Hieraus wird eine der wunderbarsten Anstalten der Natur ganz begreiflich. Man siehet zugleich den Grund, oder die Absicht von der erstaunlichen Höhe der Alpengebürge; sie mußten so hoch seyn, um die obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der Schnee darauf dauern konnte. Man siehet, warum diese Berge in ihrer ursprünglichen Anlage von harten Felsen sind: denn wären sie von Erde oder weichem Gesteine, so würden sie von den herunterströmenden Bächen allmählig abgespült werden, und endlich in niedrige Klumpen zusammensinken; und dieses müßte eine allgemeine Verwüstung der Natur verursachen, weil alsdenn auch erwähnte Wassermagazine aufhören würden.
Jch könnte noch mehr eben so deutliche Merkma- le einer höchst weisen, zur allgemeinen Oekonomie der Natur dienenden Einrichtung der Berge anführen, wenn ich Lust hätte weitläuftig zu seyn. Dieses We- nige ist hinlänglich, zu zeigen, wie abgeschmackt und ungereimt einige sich für freydenkende Philosophen ausgebende über die hohen Gebürge geurtheilt haben, wenn sie dieselben für Ueberbleibsel einer durch den Zu- fall verursachten Verwüstung des Erdbodens halten, oder noch alberner, als Gegenstände beschreiben, wel- che die Natur verunzieren, und aus denen sie gern den Schluß ziehen möchten, daß ein blinder Zufall alles beherrschet. Gerade das, was solche unphilosophische Träumer, die sich selbst für die einzigen ächten Philo- sophen halten, als einen unüberwindlichen Einwurf gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfüh- ren, ist mir der lebhafteste Beweis des Gegentheils;
so
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Hieraus wird eine der wunderbarſten Anſtalten der Natur ganz begreiflich. Man ſiehet zugleich den Grund, oder die Abſicht von der erſtaunlichen Hoͤhe der Alpengebuͤrge; ſie mußten ſo hoch ſeyn, um die obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der Schnee darauf dauern konnte. Man ſiehet, warum dieſe Berge in ihrer urſpruͤnglichen Anlage von harten Felſen ſind: denn waͤren ſie von Erde oder weichem Geſteine, ſo wuͤrden ſie von den herunterſtroͤmenden Baͤchen allmaͤhlig abgeſpuͤlt werden, und endlich in niedrige Klumpen zuſammenſinken; und dieſes muͤßte eine allgemeine Verwuͤſtung der Natur verurſachen, weil alsdenn auch erwaͤhnte Waſſermagazine aufhoͤren wuͤrden.
Jch koͤnnte noch mehr eben ſo deutliche Merkma- le einer hoͤchſt weiſen, zur allgemeinen Oekonomie der Natur dienenden Einrichtung der Berge anfuͤhren, wenn ich Luſt haͤtte weitlaͤuftig zu ſeyn. Dieſes We- nige iſt hinlaͤnglich, zu zeigen, wie abgeſchmackt und ungereimt einige ſich fuͤr freydenkende Philoſophen ausgebende uͤber die hohen Gebuͤrge geurtheilt haben, wenn ſie dieſelben fuͤr Ueberbleibſel einer durch den Zu- fall verurſachten Verwuͤſtung des Erdbodens halten, oder noch alberner, als Gegenſtaͤnde beſchreiben, wel- che die Natur verunzieren, und aus denen ſie gern den Schluß ziehen moͤchten, daß ein blinder Zufall alles beherrſchet. Gerade das, was ſolche unphiloſophiſche Traͤumer, die ſich ſelbſt fuͤr die einzigen aͤchten Philo- ſophen halten, als einen unuͤberwindlichen Einwurf gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfuͤh- ren, iſt mir der lebhafteſte Beweis des Gegentheils;
ſo
<TEI><text><body><divn="1"><divtype="diaryEntry"n="2"><pbfacs="#f0398"n="378"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Tagebuch von der Ruͤckreiſe</hi></fw><lb/><p>Hieraus wird eine der wunderbarſten Anſtalten<lb/>
der Natur ganz begreiflich. Man ſiehet zugleich den<lb/>
