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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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jeden einzelnen Punkt in dem verwirrten Bilde von dem
grünen Felde, von einem jeden einzelnen Theil in dem
verwirrten Bilde von einer Wasserfläche. Nur unter-
einander und von einander lassen sich die Theile der ver-
wirrten Jdee nicht unterscheiden. Jn einer weißen
Fläche, die stark erleuchtet ist, hat jeder einzelne Strich
ein viel stärkeres Licht, als es nöthig seyn würde, sie zu
unterscheiden, wenn ihre Farben verschieden wären; und
dennoch werden solche nicht von einander unterschieden,
als nur, wo dieß vermittelst ihrer verschiedenen Lage und
Beziehungen auf andre Dinge geschehen kann. Jhre
zu große Aehnlichkeit unter einander ist in diesem Fall die
vornehmste Ursache von der Verwirrung. Um die Ver-
wirrung, in so ferne sie von der Dunkelheit unterschieden
ist, wegzubringen, ist es also nicht so wohl nöthig, mehr
Licht auf die Jdeen zu verbreiten, das zuweilen vermin-
dert werden muß, sondern vielmehr dahin zu sehen, daß
die Theile der Jdee, oder das Mannigfaltige und Un-
terscheidbare in ihr, auseinander gerückt und jedes bis
dahin abgesondert werde, daß es für sich ohne die übri-
gen gewahrgenommen werden kann. Die Jdee muß zu
dieser Absicht von verschiedenen Seiten, aus verschiede-
nen Gesichtspunkten beobachtet, und mit andern vergli-
chen werden, u. d. g.

Die Dunkelheit verursachet für sich keine Verwir-
rung. Die Theile der ganzen Vorstellung können die-
selbige Lage und Beziehungen gegen einander behalten,
welche sie haben, wenn sie deutlich ist, und es darf nur
ihnen allen im gleichen Verhältniße das Licht entzogen
werden. Bey hellem Tage scheint eine entfernte Gruppe
von Bäumen ein in Eins fortgehendes Ganze zu seyn;
da ist Verwirrung. Sind wir in der Nähe, und sehen
jeden Baum besonders, so wird, wenn die Nacht ein-
bricht, die Vorstellung verdunkelt, aber man findet nicht,
daß die Jdeen von einzelnen Bäumen zusammen in

einander
G 4

der Vorſtellungen.
jeden einzelnen Punkt in dem verwirrten Bilde von dem
gruͤnen Felde, von einem jeden einzelnen Theil in dem
verwirrten Bilde von einer Waſſerflaͤche. Nur unter-
einander und von einander laſſen ſich die Theile der ver-
wirrten Jdee nicht unterſcheiden. Jn einer weißen
Flaͤche, die ſtark erleuchtet iſt, hat jeder einzelne Strich
ein viel ſtaͤrkeres Licht, als es noͤthig ſeyn wuͤrde, ſie zu
unterſcheiden, wenn ihre Farben verſchieden waͤren; und
dennoch werden ſolche nicht von einander unterſchieden,
als nur, wo dieß vermittelſt ihrer verſchiedenen Lage und
Beziehungen auf andre Dinge geſchehen kann. Jhre
zu große Aehnlichkeit unter einander iſt in dieſem Fall die
vornehmſte Urſache von der Verwirrung. Um die Ver-
wirrung, in ſo ferne ſie von der Dunkelheit unterſchieden
iſt, wegzubringen, iſt es alſo nicht ſo wohl noͤthig, mehr
Licht auf die Jdeen zu verbreiten, das zuweilen vermin-
dert werden muß, ſondern vielmehr dahin zu ſehen, daß
die Theile der Jdee, oder das Mannigfaltige und Un-
terſcheidbare in ihr, auseinander geruͤckt und jedes bis
dahin abgeſondert werde, daß es fuͤr ſich ohne die uͤbri-
gen gewahrgenommen werden kann. Die Jdee muß zu
dieſer Abſicht von verſchiedenen Seiten, aus verſchiede-
nen Geſichtspunkten beobachtet, und mit andern vergli-
chen werden, u. d. g.

Die Dunkelheit verurſachet fuͤr ſich keine Verwir-
rung. Die Theile der ganzen Vorſtellung koͤnnen die-
ſelbige Lage und Beziehungen gegen einander behalten,
welche ſie haben, wenn ſie deutlich iſt, und es darf nur
ihnen allen im gleichen Verhaͤltniße das Licht entzogen
werden. Bey hellem Tage ſcheint eine entfernte Gruppe
von Baͤumen ein in Eins fortgehendes Ganze zu ſeyn;
da iſt Verwirrung. Sind wir in der Naͤhe, und ſehen
jeden Baum beſonders, ſo wird, wenn die Nacht ein-
bricht, die Vorſtellung verdunkelt, aber man findet nicht,
daß die Jdeen von einzelnen Baͤumen zuſammen in

einander
G 4
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[103/0163] der Vorſtellungen. jeden einzelnen Punkt in dem verwirrten Bilde von dem gruͤnen Felde, von einem jeden einzelnen Theil in dem verwirrten Bilde von einer Waſſerflaͤche. Nur unter- einander und von einander laſſen ſich die Theile der ver- wirrten Jdee nicht unterſcheiden. Jn einer weißen Flaͤche, die ſtark erleuchtet iſt, hat jeder einzelne Strich ein viel ſtaͤrkeres Licht, als es noͤthig ſeyn wuͤrde, ſie zu unterſcheiden, wenn ihre Farben verſchieden waͤren; und dennoch werden ſolche nicht von einander unterſchieden, als nur, wo dieß vermittelſt ihrer verſchiedenen Lage und Beziehungen auf andre Dinge geſchehen kann. Jhre zu große Aehnlichkeit unter einander iſt in dieſem Fall die vornehmſte Urſache von der Verwirrung. Um die Ver- wirrung, in ſo ferne ſie von der Dunkelheit unterſchieden iſt, wegzubringen, iſt es alſo nicht ſo wohl noͤthig, mehr Licht auf die Jdeen zu verbreiten, das zuweilen vermin- dert werden muß, ſondern vielmehr dahin zu ſehen, daß die Theile der Jdee, oder das Mannigfaltige und Un- terſcheidbare in ihr, auseinander geruͤckt und jedes bis dahin abgeſondert werde, daß es fuͤr ſich ohne die uͤbri- gen gewahrgenommen werden kann. Die Jdee muß zu dieſer Abſicht von verſchiedenen Seiten, aus verſchiede- nen Geſichtspunkten beobachtet, und mit andern vergli- chen werden, u. d. g. Die Dunkelheit verurſachet fuͤr ſich keine Verwir- rung. Die Theile der ganzen Vorſtellung koͤnnen die- ſelbige Lage und Beziehungen gegen einander behalten, welche ſie haben, wenn ſie deutlich iſt, und es darf nur ihnen allen im gleichen Verhaͤltniße das Licht entzogen werden. Bey hellem Tage ſcheint eine entfernte Gruppe von Baͤumen ein in Eins fortgehendes Ganze zu ſeyn; da iſt Verwirrung. Sind wir in der Naͤhe, und ſehen jeden Baum beſonders, ſo wird, wenn die Nacht ein- bricht, die Vorſtellung verdunkelt, aber man findet nicht, daß die Jdeen von einzelnen Baͤumen zuſammen in einander G 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/163>, abgerufen am 28.04.2024.