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Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

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von Nizza nach Deutschland.
Cambiatura von Coni aus hieher bestellt. Da ich
diese hier wirklich fand, so entließ ich meinen Maul-
thiertreiber hier gar gerne.

Man kommt von Limone noch zwey Stunden
lang, oder etwa fünf piemontesische Meilen weit durch
ein schmales, sich zwischen den Bergen schlängelndes
und allmählig sich herab senkendes Thal, dadurch der
Weg ganz angenehm ist. Die zu beyden Seiten lie-
genden Berge werden allmählig niedriger, und end-
lich zu bloßen Hügeln, und man merkt, daß man
bald aus den Gebürgen herauskommen wird. Die
kleinern Berge und Hügel, neben denen man hier vor-
bey kommt, sind fast durchaus mit Kastanienbäumen
besetzt, und die Natur gewinnt hier eine ganz andere
Gestalt, als die man während der Reise durch die kah-
len und dürren Gebürge gesehen hat. Alles ist grün
und verkündigt Fruchtbarkeit.

Endlich kommt man bey Borgo, einem schönen
Flecken am Eingange des erwähnten Thales, auf die
herrlichen Ebenen von Piemont heraus. Hier fand
ich mich also, nach einer sehr beschwerlichen und auch
zum Theil gefährlichen Reise durch einen der un-
fruchtbarsten und wildesten Striche von Europa, ziem-
lich plötzlich in die schönste und fruchtbarste, recht pa-
radiesische Ebene, aus den rauhesten elendesten We-
gen auf eine fürtreffliche Landstraße, und von einem
steifen und eigensinnigen Maulthiere in eine bequeme
Postchaise versetzt. Man muß in ähnlichen Umstän-
den gewesen seyn, um sich die Erleichterung des Ge-
müths und die Erweiterung der Brust vorzustellen, die
bey einer solchen Abwechselung empfunden wird. Jch
glaubte in einer andern Welt zu seyn. Jetzt konnte

ich

von Nizza nach Deutſchland.
Cambiatura von Coni aus hieher beſtellt. Da ich
dieſe hier wirklich fand, ſo entließ ich meinen Maul-
thiertreiber hier gar gerne.

Man kommt von Limone noch zwey Stunden
lang, oder etwa fuͤnf piemonteſiſche Meilen weit durch
ein ſchmales, ſich zwiſchen den Bergen ſchlaͤngelndes
und allmaͤhlig ſich herab ſenkendes Thal, dadurch der
Weg ganz angenehm iſt. Die zu beyden Seiten lie-
genden Berge werden allmaͤhlig niedriger, und end-
lich zu bloßen Huͤgeln, und man merkt, daß man
bald aus den Gebuͤrgen herauskommen wird. Die
kleinern Berge und Huͤgel, neben denen man hier vor-
bey kommt, ſind faſt durchaus mit Kaſtanienbaͤumen
beſetzt, und die Natur gewinnt hier eine ganz andere
Geſtalt, als die man waͤhrend der Reiſe durch die kah-
len und duͤrren Gebuͤrge geſehen hat. Alles iſt gruͤn
und verkuͤndigt Fruchtbarkeit.

Endlich kommt man bey Borgo, einem ſchoͤnen
Flecken am Eingange des erwaͤhnten Thales, auf die
herrlichen Ebenen von Piemont heraus. Hier fand
ich mich alſo, nach einer ſehr beſchwerlichen und auch
zum Theil gefaͤhrlichen Reiſe durch einen der un-
fruchtbarſten und wildeſten Striche von Europa, ziem-
lich ploͤtzlich in die ſchoͤnſte und fruchtbarſte, recht pa-
radieſiſche Ebene, aus den rauheſten elendeſten We-
gen auf eine fuͤrtreffliche Landſtraße, und von einem
ſteifen und eigenſinnigen Maulthiere in eine bequeme
Poſtchaiſe verſetzt. Man muß in aͤhnlichen Umſtaͤn-
den geweſen ſeyn, um ſich die Erleichterung des Ge-
muͤths und die Erweiterung der Bruſt vorzuſtellen, die
bey einer ſolchen Abwechſelung empfunden wird. Jch
glaubte in einer andern Welt zu ſeyn. Jetzt konnte

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[287/0307] von Nizza nach Deutſchland. Cambiatura von Coni aus hieher beſtellt. Da ich dieſe hier wirklich fand, ſo entließ ich meinen Maul- thiertreiber hier gar gerne. Man kommt von Limone noch zwey Stunden lang, oder etwa fuͤnf piemonteſiſche Meilen weit durch ein ſchmales, ſich zwiſchen den Bergen ſchlaͤngelndes und allmaͤhlig ſich herab ſenkendes Thal, dadurch der Weg ganz angenehm iſt. Die zu beyden Seiten lie- genden Berge werden allmaͤhlig niedriger, und end- lich zu bloßen Huͤgeln, und man merkt, daß man bald aus den Gebuͤrgen herauskommen wird. Die kleinern Berge und Huͤgel, neben denen man hier vor- bey kommt, ſind faſt durchaus mit Kaſtanienbaͤumen beſetzt, und die Natur gewinnt hier eine ganz andere Geſtalt, als die man waͤhrend der Reiſe durch die kah- len und duͤrren Gebuͤrge geſehen hat. Alles iſt gruͤn und verkuͤndigt Fruchtbarkeit. Endlich kommt man bey Borgo, einem ſchoͤnen Flecken am Eingange des erwaͤhnten Thales, auf die herrlichen Ebenen von Piemont heraus. Hier fand ich mich alſo, nach einer ſehr beſchwerlichen und auch zum Theil gefaͤhrlichen Reiſe durch einen der un- fruchtbarſten und wildeſten Striche von Europa, ziem- lich ploͤtzlich in die ſchoͤnſte und fruchtbarſte, recht pa- radieſiſche Ebene, aus den rauheſten elendeſten We- gen auf eine fuͤrtreffliche Landſtraße, und von einem ſteifen und eigenſinnigen Maulthiere in eine bequeme Poſtchaiſe verſetzt. Man muß in aͤhnlichen Umſtaͤn- den geweſen ſeyn, um ſich die Erleichterung des Ge- muͤths und die Erweiterung der Bruſt vorzuſtellen, die bey einer ſolchen Abwechſelung empfunden wird. Jch glaubte in einer andern Welt zu ſeyn. Jetzt konnte ich

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/307>, abgerufen am 14.05.2024.