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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
Moses rief, bis dieser endlich in die Wolke zu ihm hin-
eingieng (V. 16--18.): so haben wir auch in unsrer Er-
zählung eine nephele photos, welche Jesum und die himm-
lischen Erscheinungen beschattet, eine phone ek tes nepheles,
und bei Lukas ein eiselthein der Drei in die Wolke. Was
die Stimme aus der Wolke zu den Jüngern spricht, ist
im ersten Theil die messianische Deklaration, welche, aus
Ps. 2, 7. und Jes. 42, 1. zusammengesezt, schon bei Jesu
Taufe vom Himmel erscholl; im zweiten Theil ist sie aus
den Worten genommen, mit welchen Moses in der früher
angeführten Stelle des Deuteronomium (18, 15.) der ge-
wöhnlichen Deutung zufolge dem Volk den künftigen Mes-
sias ankündigt und es zur Folgsamkeit gegen denselben er-
mahnt 13).

Durch die Verklärung auf dem Berge war Jesus sei-
nem Vorbild, Moses, an die Seite gestellt, und da es in
den Erwartungen der Juden lag, dass nach Jes. 52, 6 ff.
die messianische Zeit nicht nur Einen, sondern mehrere
Vorläufer haben 14), und unter Andern namentlich auch
der alte Gesezgeber zur Zeit des Messias erscheinen soll-
te 15): so war für dessen Erscheinung kein Moment ge-

13) Aus dieser Vergleichung mit der Bergbesteigung des Moses
lässt sich vielleicht auch die Zeitbestimmung der emerai ex
ableiten, durch welche die zwei ersten Evangelisten das ge-
genwärtige Ereigniss von dem zulezt erzählten trennen. Denn
auch die eigentliche Geschichte von den Begegnissen des
Moses auf dem Berge beginnt mit der gleichen Zeitbestim-
mung, indem es heisst, nachdem 6 Tage lang die Wolke den
Berg bedeckt hatte, sei Moses zu Jehova berufen worden
(V. 16.), eine Zeitbestimmung, welche, obgleich der Aus-
gangspunkt ein ganz anderer war, für die Eröffnung der Je-
sum betreffenden Verklärungsscene beibehalten werden mochte.
14) s. Bertholdt, Christologia Judaeorum §. 15. S. 60 ff.
15) Debarim Rabba 3. (Wetstein): Dixit Deus S. B. Mosi: per
vitam tuam, quemadmodum vitam tuam posuisti pro Israelitis
in hoc mundo, ita tempore futuro, quando Eliam prophetam

Zweiter Abschnitt.
Moses rief, bis dieser endlich in die Wolke zu ihm hin-
eingieng (V. 16—18.): so haben wir auch in unsrer Er-
zählung eine νεφέλη φωτὸς, welche Jesum und die himm-
lischen Erscheinungen beschattet, eine φωνὴ ἐκ τῆς νεφέλης,
und bei Lukas ein εἰσελϑεῖν der Drei in die Wolke. Was
die Stimme aus der Wolke zu den Jüngern spricht, ist
im ersten Theil die messianische Deklaration, welche, aus
Ps. 2, 7. und Jes. 42, 1. zusammengesezt, schon bei Jesu
Taufe vom Himmel erscholl; im zweiten Theil ist sie aus
den Worten genommen, mit welchen Moses in der früher
angeführten Stelle des Deuteronomium (18, 15.) der ge-
wöhnlichen Deutung zufolge dem Volk den künftigen Mes-
sias ankündigt und es zur Folgsamkeit gegen denselben er-
mahnt 13).