Grund, oder die Abſicht von der erſtaunlichen Hoͤhe<lb/>
der Alpengebuͤrge; ſie mußten ſo hoch ſeyn, um die<lb/>
obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der<lb/>
Schnee darauf dauern konnte. Man ſiehet, warum<lb/>
dieſe Berge in ihrer urſpruͤnglichen Anlage von harten<lb/>
Felſen ſind: denn waͤren ſie von Erde oder weichem<lb/>
Geſteine, ſo wuͤrden ſie von den herunterſtroͤmenden<lb/>
Baͤchen allmaͤhlig abgeſpuͤlt werden, und endlich in<lb/>
niedrige Klumpen zuſammenſinken; und dieſes muͤßte<lb/>
eine allgemeine Verwuͤſtung der Natur verurſachen,<lb/>
weil alsdenn auch erwaͤhnte Waſſermagazine aufhoͤren<lb/>
wuͤrden.</p><lb/><p>Jch koͤnnte noch mehr eben ſo deutliche Merkma-<lb/>
le einer hoͤchſt weiſen, zur allgemeinen Oekonomie der<lb/>
Natur dienenden Einrichtung der Berge anfuͤhren,<lb/>
wenn ich Luſt haͤtte weitlaͤuftig zu ſeyn. Dieſes We-<lb/>
nige iſt hinlaͤnglich, zu zeigen, wie abgeſchmackt und<lb/>
ungereimt einige ſich fuͤr freydenkende Philoſophen<lb/>
ausgebende uͤber die hohen Gebuͤrge geurtheilt haben,<lb/>
wenn ſie dieſelben fuͤr Ueberbleibſel einer durch den Zu-<lb/>
fall verurſachten Verwuͤſtung des Erdbodens halten,<lb/>
oder noch alberner, als Gegenſtaͤnde beſchreiben, wel-<lb/>
che die Natur verunzieren, und aus denen ſie gern den<lb/>
Schluß ziehen moͤchten, daß ein blinder Zufall alles<lb/>
beherrſchet. Gerade das, was ſolche unphiloſophiſche<lb/>
Traͤumer, die ſich ſelbſt fuͤr die einzigen aͤchten Philo-<lb/>ſophen halten, als einen unuͤberwindlichen Einwurf<lb/>
gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfuͤh-<lb/>
ren, iſt mir der lebhafteſte Beweis des Gegentheils;<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſo</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[378/0398]
Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Hieraus wird eine der wunderbarſten Anſtalten
der Natur ganz begreiflich. Man ſiehet zugleich den
Grund, oder die Abſicht von der erſtaunlichen Hoͤhe
der Alpengebuͤrge; ſie mußten ſo hoch ſeyn, um die
obere kalte Gegend der Luft zu erreichen, damit der
Schnee darauf dauern konnte. Man ſiehet, warum
dieſe Berge in ihrer urſpruͤnglichen Anlage von harten
Felſen ſind: denn waͤren ſie von Erde oder weichem
Geſteine, ſo wuͤrden ſie von den herunterſtroͤmenden
Baͤchen allmaͤhlig abgeſpuͤlt werden, und endlich in
niedrige Klumpen zuſammenſinken; und dieſes muͤßte
eine allgemeine Verwuͤſtung der Natur verurſachen,
weil alsdenn auch erwaͤhnte Waſſermagazine aufhoͤren
wuͤrden.
Jch koͤnnte noch mehr eben ſo deutliche Merkma-
le einer hoͤchſt weiſen, zur allgemeinen Oekonomie der
Natur dienenden Einrichtung der Berge anfuͤhren,
wenn ich Luſt haͤtte weitlaͤuftig zu ſeyn. Dieſes We-
nige iſt hinlaͤnglich, zu zeigen, wie abgeſchmackt und
ungereimt einige ſich fuͤr freydenkende Philoſophen
ausgebende uͤber die hohen Gebuͤrge geurtheilt haben,
wenn ſie dieſelben fuͤr Ueberbleibſel einer durch den Zu-
fall verurſachten Verwuͤſtung des Erdbodens halten,
oder noch alberner, als Gegenſtaͤnde beſchreiben, wel-
che die Natur verunzieren, und aus denen ſie gern den
Schluß ziehen moͤchten, daß ein blinder Zufall alles
beherrſchet. Gerade das, was ſolche unphiloſophiſche
Traͤumer, die ſich ſelbſt fuͤr die einzigen aͤchten Philo-
ſophen halten, als einen unuͤberwindlichen Einwurf
gegen die Weisheit der Einrichtung der Natur anfuͤh-
ren, iſt mir der lebhafteſte Beweis des Gegentheils;
ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/398>, abgerufen am 11.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.