Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

gethanen Reise.
ten unterscheiden. Jch erkundigte mich bey Männern,
denen ich trauen konnte, nach der Wahrheit dieser Sa-
ge; und sie wurde bestätiget, mit dem Zusatze, daß
bey Menschengedenken kein Fischer, oder sonst jemand
aus einer Fischerfamilie, einer Criminalsache halber sey
belangt worden.

Von dem Kriegsstande sage ich nichts, weil er
eigentlich nicht unter die Landeseingebornen gehört.

Ueberhaupt sind die Einwohner der Stadt, wie
man schon aus dem Angeführten abnehmen kann, we-
der reich noch wohlhabend zu nennen. Jch habe mir
auch sagen lassen, daß man durchgehends zu Hause
sehr ärmlich lebt, und besonders auf Essen und Trin-
ken sehr wenig wendet. Und da es überhaupt hier
ziemlich wohlfeil ist, so kommen sie also mit wenigem
aus. Der größte Theil der in dem Gebiete der Stadt
liegenden Güter gehört den Einwohnern der Stadt,
und sie ziehen die Hälfte des jährlichen Ertrages der-
selben, die ihnen denn nebst dem, was sie etwa in der
Stadt verdienen, oder an Besoldung haben, durch-
hilft.

Weil ich überhaupt wenig Umgang mit den Ein-Sitten und
Charakter
der Einwoh-
ner.

wohnern gehabt habe, und nur selten nach der Stadt
gekommen bin, da meine Hauptsorge hier die Pflege
meiner Gesundheit war, so getraue ich mir nicht viel
Entscheidendes von den Sitten und dem Charakter die-
ses Volks zu sagen. Verschiedenes aber habe ich doch
wohl bemerken können.

So kann ich ziemlich sicher sagen, daß in Absicht
auf die Religion fast durchgehends große Unwissenheit,
blinder Aberglaube, aber sehr wenig herzliche Andacht
unter diesen Leuten herrsche. Jch könnte von Leuten

von
N 2

gethanen Reiſe.
ten unterſcheiden. Jch erkundigte mich bey Maͤnnern,
denen ich trauen konnte, nach der Wahrheit dieſer Sa-
ge; und ſie wurde beſtaͤtiget, mit dem Zuſatze, daß
bey Menſchengedenken kein Fiſcher, oder ſonſt jemand
aus einer Fiſcherfamilie, einer Criminalſache halber ſey
belangt worden.

Von dem Kriegsſtande ſage ich nichts, weil er
eigentlich nicht unter die Landeseingebornen gehoͤrt.

Ueberhaupt ſind die Einwohner der Stadt, wie
man ſchon aus dem Angefuͤhrten abnehmen kann, we-
der reich noch wohlhabend zu nennen. Jch habe mir
auch ſagen laſſen, daß man durchgehends zu Hauſe
ſehr aͤrmlich lebt, und beſonders auf Eſſen und Trin-
ken ſehr wenig wendet. Und da es uͤberhaupt hier
ziemlich wohlfeil iſt, ſo kommen ſie alſo mit wenigem
aus. Der groͤßte Theil der in dem Gebiete der Stadt
liegenden Guͤter gehoͤrt den Einwohnern der Stadt,
und ſie ziehen die Haͤlfte des jaͤhrlichen Ertrages der-
ſelben, die ihnen denn nebſt dem, was ſie etwa in der
Stadt verdienen, oder an Beſoldung haben, durch-
hilft.

Weil ich uͤberhaupt wenig Umgang mit den Ein-Sitten und
Charakter
der Einwoh-
ner.

wohnern gehabt habe, und nur ſelten nach der Stadt
gekommen bin, da meine Hauptſorge hier die Pflege
meiner Geſundheit war, ſo getraue ich mir nicht viel
Entſcheidendes von den Sitten und dem Charakter die-
ſes Volks zu ſagen. Verſchiedenes aber habe ich doch
wohl bemerken koͤnnen.

So kann ich ziemlich ſicher ſagen, daß in Abſicht
auf die Religion faſt durchgehends große Unwiſſenheit,
blinder Aberglaube, aber ſehr wenig herzliche Andacht
unter dieſen Leuten herrſche. Jch koͤnnte von Leuten

