Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Kapitel. §. 135.
Christophanieen gebraucht, und sämmtliche Erscheinungen
des Auferstandenen während der vierzig Tage fasst Lukas
A. G. 1, 3. in dem Ausdruck optanomenos, A. G. 10, 40.
durch emphane genesthai, zusammen; ähnlich wie Markus
die Erscheinung vor Magdalena durch ephane, die vor den
wandernden Jüngern und vor den Eilfen durch ephanero-
the, Johannes aber die Erscheinung am See Tiberias durch
ephanerosen eauton bezeichnet, und sämmtliche Christopha-
nieen, die er erzählt hat, unter den Ausdruck ephanerothe
fasst. Bei Markus und Lukas kommt hierauf als Schluss
des irdischen Wandels des Auferstandenen diess hinzu, dass
er vor den Augen der Jünger weggenommen, und (durch
eine Wolke, nach A. G. 1, 9.) zum Himmel emporgetragen
wurde. -- Im vierten Evangelium steht Jesus zuerst, als
Maria Magdalena sich vom Grabe umwendet, hinter ihr,
doch erkennt sie ihn auch auf eine Anrede hin nicht, son-
dern hält ihn für den Gärtner, bis er sie (mit dem ihr so
wohl bekannten Tone) bei Namen nennt. Wie sie ihm
hierauf ihre Verehrung bezeigen will, hält sie Jesus durch
die Worte me mou aptou ab, und sendet sie mit Botschaft
zu den Jüngern. Die zweite johanneische Erscheinung Je-
su fiel unter besonders merkwürdigen Umständen vor. Die
Jünger waren aus Furcht vor den feindlich gesinnten Ju-
den bei verschlossenen Thüren versammelt: da kam auf
einmal Jesus, stellte sich in ihre Mitte, begrüsste sie, und
zeigte ihnen -- wahrscheinlich bloss dem Gesicht -- seine
Hände und seine Seite, um sich als den Gekreuzigten kennt-
lich zu machen. Als Thomas, der damals nicht zugegen
gewesen war, durch den Bericht seiner Mitjünger von der
Realität dieser Erscheinung sich nicht überzeugen liess,
und zu dem Ende die Wundenmale Jesu selbst zu sehen
und zu betasten verlangte: gewährte ihm Jesus bei einer
acht Tage darauf unter denselben Umständen wiederholten
Erscheinung auch diess, indem er ihn die Nägelmale in
seinen Händen und die Stichwunde in seiner Seite befüh-

Viertes Kapitel. §. 135.
