Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite
Tagebuch von der Rückreise

Hieraus wird eine der wunderbarsten Anstalten
der Natur ganz begreiflich. Man siehet zugleich den
Grund, oder die Absicht von der erstaunlichen Höhe
der Alpengebürge; sie mußten so hoch seyn, um die
obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der
Schnee darauf dauern konnte. Man siehet, warum
diese Berge in ihrer ursprünglichen Anlage von harten
Felsen sind: denn wären sie von Erde oder weichem
Gesteine, so würden sie von den herunterströmenden
Bächen allmählig abgespült werden, und endlich in
niedrige Klumpen zusammensinken; und dieses müßte
eine allgemeine Verwüstung der Natur verursachen,
weil alsdenn auch erwähnte Wassermagazine aufhören
würden.

Jch könnte noch mehr eben so deutliche Merkma-
le einer höchst weisen, zur allgemeinen Oekonomie der
Natur dienenden Einrichtung der Berge anführen,
wenn ich Lust hätte weitläuftig zu seyn. Dieses We-
nige ist hinlänglich, zu zeigen, wie abgeschmackt und
ungereimt einige sich für freydenkende Philosophen
ausgebende über die hohen Gebürge geurtheilt haben,
wenn sie dieselben für Ueberbleibsel einer durch den Zu-
fall verursachten Verwüstung des Erdbodens halten,
oder noch alberner, als Gegenstände beschreiben, wel-
che die Natur verunzieren, und aus denen sie gern den
Schluß ziehen möchten, daß ein blinder Zufall alles
beherrschet. Gerade das, was solche unphilosophische
Träumer, die sich selbst für die einzigen ächten Philo-
sophen halten, als einen unüberwindlichen Einwurf
gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfüh-
ren, ist mir der lebhafteste Beweis des Gegentheils;

so
Tagebuch von der Ruͤckreiſe

Hieraus wird eine der wunderbarſten Anſtalten
der Natur ganz begreiflich. Man ſiehet zugleich den
Grund, oder die Abſicht von der erſtaunlichen Hoͤhe
der Alpengebuͤrge; ſie mußten ſo hoch ſeyn, um die
obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der
Schnee darauf dauern konnte. Man ſiehet, warum
dieſe Berge in ihrer urſpruͤnglichen Anlage von harten
Felſen ſind: denn waͤren ſie von Erde oder weichem
Geſteine, ſo wuͤrden ſie von den herunterſtroͤmenden
Baͤchen allmaͤhlig abgeſpuͤlt werden, und endlich in
niedrige Klumpen zuſammenſinken; und dieſes muͤßte
eine allgemeine Verwuͤſtung der Natur verurſachen,
weil alsdenn auch erwaͤhnte Waſſermagazine aufhoͤren
wuͤrden.

Jch koͤnnte noch mehr eben ſo deutliche Merkma-
le einer hoͤchſt weiſen, zur allgemeinen Oekonomie der
Natur dienenden Einrichtung der Berge anfuͤhren,
wenn ich Luſt haͤtte weitlaͤuftig zu ſeyn. Dieſes We-
nige iſt hinlaͤnglich, zu zeigen, wie abgeſchmackt und
ungereimt einige ſich fuͤr freydenkende Philoſophen
ausgebende uͤber die hohen Gebuͤrge geurtheilt haben,
wenn ſie dieſelben fuͤr Ueberbleibſel einer durch den Zu-
fall verurſachten Verwuͤſtung des Erdbodens halten,
oder noch alberner, als Gegenſtaͤnde beſchreiben, wel-
che die Natur verunzieren, und aus denen ſie gern den
Schluß ziehen moͤchten, daß ein blinder Zufall alles
beherrſchet. Gerade das, was ſolche unphiloſophiſche
Traͤumer, die ſich ſelbſt fuͤr die einzigen aͤchten Philo-
ſophen halten, als einen unuͤberwindlichen Einwurf
gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfuͤh-
ren, iſt mir der lebhafteſte Beweis des Gegentheils;

