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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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Tagebuch von einer nach Nizza
anwendet. Der Landmann hat hier kein Vieh, als
etwa einen oder zwey Esel, selten noch ein paar Ziegen;
eine Kuh ist etwas sehr seltenes: daher muß nothwen-
dig der Dünger selten seyn. Aber der Fleiß ersetzt
den Mangel. Alles was irgend von Unreinigkeit,
die in Fäulniß übergeht, in einem Hause fällt, wird
sorgfältig in große in die Erde eingegrabene Krüge ge-
sammelt, dort mit Wasser vermengt, und wenn es
auf einen gewissen Grad der Gährung gekommen ist,
zum Begießen der Wurzeln der Gewächse gebraucht.

Gemeiniglich hat jeder an einen gangbaren Weg
stoßende Garten ein kleines, gegen den Weg offenes,
nach dem Garten aber ganz zugemauertes Häuschen,
dessen sich die Vorbeygehenden bey anstoßender Noth-
durft bedienen können. Dergleichen Häuschen sind
nach Kämpfers Berichte in Japan an allen Land-
straßen. Den meisten Dünger aber holt der Land-
mann aus der Stadt. Daselbst werden alle faulende
Materien mit der Sorgfalt aufbehalten, mit der man
sonst die Lebensmittel zu Rathe hält. Dieser gesam-
melte Unrath wird verkauft und theuer bezahlt. Es
giebt Häuser, die jährlich hundert Lire und drüber hier-
aus ziehen. Der Eigenthümer des Gartens, in dem
ich wohnte, hatte die Hälfte des Unraths von dem Ge-
fängniß der auf die Galeren verurtheilten Missethäter
für 300 Lire in jährlicher Pacht. Dieser Dünger
wird von dem Landvolke, fürnehmlich von den Gärt-
nern, in kleine Tonnen gefaßt, und auf Eseln nach den
Gärten gebracht. Damit wird nicht das noch unbe-
stellte Land gedüngt, sondern das schon gepflanzte Kü-
chengewächs um die Wurzeln herum angegossen.
Auch die jungen oder neugesetzten Orangenbäume wer-

den

Tagebuch von einer nach Nizza
anwendet. Der Landmann hat hier kein Vieh, als
etwa einen oder zwey Eſel, ſelten noch ein paar Ziegen;
eine Kuh iſt etwas ſehr ſeltenes: daher muß nothwen-
dig der Duͤnger ſelten ſeyn. Aber der Fleiß erſetzt
den Mangel. Alles was irgend von Unreinigkeit,
die in Faͤulniß uͤbergeht, in einem Hauſe faͤllt, wird
ſorgfaͤltig in große in die Erde eingegrabene Kruͤge ge-
ſammelt, dort mit Waſſer vermengt, und wenn es
auf einen gewiſſen Grad der Gaͤhrung gekommen iſt,
zum Begießen der Wurzeln der Gewaͤchſe gebraucht.

Gemeiniglich hat jeder an einen gangbaren Weg
ſtoßende Garten ein kleines, gegen den Weg offenes,
nach dem Garten aber ganz zugemauertes Haͤuschen,
deſſen ſich die Vorbeygehenden bey anſtoßender Noth-
durft bedienen koͤnnen. Dergleichen Haͤuschen ſind
nach Kaͤmpfers Berichte in Japan an allen Land-
ſtraßen. Den meiſten Duͤnger aber holt der Land-
mann aus der Stadt. Daſelbſt werden alle faulende
Materien mit der Sorgfalt aufbehalten, mit der man
ſonſt die Lebensmittel zu Rathe haͤlt. Dieſer geſam-
melte Unrath wird verkauft und theuer bezahlt. Es
giebt Haͤuſer, die jaͤhrlich hundert Lire und druͤber hier-
aus ziehen. Der Eigenthuͤmer des Gartens, in dem
ich wohnte, hatte die Haͤlfte des Unraths von dem Ge-
faͤngniß der auf die Galeren verurtheilten Miſſethaͤter
fuͤr 300 Lire in jaͤhrlicher Pacht. Dieſer Duͤnger
wird von dem Landvolke, fuͤrnehmlich von den Gaͤrt-
nern, in kleine Tonnen gefaßt, und auf Eſeln nach den
Gaͤrten gebracht. Damit wird nicht das noch unbe-
ſtellte Land geduͤngt, ſondern das ſchon gepflanzte Kuͤ-
chengewaͤchs um die Wurzeln herum angegoſſen.
Auch die jungen oder neugeſetzten Orangenbaͤume wer-

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[202/0222] Tagebuch von einer nach Nizza anwendet. Der Landmann hat hier kein Vieh, als etwa einen oder zwey Eſel, ſelten noch ein paar Ziegen; eine Kuh iſt etwas ſehr ſeltenes: daher muß nothwen- dig der Duͤnger ſelten ſeyn. Aber der Fleiß erſetzt den Mangel. Alles was irgend von Unreinigkeit, die in Faͤulniß uͤbergeht, in einem Hauſe faͤllt, wird ſorgfaͤltig in große in die Erde eingegrabene Kruͤge ge- ſammelt, dort mit Waſſer vermengt, und wenn es auf einen gewiſſen Grad der Gaͤhrung gekommen iſt, zum Begießen der Wurzeln der Gewaͤchſe gebraucht. Gemeiniglich hat jeder an einen gangbaren Weg ſtoßende Garten ein kleines, gegen den Weg offenes, nach dem Garten aber ganz zugemauertes Haͤuschen, deſſen ſich die Vorbeygehenden bey anſtoßender Noth- durft bedienen koͤnnen. Dergleichen Haͤuschen ſind nach Kaͤmpfers Berichte in Japan an allen Land- ſtraßen. Den meiſten Duͤnger aber holt der Land- mann aus der Stadt. Daſelbſt werden alle faulende Materien mit der Sorgfalt aufbehalten, mit der man ſonſt die Lebensmittel zu Rathe haͤlt. Dieſer geſam- melte Unrath wird verkauft und theuer bezahlt. Es giebt Haͤuſer, die jaͤhrlich hundert Lire und druͤber hier- aus ziehen. Der Eigenthuͤmer des Gartens, in dem ich wohnte, hatte die Haͤlfte des Unraths von dem Ge- faͤngniß der auf die Galeren verurtheilten Miſſethaͤter fuͤr 300 Lire in jaͤhrlicher Pacht. Dieſer Duͤnger wird von dem Landvolke, fuͤrnehmlich von den Gaͤrt- nern, in kleine Tonnen gefaßt, und auf Eſeln nach den Gaͤrten gebracht. Damit wird nicht das noch unbe- ſtellte Land geduͤngt, ſondern das ſchon gepflanzte Kuͤ- chengewaͤchs um die Wurzeln herum angegoſſen. Auch die jungen oder neugeſetzten Orangenbaͤume wer- den

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/222>, abgerufen am 28.04.2024.