Christophanieen gebraucht, und sämmtliche Erscheinungen
des Auferstandenen während der vierzig Tage faſst Lukas
A. G. 1, 3. in dem Ausdruck ὀπτανόμενος, A. G. 10, 40.
durch ἐμφανῆ γενέσϑαι, zusammen; ähnlich wie Markus
die Erscheinung vor Magdalena durch ἐφάνη, die vor den
wandernden Jüngern und vor den Eilfen durch ἐφανερώ-
ϑη, Johannes aber die Erscheinung am See Tiberias durch
ἐφανέρωσεν ἑαυτὸν bezeichnet, und sämmtliche Christopha-
nieen, die er erzählt hat, unter den Ausdruck ἐφανερώϑη
faſst. Bei Markus und Lukas kommt hierauf als Schluſs
des irdischen Wandels des Auferstandenen dieſs hinzu, daſs
er vor den Augen der Jünger weggenommen, und (durch
eine Wolke, nach A. G. 1, 9.) zum Himmel emporgetragen
wurde. — Im vierten Evangelium steht Jesus zuerst, als
Maria Magdalena sich vom Grabe umwendet, hinter ihr,
doch erkennt sie ihn auch auf eine Anrede hin nicht, son-
dern hält ihn für den Gärtner, bis er sie (mit dem ihr so
wohl bekannten Tone) bei Namen nennt. Wie sie ihm
hierauf ihre Verehrung bezeigen will, hält sie Jesus durch
die Worte μή μου ἅπτου ab, und sendet sie mit Botschaft
zu den Jüngern. Die zweite johanneische Erscheinung Je-
su fiel unter besonders merkwürdigen Umständen vor. Die
Jünger waren aus Furcht vor den feindlich gesinnten Ju-
den bei verschlossenen Thüren versammelt: da kam auf
einmal Jesus, stellte sich in ihre Mitte, begrüſste sie, und
zeigte ihnen — wahrscheinlich bloſs dem Gesicht — seine
Hände und seine Seite, um sich als den Gekreuzigten kennt-
lich zu machen. Als Thomas, der damals nicht zugegen
gewesen war, durch den Bericht seiner Mitjünger von der
Realität dieser Erscheinung sich nicht überzeugen lieſs,
und zu dem Ende die Wundenmale Jesu selbst zu sehen
und zu betasten verlangte: gewährte ihm Jesus bei einer
acht Tage darauf unter denselben Umständen wiederholten
Erscheinung auch dieſs, indem er ihn die Nägelmale in
seinen Händen und die Stichwunde in seiner Seite befüh-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0650" n="631"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Kapitel</hi>. §. 135.</fw><lb/>
Christophanieen gebraucht, und sämmtliche Erscheinungen<lb/>
des Auferstandenen während der vierzig Tage fa&#x017F;st Lukas<lb/>
A. G. 1, 3. in dem Ausdruck &#x1F40;&#x03C0;&#x03C4;&#x03B1;&#x03BD;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2;, A. G. 10, 40.<lb/>
durch <foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03BC;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BD;&#x1FC6; &#x03B3;&#x03B5;&#x03BD;&#x03AD;&#x03C3;&#x03D1;&#x03B1;&#x03B9;</foreign>, zusammen; ähnlich wie Markus<lb/>
die Erscheinung vor Magdalena durch &#x1F10;&#x03C6;&#x03AC;&#x03BD;&#x03B7;, die vor den<lb/>
wandernden Jüngern und vor den Eilfen durch <foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C1;&#x03CE;-<lb/>
&#x03D1;&#x03B7;</foreign>, Johannes aber die Erscheinung am See Tiberias durch<lb/><foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BD;&#x03AD;&#x03C1;&#x03C9;&#x03C3;&#x03B5;&#x03BD; &#x1F11;&#x03B1;&#x03C5;&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD;</foreign> bezeichnet, und sämmtliche Christopha-<lb/>
nieen, die er erzählt hat, unter den Ausdruck <foreign xml:lang="ell">&#x1F10;&#x03C6;&#x03B1;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C1;&#x03CE;&#x03D1;&#x03B7;</foreign><lb/>
fa&#x017F;st. Bei Markus und Lukas kommt hierauf als Schlu&#x017F;s<lb/>
des irdischen Wandels des Auferstandenen die&#x017F;s hinzu, da&#x017F;s<lb/>
er vor den Augen der Jünger weggenommen, und (durch<lb/>
eine Wolke, nach A. G. 1, 9.) zum Himmel emporgetragen<lb/>
wurde. &#x2014; Im vierten Evangelium steht Jesus zuerst, als<lb/>
