter, in-
dem er ihn diese Absicht wirklich ausführen, und ohne
Aufnahme in das Schiff bis an das jenseitige Ufer gelan-
gen lasse. — Doch nicht nur zu vergrössern, sondern auch
fester zu begründen und zu constatiren hat der vierte Evan-
gelist das vorliegende Wunder gesucht. Nach den Syn-
optikern sind die einzigen Gewährsmänner desselben die
Jünger, welche Jesum auf dem Meer daherschreiten sa-
hen: Johannes fügt zu diesen wenigen unmittelbaren Ge-
währsmännern eine Masse von mittelbaren hinzu, näm-
lich das Volk, das bei der Speisung versammelt gewesen
war. Dieses nämlich, wie es am andern Morgen Jesum
nicht mehr an Ort und Stelle findet, berechnet nach ihm,
1) zu Schiff könne Jesus nicht über den See gekommen sein,
denn a) das Fahrzeug der Jünger habe er nicht mitbestie-
gen (V. 22.), b) ein andres Fahrzeug sei nicht dagewesen
(ebendas.); daſs er aber 2) auch nicht zu Land hinüber-
gekommen sei, ist darin enthalten, daſs das Volk, als es
sofort über den See fährt, ihn bereits am jenseitigen Ufer
findet (V. 25.), wohin er zu Lande in der kurzen Zwi-
schenzeit schwerlich gelangen konnte. So bleibt in der

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[188/0207] Zweiter Abschnitt. καὶ angeknüpft ist, kann doch nur adversativ in dem Sinn genommen werden, daſs es zur wirklichen Aufnahme Jesu in das Schiff unerachtet der Bereitwilligkeit der Jünger doch nicht gekommen sei, weil sie sich bereits am Ufer befunden haben. In Betracht dieser Differenz hat Chrysostomus zwei verschiedene Gänge Jesu auf dem Meer angenommen, und wenn er sagt, bei dem zweiten Fall, den Johannes erzäh- le, sei Jesus nicht in das Schiff gestiegen, ἵνα τὸ ϑαῦμα μεῖζον ἐργάσηται 17): so werden wir diese Absicht auf den Evangelisten übertragend sagen, wenn Markus das Wunder dadurch vergrössert habe, daſs er Jesu die Ab- sicht, an den Jüngern vorbei über den ganzen See hinüber- zuwandeln, unterlegte: so gehe Johannes noch weiter, in- dem er ihn diese Absicht wirklich ausführen, und ohne Aufnahme in das Schiff bis an das jenseitige Ufer gelan- gen lasse. — Doch nicht nur zu vergrössern, sondern auch fester zu begründen und zu constatiren hat der vierte Evan- gelist das vorliegende Wunder gesucht. Nach den Syn- optikern sind die einzigen Gewährsmänner desselben die Jünger, welche Jesum auf dem Meer daherschreiten sa- hen: Johannes fügt zu diesen wenigen unmittelbaren Ge- währsmännern eine Masse von mittelbaren hinzu, näm- lich das Volk, das bei der Speisung versammelt gewesen war. Dieses nämlich, wie es am andern Morgen Jesum nicht mehr an Ort und Stelle findet, berechnet nach ihm, 1) zu Schiff könne Jesus nicht über den See gekommen sein, denn a) das Fahrzeug der Jünger habe er nicht mitbestie- gen (V. 22.), b) ein andres Fahrzeug sei nicht dagewesen (ebendas.); daſs er aber 2) auch nicht zu Land hinüber- gekommen sei, ist darin enthalten, daſs das Volk, als es sofort über den See fährt, ihn bereits am jenseitigen Ufer findet (V. 25.), wohin er zu Lande in der kurzen Zwi- schenzeit schwerlich gelangen konnte. So bleibt in der 17) Homil. in Joann. 43.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/207>, abgerufen am 29.04.2024.