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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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über Empfindungen u. Empfindnisse.
Empfindung. Wenn diese nicht zu den gleichgülti-
gen gehöret, wenn sie afficirt, wenn sie uns gefällt oder
mißfällt, so ist sie, von dieser Seite betrachtet, was
nach dem gewöhnlichsten Gebrauch des Worts Em-
pfindniß
oder eine Rührung genennet wird. Herr
Bonnet nennet die Empfindung, wenn sie eine Em-
pfindniß ist, Sensation. Die gleichgültige Empfin-
dung, das bloße Aufnehmen des Eindrucks mit dem
Aktus des Fühlens zusammen, heißt bey ihm die Per-
ception.
*) An die Bonnetische Art, sich auszudrücken
erinnere ich hier, weil ich glaube, daß man oft Gelegen-
heiten haben werde, seine Begriffe mit den meinigen zu
vergleichen.

Der sinnliche gefühlte Eindruck von der Sonne wird
zu einer Nachempfindung und Empfindungs-
vorstellung.
(Man sehe Abth. V. des vorhergehenden
Versuchs über die Vorstellungen.) Alsdenn ist es eine
Perception, und das Empfinden ist ein Percipi-
ren
eines gegenwärtigen Objekts. Die Perception ist
es, zu der sich die Apperception, das Unterscheiden, oder
der Gedanke: dieß ist etwas unterschiedenes; es ist eine
besondere Modifikation; es ist ein besonders Objekt, hin-
zugesellet. Alsdenn ist man sich des Gefühls und
der Sache bewußt, man nimmt sie gewahr.

Die Empfindungsvorstellung wird eine Jdee des Em-
pfundenen
(sentiment) und die Empfindung ist eine
klare Empfindung.

Die Wörter Gefühl und Fühlen haben jetzo bey-
nahe einen so ausgedehnten Umfang erhalten, als die
Wörter: Empfindung und Empfinden. Aber
doch scheinet noch einiger Unterschied zwischen ihnen statt
zu finden. Fühlen gehet mehr auf den Aktus des Em-
pfindens, als auf den Gegenstand desselben, und Ge-

fühle,
*) Essai Analytique §. 196.
L 4

uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe.
Empfindung. Wenn dieſe nicht zu den gleichguͤlti-
gen gehoͤret, wenn ſie afficirt, wenn ſie uns gefaͤllt oder
mißfaͤllt, ſo iſt ſie, von dieſer Seite betrachtet, was
nach dem gewoͤhnlichſten Gebrauch des Worts Em-
pfindniß
oder eine Ruͤhrung genennet wird. Herr
Bonnet nennet die Empfindung, wenn ſie eine Em-
pfindniß iſt, Senſation. Die gleichguͤltige Empfin-
dung, das bloße Aufnehmen des Eindrucks mit dem
Aktus des Fuͤhlens zuſammen, heißt bey ihm die Per-
ception.
*) An die Bonnetiſche Art, ſich auszudruͤcken
erinnere ich hier, weil ich glaube, daß man oft Gelegen-
heiten haben werde, ſeine Begriffe mit den meinigen zu
vergleichen.

Der ſinnliche gefuͤhlte Eindruck von der Sonne wird
zu einer Nachempfindung und Empfindungs-
vorſtellung.
(Man ſehe Abth. V. des vorhergehenden
Verſuchs uͤber die Vorſtellungen.) Alsdenn iſt es eine
Perception, und das Empfinden iſt ein Percipi-
ren
eines gegenwaͤrtigen Objekts. Die Perception iſt
es, zu der ſich die Apperception, das Unterſcheiden, oder
der Gedanke: dieß iſt etwas unterſchiedenes; es iſt eine
beſondere Modifikation; es iſt ein beſonders Objekt, hin-
zugeſellet. Alsdenn iſt man ſich des Gefuͤhls und
der Sache bewußt, man nimmt ſie gewahr.

Die Empfindungsvorſtellung wird eine Jdee des Em-
pfundenen
(ſentiment) und die Empfindung iſt eine
klare Empfindung.

Die Woͤrter Gefuͤhl und Fuͤhlen haben jetzo bey-
nahe einen ſo ausgedehnten Umfang erhalten, als die
Woͤrter: Empfindung und Empfinden. Aber
doch ſcheinet noch einiger Unterſchied zwiſchen ihnen ſtatt
zu finden. Fuͤhlen gehet mehr auf den Aktus des Em-
pfindens, als auf den Gegenſtand deſſelben, und Ge-

fuͤhle,
*) Eſſai Analytique §. 196.
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[167/0227] uͤber Empfindungen u. Empfindniſſe. Empfindung. Wenn dieſe nicht zu den gleichguͤlti- gen gehoͤret, wenn ſie afficirt, wenn ſie uns gefaͤllt oder mißfaͤllt, ſo iſt ſie, von dieſer Seite betrachtet, was nach dem gewoͤhnlichſten Gebrauch des Worts Em- pfindniß oder eine Ruͤhrung genennet wird. Herr Bonnet nennet die Empfindung, wenn ſie eine Em- pfindniß iſt, Senſation. Die gleichguͤltige Empfin- dung, das bloße Aufnehmen des Eindrucks mit dem Aktus des Fuͤhlens zuſammen, heißt bey ihm die Per- ception. *) An die Bonnetiſche Art, ſich auszudruͤcken erinnere ich hier, weil ich glaube, daß man oft Gelegen- heiten haben werde, ſeine Begriffe mit den meinigen zu vergleichen. Der ſinnliche gefuͤhlte Eindruck von der Sonne wird zu einer Nachempfindung und Empfindungs- vorſtellung. (Man ſehe Abth. V. des vorhergehenden Verſuchs uͤber die Vorſtellungen.) Alsdenn iſt es eine Perception, und das Empfinden iſt ein Percipi- ren eines gegenwaͤrtigen Objekts. Die Perception iſt es, zu der ſich die Apperception, das Unterſcheiden, oder der Gedanke: dieß iſt etwas unterſchiedenes; es iſt eine beſondere Modifikation; es iſt ein beſonders Objekt, hin- zugeſellet. Alsdenn iſt man ſich des Gefuͤhls und der Sache bewußt, man nimmt ſie gewahr. Die Empfindungsvorſtellung wird eine Jdee des Em- pfundenen (ſentiment) und die Empfindung iſt eine klare Empfindung. Die Woͤrter Gefuͤhl und Fuͤhlen haben jetzo bey- nahe einen ſo ausgedehnten Umfang erhalten, als die Woͤrter: Empfindung und Empfinden. Aber doch ſcheinet noch einiger Unterſchied zwiſchen ihnen ſtatt zu finden. Fuͤhlen gehet mehr auf den Aktus des Em- pfindens, als auf den Gegenſtand deſſelben, und Ge- fuͤhle, *) Eſſai Analytique §. 196. L 4

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/227>, abgerufen am 07.05.2024.