Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
schlagen und höhnend aufgefordert wurde, seinen messia-
nischen Seherblick durch Angabe des Thäters zu beurkun-
den 8). Nach Olshausen hat der Geist der Weissagung
es nicht unter seiner Würde gehalten, diese Rohheiten im
Einzelnen vorherzuverkündigen, und zugleich die Gemüths-
verfassung zu zeichnen, welche der Heilige Gottes der un-
heiligen Menge entgegenstellte. Richtig wird hiezu Jes.
50, 6 f. angeführt (LXX): ton noton moudedoka eis masi-
gas, tas de siagonas mou eis Rapismata, to de prosopon
mououk apesrepsa apo aiskhunes emptusmaton k. t. l., vgl.
Mich. 4, 14, und für die Art, wie Jesus das Alles ertrug,
die bekannte Stelle Jes. 53, 7, wo vom Knecht Gottes das
Schweigen unter den Misshandlungen hervorgehoben wird.
Allein, dass Jes. 50, 4 ff. eine Weissagung auf den Mes-
sias sei, ist ebenso gegen den Zusammenhang des Abschnitts,
wie bei Jes. 53. 9): folglich müsste das Zusammentreffen des
Erfolgs mit diesen Stellen entweder menschlich beabsich-
tigt, oder rein zufällig gewesen sein. So wenig nun die
Diener und Soldaten bei ihren Misshandlungen die Absicht
gehabt haben werden, Weissagungen an Jesu in Erfüllung
gehen zu lassen: so wenig wird man diesem selbst das
Affektirte zuschreiben wollen, aus dieser Absicht geschwie-
gen zu haben; aus dem blossen Zufall aber ein solches, aller-
dings, wie Olshausen sagt, in's Einzelne gehendes, Zusam-
mentreffen herzuleiten, ist immer misslich. So wahrschein-
lich es also auch der rohen Sitte jener Zeit zufolge ist,
dass der gefangene Jesus misshandelt, und unter Andrem
auch so misshandelt worden ist, wie die Evangelisten es
beschreiben: so lässt sich doch kaum verkennen, dass ihre
Schilderungen nach Weissagungen gemacht sind, welche
man, da Jesus einmal als Leidender und Misshandelter ge-

8) Dass Matthäus hier der Verhüllung nicht gedenkt, ist eine
Nachlässigkeit seiner Darstellung, da ohne jene Notiz das
propheteuson k. t. l. keinen rechten Sinn hat.
9) s. Gesenius z. d. Absch.

Dritter Abschnitt.
schlagen und höhnend aufgefordert wurde, seinen messia-
nischen Seherblick durch Angabe des Thäters zu beurkun-
den 8). Nach Olshausen hat der Geist der Weissagung
es nicht unter seiner Würde gehalten, diese Rohheiten im
Einzelnen vorherzuverkündigen, und zugleich die Gemüths-
verfassung zu zeichnen, welche der Heilige Gottes der un-
heiligen Menge entgegenstellte. Richtig wird hiezu Jes.
50, 6 f. angeführt (LXX): τὸν νῶτόν μουδέδωκα εἰς μάςι-
γας, τὰς δὲ σιαγόνας μου εἰς ῥαπίσματα, τὸ δὲ πρόσωπόν
μουουκ ἀπέςρεψα ἀπὸ αἰσχύνης ἐμπτυσμάτων κ. τ. λ., vgl.
Mich. 4, 14, und für die Art, wie Jesus das Alles ertrug,
die bekannte Stelle Jes. 53, 7, wo vom Knecht Gottes das
Schweigen unter den Miſshandlungen hervorgehoben wird.
