Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagebuch von der Rückreise

An ein paar Orten kommt man neben sehr engen
und tiefen, in die Seiten der Berge ausgehöhlten Klüf-
ten vorbey, durch welche sich Bäche herunterstürzen.
Aus diesen Klüften blasen beständig kalte Winde ge-
gen den Weg heraus, die von dem herunterstürzenden
Wasser verursacht werden. Ohne Zweifel haben der-
gleichen Winde die Gelegenheit zu Erfindung der durch
herunterfallendes Wasser wirkenden künstlichen Gebläse
gegeben.

Gegen Abend, als ich über die Hälfte dieses We-
ges herunter war, fieng es an sehr warm zu werden.
Mein fahrenheitisches Thermometer stund auf 74
Grad. Dennoch traf ich, da ich nur etwa noch eine
halbe Stunde von dem Dorfe Am Stäg entfernt,
folglich beynahe den Berg herunter war, noch auf
eine große Brücke von Schnee, die über einen starken
seitwärts aus dem Berge herausströmenden Bach
gieng. Diese gab mir Gelegenheit, eine seltene Be-
obachtung zu machen. Mein Wegweiser, der vor
mir herritt, wollte hier über den Schnee wegreiten,
weil wirklich ein Weg über denselben gebahnt war.
Allein das Pferd weigerte sich hartnäckig, diesen Weg
zu nehmen; der Reiter brauchte Gewalt, und spornte
aus allen Kräften: aber der Gaul bäumte sich auf,
und wollte durchaus nicht fort. Endlich gab der Rei-
ter nach, ritt etwas tiefer an der Seite des Berges
hinein, und da war eine steinerne Brücke über den
Bach geschlagen. Als ich über die Brücke ritt, sah
ich, daß das, was ich vorher blos für einen festen
Klumpen Schnee angesehen hatte, ein hohes und nur
etwa noch eine Elle dickes Schneegewölbe war, unter
dem der Bach wegrollte. Es erschreckte mich daran

zu
Tagebuch von der Ruͤckreiſe

An ein paar Orten kommt man neben ſehr engen
und tiefen, in die Seiten der Berge ausgehoͤhlten Kluͤf-
ten vorbey, durch welche ſich Baͤche herunterſtuͤrzen.
Aus dieſen Kluͤften blaſen beſtaͤndig kalte Winde ge-
gen den Weg heraus, die von dem herunterſtuͤrzenden
Waſſer verurſacht werden. Ohne Zweifel haben der-
gleichen Winde die Gelegenheit zu Erfindung der durch
herunterfallendes Waſſer wirkenden kuͤnſtlichen Geblaͤſe
gegeben.

Gegen Abend, als ich uͤber die Haͤlfte dieſes We-
ges herunter war, fieng es an ſehr warm zu werden.
Mein fahrenheitiſches Thermometer ſtund auf 74
Grad. Dennoch traf ich, da ich nur etwa noch eine
halbe Stunde von dem Dorfe Am Staͤg entfernt,
folglich beynahe den Berg herunter war, noch auf
eine große Bruͤcke von Schnee, die uͤber einen ſtarken
ſeitwaͤrts aus dem Berge herausſtroͤmenden Bach
gieng. Dieſe gab mir Gelegenheit, eine ſeltene Be-
obachtung zu machen. Mein Wegweiſer, der vor
mir herritt, wollte hier uͤber den Schnee wegreiten,
weil wirklich ein Weg uͤber denſelben gebahnt war.
Allein das Pferd weigerte ſich hartnaͤckig, dieſen Weg
zu nehmen; der Reiter brauchte Gewalt, und ſpornte
aus allen Kraͤften: aber der Gaul baͤumte ſich auf,
und wollte durchaus nicht fort. Endlich gab der Rei-
ter nach, ritt etwas tiefer an der Seite des Berges
hinein, und da war eine ſteinerne Bruͤcke uͤber den
Bach geſchlagen. Als ich uͤber die Bruͤcke ritt, ſah
ich, daß das, was ich vorher blos fuͤr einen feſten
Klumpen Schnee angeſehen hatte, ein hohes und nur
etwa noch eine Elle dickes Schneegewoͤlbe war, unter
dem der Bach wegrollte. Es erſchreckte mich daran