ſo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <pb facs="#f0398" n="378"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Tagebuch von der Ru&#x0364;ckrei&#x017F;e</hi> </fw><lb/>
          <p>Hieraus wird eine der wunderbar&#x017F;ten An&#x017F;talten<lb/>
der Natur ganz begreiflich. Man &#x017F;iehet zugleich den<lb/>
Grund, oder die Ab&#x017F;icht von der er&#x017F;taunlichen Ho&#x0364;he<lb/>
der Alpengebu&#x0364;rge; &#x017F;ie mußten &#x017F;o hoch &#x017F;eyn, um die<lb/>
obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der<lb/>
Schnee darauf dauern konnte. Man &#x017F;iehet, warum<lb/>
die&#x017F;e Berge in ihrer ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Anlage von harten<lb/>
Fel&#x017F;en &#x017F;ind: denn wa&#x0364;ren &#x017F;ie von Erde oder weichem<lb/>
Ge&#x017F;teine, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie von den herunter&#x017F;tro&#x0364;menden<lb/>
Ba&#x0364;chen allma&#x0364;hlig abge&#x017F;pu&#x0364;lt werden, und endlich in<lb/>
niedrige Klumpen zu&#x017F;ammen&#x017F;inken; und die&#x017F;es mu&#x0364;ßte<lb/>
eine allgemeine Verwu&#x0364;&#x017F;tung der Natur verur&#x017F;achen,<lb/>
weil alsdenn auch erwa&#x0364;hnte Wa&#x017F;&#x017F;ermagazine aufho&#x0364;ren<lb/>
wu&#x0364;rden.</p><lb/>
          <p>Jch ko&#x0364;nnte noch mehr eben &#x017F;o deutliche Merkma-<lb/>
le einer ho&#x0364;ch&#x017F;t wei&#x017F;en, zur allgemeinen Oekonomie der<lb/>
Natur dienenden Einrichtung der Berge anfu&#x0364;hren,<lb/>
wenn ich Lu&#x017F;t ha&#x0364;tte weitla&#x0364;uftig zu &#x017F;eyn. Die&#x017F;es We-<lb/>
nige i&#x017F;t hinla&#x0364;nglich, zu zeigen, wie abge&#x017F;chmackt und<lb/>
ungereimt einige &#x017F;ich fu&#x0364;r freydenkende Philo&#x017F;ophen<lb/>
ausgebende u&#x0364;ber die hohen Gebu&#x0364;rge geurtheilt haben,<lb/>
wenn &#x017F;ie die&#x017F;elben fu&#x0364;r Ueberbleib&#x017F;el einer durch den Zu-<lb/>
fall verur&#x017F;achten Verwu&#x0364;&#x017F;tung des Erdbodens halten,<lb/>
oder noch alberner, als Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde be&#x017F;chreiben, wel-<lb/>
che die Natur verunzieren, und aus denen &#x017F;ie gern den<lb/>
Schluß ziehen mo&#x0364;chten, daß ein blinder Zufall alles<lb/>
beherr&#x017F;chet. Gerade das, was &#x017F;olche unphilo&#x017F;ophi&#x017F;che<lb/>
Tra&#x0364;umer, die &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t fu&#x0364;r die einzigen a&#x0364;chten Philo-<lb/>
&#x017F;ophen halten, als einen unu&#x0364;berwindlichen Einwurf<lb/>
gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfu&#x0364;h-<lb/>
ren, i&#x017F;t mir der lebhafte&#x017F;te Beweis des Gegentheils;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[378/0398] Tagebuch von der Ruͤckreiſe Hieraus wird eine der wunderbarſten Anſtalten der Natur ganz begreiflich. Man ſiehet zugleich den Grund, oder die Abſicht von der erſtaunlichen Hoͤhe der Alpengebuͤrge; ſie mußten ſo hoch ſeyn, um die obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der Schnee darauf dauern konnte. Man ſiehet, warum dieſe Berge in ihrer urſpruͤnglichen Anlage von harten Felſen ſind: denn waͤren ſie von Erde oder weichem Geſteine, ſo wuͤrden ſie von den herunterſtroͤmenden Baͤchen allmaͤhlig abgeſpuͤlt werden, und endlich in niedrige Klumpen zuſammenſinken; und dieſes muͤßte eine allgemeine Verwuͤſtung der Natur verurſachen, weil alsdenn auch erwaͤhnte Waſſermagazine aufhoͤren wuͤrden. Jch koͤnnte noch mehr eben ſo deutliche Merkma- le einer hoͤchſt weiſen, zur allgemeinen Oekonomie der Natur dienenden Einrichtung der Berge anfuͤhren, wenn ich Luſt haͤtte weitlaͤuftig zu ſeyn. Dieſes We- nige iſt hinlaͤnglich, zu zeigen, wie abgeſchmackt und ungereimt einige ſich fuͤr freydenkende Philoſophen ausgebende uͤber die hohen Gebuͤrge geurtheilt haben, wenn ſie dieſelben fuͤr Ueberbleibſel einer durch den Zu- fall verurſachten Verwuͤſtung des Erdbodens halten, oder noch alberner, als Gegenſtaͤnde beſchreiben, wel- che die Natur verunzieren, und aus denen ſie gern den Schluß ziehen moͤchten, daß ein blinder Zufall alles beherrſchet. Gerade das, was ſolche unphiloſophiſche Traͤumer, die ſich ſelbſt fuͤr die einzigen aͤchten Philo- ſophen halten, als einen unuͤberwindlichen Einwurf gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfuͤh- ren, iſt mir der lebhafteſte Beweis des Gegentheils; ſo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/398
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/398>, abgerufen am 08.11.2024.