Allein, daſs Jes. 50, 4 ff. eine Weissagung auf den Mes-
sias sei, ist ebenso gegen den Zusammenhang des Abschnitts,
wie bei Jes. 53. 9): folglich müſste das Zusammentreffen des
Erfolgs mit diesen Stellen entweder menschlich beabsich-
tigt, oder rein zufällig gewesen sein. So wenig nun die
Diener und Soldaten bei ihren Miſshandlungen die Absicht
gehabt haben werden, Weissagungen an Jesu in Erfüllung
gehen zu lassen: so wenig wird man diesem selbst das
Affektirte zuschreiben wollen, aus dieser Absicht geschwie-
gen zu haben; aus dem bloſsen Zufall aber ein solches, aller-
dings, wie Olshausen sagt, in's Einzelne gehendes, Zusam-
mentreffen herzuleiten, ist immer miſslich. So wahrschein-
lich es also auch der rohen Sitte jener Zeit zufolge ist,
daſs der gefangene Jesus miſshandelt, und unter Andrem
auch so miſshandelt worden ist, wie die Evangelisten es
beschreiben: so läſst sich doch kaum verkennen, daſs ihre
Schilderungen nach Weissagungen gemacht sind, welche
man, da Jesus einmal als Leidender und Miſshandelter ge-

8) Dass Matthäus hier der Verhüllung nicht gedenkt, ist eine
Nachlässigkeit seiner Darstellung, da ohne jene Notiz das
προφήτευσον κ. τ. λ. keinen rechten Sinn hat.
9) s. Gesenius z. d. Absch.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0507" n="488"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
schlagen und höhnend aufgefordert wurde, seinen messia-<lb/>
nischen Seherblick durch Angabe des Thäters zu beurkun-<lb/>
den <note place="foot" n="8)">Dass Matthäus hier der Verhüllung nicht gedenkt, ist eine<lb/>
Nachlässigkeit seiner Darstellung, da ohne jene Notiz das<lb/><foreign xml:lang="ell">&#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03C6;&#x03AE;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;&#x03BD; &#x03BA;. &#x03C4;. &#x03BB;.</foreign> keinen rechten Sinn hat.</note>. Nach <hi rendition="#k">Olshausen</hi> hat der Geist der Weissagung<lb/>
es nicht unter seiner Würde gehalten, diese Rohheiten im<lb/>
Einzelnen vorherzuverkündigen, und zugleich die Gemüths-<lb/>
verfassung zu zeichnen, welche der Heilige Gottes der un-<lb/>
heiligen Menge entgegenstellte. Richtig wird hiezu Jes.<lb/>
50, 6 f. angeführt (LXX): <foreign xml:lang="ell">&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD; &#x03BD;&#x1FF6;&#x03C4;&#x03CC;&#x03BD; &#x03BC;&#x03BF;&#x03C5;&#x03B4;&#x03AD;&#x03B4;&#x03C9;&#x03BA;&#x03B1; &#x03B5;&#x1F30;&#x03C2; &#x03BC;&#x03AC;&#x03C2;&#x03B9;-<lb/>
&#x03B3;&#x03B1;&#x03C2;, &#x03C4;&#x1F70;&#x03C2; &#x03B4;&#x1F72; &#x03C3;&#x03B9;&#x03B1;&#x03B3;&#x03CC;&#x03BD;&#x03B1;&#x03C2; &#x03BC;&#x03BF;&#x03C5; &#x03B5;&#x1F30;&#x03C2; &#x1FE5;&#x03B1;&#x03C0;&#x03AF;&#x03C3;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1;, &#x03C4;&#x1F78; &#x03B4;&#x1F72; &#x03C0;&#x03C1;&#x03CC;&#x03C3;&#x03C9;&#x03C0;&#x03CC;&#x03BD;<lb/>
&#x03BC;&#x03BF;&#x03C5;&#x03BF;&#x03C5;&#x03BA; &#x1F00;&#x03C0;&#x03AD;&#x03C2;&#x03C1;&#x03B5;&#x03C8;&#x03B1; &#x1F00;&#x03C0;&#x1F78; &#x03B1;&#x1F30;&#x03C3;&#x03C7;&#x03CD;&#x03BD;&#x03B7;&#x03C2; &#x1F10;&#x03BC;&#x03C0;&#x03C4;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BC;&#x03AC;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x03BA;. &#x03C4;. &#x03BB;.</foreign>, vgl.<lb/>
Mich. 4, 14, und für die Art, wie Jesus das Alles ertrug,<lb/>
die bekannte Stelle Jes. 53, 7, wo vom Knecht Gottes das<lb/>
Schweigen unter den Mi&#x017F;shandlungen hervorgehoben wird.<lb/>
