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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 97.
konnte weder Geldmangel sein: denn wenn auch damals
gerade kein Vorrath in der gemeinsamen Kasse war, so
befand sich doch Jesus in dem befreundeten Kapernaum,
wo er auf natürlichem Weg zu dem nöthigen Gelde gelan-
gen konnte, man müsste denn mit Olshausen das Entleh-
nen durch Zusammenwerfen mit dem Betteln gegen das
von Jesu zu beobachtende decorum divinum finden; noch
konnte Jesus nach so vielen Proben seiner Wunderkraft
auch dieses Wunder noch nöthig finden, um den Petrus
im Glauben an seine Messianität zu bestärken.

Desswegen ist es nicht zu verwundern, wenn ratio-
nalistische Ausleger gesucht haben, eines Wunders, das
auch Olshausen das schwierigste in der ganzen evangeli-
schen Geschichte nennt, um jeden Preis sich zu entledigen:
es kommt nur auf die Art an, wie sie diess angegriffen
haben. Der Nerv der natürlichen Erklärung des Faktums
liegt darin, dass man in der Anweisung Jesu das eureseis
nicht vom unmittelbaren Finden eines Staters im Fische,
sondern von einem mittelbaren Erwerben dieses Geldbe-
trags durch Verkauf des Erangelten versteht 25). Dass das
angezeigte Wort auch diese Bedeutung haben kann, ist zu-
zugeben, nur muss, dass es diese und nicht seine gewöhn-
liche Bedeutung habe, im einzelnen Falle aus dem Zusam-
menhang erhellen. Wenn es also in unsrem Fall hiesse:
nimm den ersten besten Fisch, trage ihn auf den Markt,
kakei eureseis satera, so wäre jene Erklärung an der
Stelle; da statt dessen dem eureseis vielmehr ein anoixas
to soma autou vorhergeht, da also nicht ein Ort zum Ver-
kaufen, sondern nur ein Ort am Fisch angegeben ist, wo
der Stater erlangt werden sollte, so kann nur an ein
unmittelbares Finden des Geldstücks in diesem Theile des
Fischs gedacht werden 26). Wozu wäre auch das Öffnen

25) Paulus, ex. Handb. 2, 502 ff. vgl. Hase, L. J. §. 111.
26) vgl. Storr im Flatt'schen Magazin, 2, S. 68. ff.
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Neuntes Kapitel. §. 97.
konnte weder Geldmangel sein: denn wenn auch damals
gerade kein Vorrath in der gemeinsamen Kasse war, so
befand sich doch Jesus in dem befreundeten Kapernaum,
wo er auf natürlichem Weg zu dem nöthigen Gelde gelan-
gen konnte, man müſste denn mit Olshausen das Entleh-
nen durch Zusammenwerfen mit dem Betteln gegen das
von Jesu zu beobachtende decorum divinum finden; noch
konnte Jesus nach so vielen Proben seiner Wunderkraft
auch dieses Wunder noch nöthig finden, um den Petrus
im Glauben an seine Messianität zu bestärken.

Deſswegen ist es nicht zu verwundern, wenn ratio-
nalistische Ausleger gesucht haben, eines Wunders, das
auch Olshausen das schwierigste in der ganzen evangeli-
schen Geschichte nennt, um jeden Preis sich zu entledigen:
es kommt nur auf die Art an, wie sie dieſs angegriffen
haben. Der Nerv der natürlichen Erklärung des Faktums
liegt darin, daſs man in der Anweisung Jesu das εὑρήσεις
nicht vom unmittelbaren Finden eines Staters im Fische,
sondern von einem mittelbaren Erwerben dieses Geldbe-
trags durch Verkauf des Erangelten versteht 25). Daſs das
angezeigte Wort auch diese Bedeutung haben kann, ist zu-
zugeben, nur muſs, daſs es diese und nicht seine gewöhn-
liche Bedeutung habe, im einzelnen Falle aus dem Zusam-
menhang erhellen. Wenn es also in unsrem Fall hieſse:
nimm den ersten besten Fisch, trage ihn auf den Markt,
κἀκεῖ εὑρήσεις ςατῆρα, so wäre jene Erklärung an der
Stelle; da statt dessen dem εὑρήσεις vielmehr ein ἀνοίξας
τὸ ςόμα αὐτοῦ vorhergeht, da also nicht ein Ort zum Ver-
kaufen, sondern nur ein Ort am Fisch angegeben ist, wo
der Stater erlangt werden sollte, so kann nur an ein
unmittelbares Finden des Geldstücks in diesem Theile des
Fischs gedacht werden 26). Wozu wäre auch das Öffnen

25) Paulus, ex. Handb. 2, 502 ff. vgl. Hase, L. J. §. 111.
26) vgl. Storr im Flatt'schen Magazin, 2, S. 68. ff.
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[195/0214] Neuntes Kapitel. §. 97. konnte weder Geldmangel sein: denn wenn auch damals gerade kein Vorrath in der gemeinsamen Kasse war, so befand sich doch Jesus in dem befreundeten Kapernaum, wo er auf natürlichem Weg zu dem nöthigen Gelde gelan- gen konnte, man müſste denn mit Olshausen das Entleh- nen durch Zusammenwerfen mit dem Betteln gegen das von Jesu zu beobachtende decorum divinum finden; noch konnte Jesus nach so vielen Proben seiner Wunderkraft auch dieses Wunder noch nöthig finden, um den Petrus im Glauben an seine Messianität zu bestärken. Deſswegen ist es nicht zu verwundern, wenn ratio- nalistische Ausleger gesucht haben, eines Wunders, das auch Olshausen das schwierigste in der ganzen evangeli- schen Geschichte nennt, um jeden Preis sich zu entledigen: es kommt nur auf die Art an, wie sie dieſs angegriffen haben. Der Nerv der natürlichen Erklärung des Faktums liegt darin, daſs man in der Anweisung Jesu das εὑρήσεις nicht vom unmittelbaren Finden eines Staters im Fische, sondern von einem mittelbaren Erwerben dieses Geldbe- trags durch Verkauf des Erangelten versteht 25). Daſs das angezeigte Wort auch diese Bedeutung haben kann, ist zu- zugeben, nur muſs, daſs es diese und nicht seine gewöhn- liche Bedeutung habe, im einzelnen Falle aus dem Zusam- menhang erhellen. Wenn es also in unsrem Fall hieſse: nimm den ersten besten Fisch, trage ihn auf den Markt, κἀκεῖ εὑρήσεις ςατῆρα, so wäre jene Erklärung an der Stelle; da statt dessen dem εὑρήσεις vielmehr ein ἀνοίξας τὸ ςόμα αὐτοῦ vorhergeht, da also nicht ein Ort zum Ver- kaufen, sondern nur ein Ort am Fisch angegeben ist, wo der Stater erlangt werden sollte, so kann nur an ein unmittelbares Finden des Geldstücks in diesem Theile des Fischs gedacht werden 26). Wozu wäre auch das Öffnen 25) Paulus, ex. Handb. 2, 502 ff. vgl. Hase, L. J. §. 111. 26) vgl. Storr im Flatt'schen Magazin, 2, S. 68. ff. 13 *

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/214>, abgerufen am 29.04.2024.