Durch die Verklärung auf dem Berge war Jesus sei-
nem Vorbild, Moses, an die Seite gestellt, und da es in
den Erwartungen der Juden lag, daſs nach Jes. 52, 6 ff.
die messianische Zeit nicht nur Einen, sondern mehrere
Vorläufer haben 14), und unter Andern namentlich auch
der alte Gesezgeber zur Zeit des Messias erscheinen soll-
te 15): so war für dessen Erscheinung kein Moment ge-

13) Aus dieser Vergleichung mit der Bergbesteigung des Moses
lässt sich vielleicht auch die Zeitbestimmung der ἡμέραι ἕξ
ableiten, durch welche die zwei ersten Evangelisten das ge-
genwärtige Ereigniss von dem zulezt erzählten trennen. Denn
auch die eigentliche Geschichte von den Begegnissen des
Moses auf dem Berge beginnt mit der gleichen Zeitbestim-
mung, indem es heisst, nachdem 6 Tage lang die Wolke den
Berg bedeckt hatte, sei Moses zu Jehova berufen worden
(V. 16.), eine Zeitbestimmung, welche, obgleich der Aus-
gangspunkt ein ganz anderer war, für die Eröffnung der Je-
sum betreffenden Verklärungsscene beibehalten werden mochte.
14) s. Bertholdt, Christologia Judaeorum §. 15. S. 60 ff.
15) Debarim Rabba 3. (Wetstein): Dixit Deus S. B. Mosi: per
vitam tuam, quemadmodum vitam tuam posuisti pro Israëlitis
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[272/0291] Zweiter Abschnitt. Moses rief, bis dieser endlich in die Wolke zu ihm hin- eingieng (V. 16—18.): so haben wir auch in unsrer Er- zählung eine νεφέλη φωτὸς, welche Jesum und die himm- lischen Erscheinungen beschattet, eine φωνὴ ἐκ τῆς νεφέλης, und bei Lukas ein εἰσελϑεῖν der Drei in die Wolke. Was die Stimme aus der Wolke zu den Jüngern spricht, ist im ersten Theil die messianische Deklaration, welche, aus Ps. 2, 7. und Jes. 42, 1. zusammengesezt, schon bei Jesu Taufe vom Himmel erscholl; im zweiten Theil ist sie aus den Worten genommen, mit welchen Moses in der früher angeführten Stelle des Deuteronomium (18, 15.) der ge- wöhnlichen Deutung zufolge dem Volk den künftigen Mes- sias ankündigt und es zur Folgsamkeit gegen denselben er- mahnt 13). Durch die Verklärung auf dem Berge war Jesus sei- nem Vorbild, Moses, an die Seite gestellt, und da es in den Erwartungen der Juden lag, daſs nach Jes. 52, 6 ff. die messianische Zeit nicht nur Einen, sondern mehrere Vorläufer haben 14), und unter Andern namentlich auch der alte Gesezgeber zur Zeit des Messias erscheinen soll- te 15): so war für dessen Erscheinung kein Moment ge- 13) Aus dieser Vergleichung mit der Bergbesteigung des Moses lässt sich vielleicht auch die Zeitbestimmung der ἡμέραι ἕξ ableiten, durch welche die zwei ersten Evangelisten das ge- genwärtige Ereigniss von dem zulezt erzählten trennen. Denn auch die eigentliche Geschichte von den Begegnissen des Moses auf dem Berge beginnt mit der gleichen Zeitbestim- mung, indem es heisst, nachdem 6 Tage lang die Wolke den Berg bedeckt hatte, sei Moses zu Jehova berufen worden (V. 16.), eine Zeitbestimmung, welche, obgleich der Aus- gangspunkt ein ganz anderer war, für die Eröffnung der Je- sum betreffenden Verklärungsscene beibehalten werden mochte. 14) s. Bertholdt, Christologia Judaeorum §. 15. S. 60 ff. 15) Debarim Rabba 3. (Wetstein): Dixit Deus S. B. Mosi: per vitam tuam, quemadmodum vitam tuam posuisti pro Israëlitis in hoc mundo, ita tempore futuro, quando Eliam prophetam

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/291>, abgerufen am 29.04.2024.