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <pb facs="#f0392" n="372"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Tagebuch von der Ru&#x0364;ckrei&#x017F;e</hi> </fw><lb/>
          <p>An ein paar Orten kommt man neben &#x017F;ehr engen<lb/>
und tiefen, in die Seiten der Berge ausgeho&#x0364;hlten Klu&#x0364;f-<lb/>
ten vorbey, durch welche &#x017F;ich Ba&#x0364;che herunter&#x017F;tu&#x0364;rzen.<lb/>
Aus die&#x017F;en Klu&#x0364;ften bla&#x017F;en be&#x017F;ta&#x0364;ndig kalte Winde ge-<lb/>
gen den Weg heraus, die von dem herunter&#x017F;tu&#x0364;rzenden<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er verur&#x017F;acht werden. Ohne Zweifel haben der-<lb/>
gleichen Winde die Gelegenheit zu Erfindung der durch<lb/>
herunterfallendes Wa&#x017F;&#x017F;er wirkenden ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Gebla&#x0364;&#x017F;e<lb/>
gegeben.</p><lb/>
          <p>Gegen Abend, als ich u&#x0364;ber die Ha&#x0364;lfte die&#x017F;es We-<lb/>
ges herunter war, fieng es an &#x017F;ehr warm zu werden.<lb/>
Mein fahrenheiti&#x017F;ches Thermometer &#x017F;tund auf 74<lb/>
Grad. Dennoch traf ich, da ich nur etwa noch eine<lb/>
halbe Stunde von dem Dorfe <hi rendition="#fr">Am Sta&#x0364;g</hi> entfernt,<lb/>
folglich beynahe den Berg herunter war, noch auf<lb/>
eine große Bru&#x0364;cke von Schnee, die u&#x0364;ber einen &#x017F;tarken<lb/>
&#x017F;eitwa&#x0364;rts aus dem Berge heraus&#x017F;tro&#x0364;menden Bach<lb/>
gieng. Die&#x017F;e gab mir Gelegenheit, eine &#x017F;eltene Be-<lb/>
obachtung zu machen. Mein Wegwei&#x017F;er, der vor<lb/>
mir herritt, wollte hier u&#x0364;ber den Schnee wegreiten,<lb/>
weil wirklich ein Weg u&#x0364;ber den&#x017F;elben gebahnt war.<lb/>
Allein das Pferd weigerte &#x017F;ich hartna&#x0364;ckig, die&#x017F;en Weg<lb/>
zu nehmen; der Reiter brauchte Gewalt, und &#x017F;pornte<lb/>
aus allen Kra&#x0364;ften: aber der Gaul ba&#x0364;umte &#x017F;ich auf,<lb/>
und wollte durchaus nicht fort. Endlich gab der Rei-<lb/>
ter nach, ritt etwas tiefer an der Seite des Berges<lb/>
hinein, und da war eine &#x017F;teinerne Bru&#x0364;cke u&#x0364;ber den<lb/>
Bach ge&#x017F;chlagen. Als ich u&#x0364;ber die Bru&#x0364;cke ritt, &#x017F;ah<lb/>
ich, daß das, was ich vorher blos fu&#x0364;r einen fe&#x017F;ten<lb/>
Klumpen Schnee ange&#x017F;ehen hatte, ein hohes und nur<lb/>
etwa noch eine Elle dickes Schneegewo&#x0364;lbe war, unter<lb/>
dem der Bach wegrollte. Es er&#x017F;chreckte mich daran<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[372/0392] Tagebuch von der Ruͤckreiſe An ein paar Orten kommt man neben ſehr engen und tiefen, in die Seiten der Berge ausgehoͤhlten Kluͤf- ten vorbey, durch welche ſich Baͤche herunterſtuͤrzen. Aus dieſen Kluͤften blaſen beſtaͤndig kalte Winde ge- gen den Weg heraus, die von dem herunterſtuͤrzenden Waſſer verurſacht werden. Ohne Zweifel haben der- gleichen Winde die Gelegenheit zu Erfindung der durch herunterfallendes Waſſer wirkenden kuͤnſtlichen Geblaͤſe gegeben. Gegen Abend, als ich uͤber die Haͤlfte dieſes We- ges herunter war, fieng es an ſehr warm zu werden. Mein fahrenheitiſches Thermometer ſtund auf 74 Grad. Dennoch traf ich, da ich nur etwa noch eine halbe Stunde von dem Dorfe Am Staͤg entfernt, folglich beynahe den Berg herunter war, noch auf eine große Bruͤcke von Schnee, die uͤber einen ſtarken ſeitwaͤrts aus dem Berge herausſtroͤmenden Bach gieng. Dieſe gab mir Gelegenheit, eine ſeltene Be- obachtung zu machen. Mein Wegweiſer, der vor mir herritt, wollte hier uͤber den Schnee wegreiten, weil wirklich ein Weg uͤber denſelben gebahnt war. Allein das Pferd weigerte ſich hartnaͤckig, dieſen Weg zu nehmen; der Reiter brauchte Gewalt, und ſpornte aus allen Kraͤften: aber der Gaul baͤumte ſich auf, und wollte durchaus nicht fort. Endlich gab der Rei- ter nach, ritt etwas tiefer an der Seite des Berges hinein, und da war eine ſteinerne Bruͤcke uͤber den Bach geſchlagen. Als ich uͤber die Bruͤcke ritt, ſah ich, daß das, was ich vorher blos fuͤr einen feſten Klumpen Schnee angeſehen hatte, ein hohes und nur etwa noch eine Elle dickes Schneegewoͤlbe war, unter dem der Bach wegrollte. Es erſchreckte mich daran zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/392
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/392>, abgerufen am 13.05.2024.