von
N 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="195"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">gethanen Rei&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
ten unter&#x017F;cheiden. Jch erkundigte mich bey Ma&#x0364;nnern,<lb/>
denen ich trauen konnte, nach der Wahrheit die&#x017F;er Sa-<lb/>
ge; und &#x017F;ie wurde be&#x017F;ta&#x0364;tiget, mit dem Zu&#x017F;atze, daß<lb/>
bey Men&#x017F;chengedenken kein Fi&#x017F;cher, oder &#x017F;on&#x017F;t jemand<lb/>
aus einer Fi&#x017F;cherfamilie, einer Criminal&#x017F;ache halber &#x017F;ey<lb/>
belangt worden.</p><lb/>
        <p>Von dem Kriegs&#x017F;tande &#x017F;age ich nichts, weil er<lb/>
eigentlich nicht unter die Landeseingebornen geho&#x0364;rt.</p><lb/>
        <p>Ueberhaupt &#x017F;ind die Einwohner der Stadt, wie<lb/>
man &#x017F;chon aus dem Angefu&#x0364;hrten abnehmen kann, we-<lb/>
der reich noch wohlhabend zu nennen. Jch habe mir<lb/>
auch &#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en, daß man durchgehends zu Hau&#x017F;e<lb/>
&#x017F;ehr a&#x0364;rmlich lebt, und be&#x017F;onders auf E&#x017F;&#x017F;en und Trin-<lb/>
ken &#x017F;ehr wenig wendet. Und da es u&#x0364;berhaupt hier<lb/>
ziemlich wohlfeil i&#x017F;t, &#x017F;o kommen &#x017F;ie al&#x017F;o mit wenigem<lb/>
aus. Der gro&#x0364;ßte Theil der in dem Gebiete der Stadt<lb/>
liegenden Gu&#x0364;ter geho&#x0364;rt den Einwohnern der Stadt,<lb/>
und &#x017F;ie ziehen die Ha&#x0364;lfte des ja&#x0364;hrlichen Ertrages der-<lb/>
&#x017F;elben, die ihnen denn neb&#x017F;t dem, was &#x017F;ie etwa in der<lb/>
Stadt verdienen, oder an Be&#x017F;oldung haben, durch-<lb/>
hilft.</p><lb/>
        <p>Weil ich u&#x0364;berhaupt wenig Umgang mit den Ein-<note place="right">Sitten und<lb/>
Charakter<lb/>
der Einwoh-<lb/>
ner.</note><lb/>
wohnern gehabt habe, und nur &#x017F;elten nach der Stadt<lb/>
gekommen bin, da meine Haupt&#x017F;orge hier die Pflege<lb/>
meiner Ge&#x017F;undheit war, &#x017F;o getraue ich mir nicht viel<lb/>
Ent&#x017F;cheidendes von den Sitten und dem Charakter die-<lb/>
&#x017F;es Volks zu &#x017F;agen. Ver&#x017F;chiedenes aber habe ich doch<lb/>
wohl bemerken ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>So kann ich ziemlich &#x017F;icher &#x017F;agen, daß in Ab&#x017F;icht<lb/>
auf die Religion fa&#x017F;t durchgehends große Unwi&#x017F;&#x017F;enheit,<lb/>
blinder Aberglaube, aber &#x017F;ehr wenig herzliche Andacht<lb/>
unter die&#x017F;en Leuten herr&#x017F;che. Jch ko&#x0364;nnte von Leuten<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 2</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0215] gethanen Reiſe. ten unterſcheiden. Jch erkundigte mich bey Maͤnnern, denen ich trauen konnte, nach der Wahrheit dieſer Sa- ge; und ſie wurde beſtaͤtiget, mit dem Zuſatze, daß bey Menſchengedenken kein Fiſcher, oder ſonſt jemand aus einer Fiſcherfamilie, einer Criminalſache halber ſey belangt worden. Von dem Kriegsſtande ſage ich nichts, weil er eigentlich nicht unter die Landeseingebornen gehoͤrt. Ueberhaupt ſind die Einwohner der Stadt, wie man ſchon aus dem Angefuͤhrten abnehmen kann, we- der reich noch wohlhabend zu nennen. Jch habe mir auch ſagen laſſen, daß man durchgehends zu Hauſe ſehr aͤrmlich lebt, und beſonders auf Eſſen und Trin- ken ſehr wenig wendet. Und da es uͤberhaupt hier ziemlich wohlfeil iſt, ſo kommen ſie alſo mit wenigem aus. Der groͤßte Theil der in dem Gebiete der Stadt liegenden Guͤter gehoͤrt den Einwohnern der Stadt, und ſie ziehen die Haͤlfte des jaͤhrlichen Ertrages der- ſelben, die ihnen denn nebſt dem, was ſie etwa in der Stadt verdienen, oder an Beſoldung haben, durch- hilft. Weil ich uͤberhaupt wenig Umgang mit den Ein- wohnern gehabt habe, und nur ſelten nach der Stadt gekommen bin, da meine Hauptſorge hier die Pflege meiner Geſundheit war, ſo getraue ich mir nicht viel Entſcheidendes von den Sitten und dem Charakter die- ſes Volks zu ſagen. Verſchiedenes aber habe ich doch wohl bemerken koͤnnen. Sitten und Charakter der Einwoh- ner. So kann ich ziemlich ſicher ſagen, daß in Abſicht auf die Religion faſt durchgehends große Unwiſſenheit, blinder Aberglaube, aber ſehr wenig herzliche Andacht unter dieſen Leuten herrſche. Jch koͤnnte von Leuten von N 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/215
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/215>, abgerufen am 28.04.2024.