Maria Magdalena sich vom Grabe umwendet, hinter ihr,<lb/>
doch erkennt sie ihn auch auf eine Anrede hin nicht, son-<lb/>
dern hält ihn für den Gärtner, bis er sie (mit dem ihr so<lb/>
wohl bekannten Tone) bei Namen nennt. Wie sie ihm<lb/>
hierauf ihre Verehrung bezeigen will, hält sie Jesus durch<lb/>
die Worte <foreign xml:lang="ell">&#x03BC;&#x03AE; &#x03BC;&#x03BF;&#x03C5; &#x1F05;&#x03C0;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;</foreign> ab, und sendet sie mit Botschaft<lb/>
zu den Jüngern. Die zweite johanneische Erscheinung Je-<lb/>
su fiel unter besonders merkwürdigen Umständen vor. Die<lb/>
Jünger waren aus Furcht vor den feindlich gesinnten Ju-<lb/>
den bei verschlossenen Thüren versammelt: da kam auf<lb/>
einmal Jesus, stellte sich in ihre Mitte, begrü&#x017F;ste sie, und<lb/>
zeigte ihnen &#x2014; wahrscheinlich blo&#x017F;s dem Gesicht &#x2014; seine<lb/>
Hände und seine Seite, um sich als den Gekreuzigten kennt-<lb/>
lich zu machen. Als Thomas, der damals nicht zugegen<lb/>
gewesen war, durch den Bericht seiner Mitjünger von der<lb/>
Realität dieser Erscheinung sich nicht überzeugen lie&#x017F;s,<lb/>
und zu dem Ende die Wundenmale Jesu selbst zu sehen<lb/>
und zu betasten verlangte: gewährte ihm Jesus bei einer<lb/>
acht Tage darauf unter denselben Umständen wiederholten<lb/>
Erscheinung auch die&#x017F;s, indem er ihn die Nägelmale in<lb/>
seinen Händen und die Stichwunde in seiner Seite befüh-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[631/0650] Viertes Kapitel. §. 135. Christophanieen gebraucht, und sämmtliche Erscheinungen des Auferstandenen während der vierzig Tage faſst Lukas A. G. 1, 3. in dem Ausdruck ὀπτανόμενος, A. G. 10, 40. durch ἐμφανῆ γενέσϑαι, zusammen; ähnlich wie Markus die Erscheinung vor Magdalena durch ἐφάνη, die vor den wandernden Jüngern und vor den Eilfen durch ἐφανερώ- ϑη, Johannes aber die Erscheinung am See Tiberias durch ἐφανέρωσεν ἑαυτὸν bezeichnet, und sämmtliche Christopha- nieen, die er erzählt hat, unter den Ausdruck ἐφανερώϑη faſst. Bei Markus und Lukas kommt hierauf als Schluſs des irdischen Wandels des Auferstandenen dieſs hinzu, daſs er vor den Augen der Jünger weggenommen, und (durch eine Wolke, nach A. G. 1, 9.) zum Himmel emporgetragen wurde. — Im vierten Evangelium steht Jesus zuerst, als Maria Magdalena sich vom Grabe umwendet, hinter ihr, doch erkennt sie ihn auch auf eine Anrede hin nicht, son- dern hält ihn für den Gärtner, bis er sie (mit dem ihr so wohl bekannten Tone) bei Namen nennt. Wie sie ihm hierauf ihre Verehrung bezeigen will, hält sie Jesus durch die Worte μή μου ἅπτου ab, und sendet sie mit Botschaft zu den Jüngern. Die zweite johanneische Erscheinung Je- su fiel unter besonders merkwürdigen Umständen vor. Die Jünger waren aus Furcht vor den feindlich gesinnten Ju- den bei verschlossenen Thüren versammelt: da kam auf einmal Jesus, stellte sich in ihre Mitte, begrüſste sie, und zeigte ihnen — wahrscheinlich bloſs dem Gesicht — seine Hände und seine Seite, um sich als den Gekreuzigten kennt- lich zu machen. Als Thomas, der damals nicht zugegen gewesen war, durch den Bericht seiner Mitjünger von der Realität dieser Erscheinung sich nicht überzeugen lieſs, und zu dem Ende die Wundenmale Jesu selbst zu sehen und zu betasten verlangte: gewährte ihm Jesus bei einer acht Tage darauf unter denselben Umständen wiederholten Erscheinung auch dieſs, indem er ihn die Nägelmale in seinen Händen und die Stichwunde in seiner Seite befüh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/650
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/650>, abgerufen am 08.05.2024.