Allein, da&#x017F;s Jes. 50, 4 ff. eine Weissagung auf den Mes-<lb/>
sias sei, ist ebenso gegen den Zusammenhang des Abschnitts,<lb/>
wie bei Jes. 53. <note place="foot" n="9)">s. <hi rendition="#k">Gesenius</hi> z. d. Absch.</note>: folglich mü&#x017F;ste das Zusammentreffen des<lb/>
Erfolgs mit diesen Stellen entweder menschlich beabsich-<lb/>
tigt, oder rein zufällig gewesen sein. So wenig nun die<lb/>
Diener und Soldaten bei ihren Mi&#x017F;shandlungen die Absicht<lb/>
gehabt haben werden, Weissagungen an Jesu in Erfüllung<lb/>
gehen zu lassen: so wenig wird man diesem selbst das<lb/>
Affektirte zuschreiben wollen, aus dieser Absicht geschwie-<lb/>
gen zu haben; aus dem blo&#x017F;sen Zufall aber ein solches, aller-<lb/>
dings, wie <hi rendition="#k">Olshausen</hi> sagt, in's Einzelne gehendes, Zusam-<lb/>
mentreffen herzuleiten, ist immer mi&#x017F;slich. So wahrschein-<lb/>
lich es also auch der rohen Sitte jener Zeit zufolge ist,<lb/>
da&#x017F;s der gefangene Jesus mi&#x017F;shandelt, und unter Andrem<lb/>
auch so mi&#x017F;shandelt worden ist, wie die Evangelisten es<lb/>
beschreiben: so lä&#x017F;st sich doch kaum verkennen, da&#x017F;s ihre<lb/>
Schilderungen nach Weissagungen gemacht sind, welche<lb/>
man, da Jesus einmal als Leidender und Mi&#x017F;shandelter ge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[488/0507] Dritter Abschnitt. schlagen und höhnend aufgefordert wurde, seinen messia- nischen Seherblick durch Angabe des Thäters zu beurkun- den 8). Nach Olshausen hat der Geist der Weissagung es nicht unter seiner Würde gehalten, diese Rohheiten im Einzelnen vorherzuverkündigen, und zugleich die Gemüths- verfassung zu zeichnen, welche der Heilige Gottes der un- heiligen Menge entgegenstellte. Richtig wird hiezu Jes. 50, 6 f. angeführt (LXX): τὸν νῶτόν μουδέδωκα εἰς μάςι- γας, τὰς δὲ σιαγόνας μου εἰς ῥαπίσματα, τὸ δὲ πρόσωπόν μουουκ ἀπέςρεψα ἀπὸ αἰσχύνης ἐμπτυσμάτων κ. τ. λ., vgl. Mich. 4, 14, und für die Art, wie Jesus das Alles ertrug, die bekannte Stelle Jes. 53, 7, wo vom Knecht Gottes das Schweigen unter den Miſshandlungen hervorgehoben wird. Allein, daſs Jes. 50, 4 ff. eine Weissagung auf den Mes- sias sei, ist ebenso gegen den Zusammenhang des Abschnitts, wie bei Jes. 53. 9): folglich müſste das Zusammentreffen des Erfolgs mit diesen Stellen entweder menschlich beabsich- tigt, oder rein zufällig gewesen sein. So wenig nun die Diener und Soldaten bei ihren Miſshandlungen die Absicht gehabt haben werden, Weissagungen an Jesu in Erfüllung gehen zu lassen: so wenig wird man diesem selbst das Affektirte zuschreiben wollen, aus dieser Absicht geschwie- gen zu haben; aus dem bloſsen Zufall aber ein solches, aller- dings, wie Olshausen sagt, in's Einzelne gehendes, Zusam- mentreffen herzuleiten, ist immer miſslich. So wahrschein- lich es also auch der rohen Sitte jener Zeit zufolge ist, daſs der gefangene Jesus miſshandelt, und unter Andrem auch so miſshandelt worden ist, wie die Evangelisten es beschreiben: so läſst sich doch kaum verkennen, daſs ihre Schilderungen nach Weissagungen gemacht sind, welche man, da Jesus einmal als Leidender und Miſshandelter ge- 8) Dass Matthäus hier der Verhüllung nicht gedenkt, ist eine Nachlässigkeit seiner Darstellung, da ohne jene Notiz das προφήτευσον κ. τ. λ. keinen rechten Sinn hat. 9) s. Gesenius z. d. Absch.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/507
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/507>, abgerufen am 28.04.2024.