es doch auch nicht nach Hypothesen philosophiren, wenn man die in einigen Erfahrungen deutlich beobachteten Wirkungsgesetze auf andere anwendet, worinn man die dazu erforderlichen Thätigkeiten nicht so unmittelbar be- obachten kann. Wenn die letztern sich aus denselbigen Gründen und auf dieselbige Art begreifen lassen, wie die erstern erkläret sind, so macht die Analogie es wahr- scheinlich, daß sie auch wirklich auf dieselbige Art und Weise entstehen. Und dieß wird zur völligen Gewiß- heit gebracht, wenn man Erfahrungen findet, woraus es unmittelbar erhellet, daß es mit ihnen in Hinsicht der vornehmsten Umstände, dieselbige Beschaffenheit habe, wie mit jenen. Wenn Hr. Reid und seine Nachfolger so billig sind, dieses Verfahren für logisch richtig zu er- kennen, so wird der Ursprung aller Empfindungsideen, wovon sie glauben, daß solcher nothwendig ein eigenes Princip in der Seele erfordere, welches sie den gemei- nen Verstand nennen, und der Vernunft entgegen setzen, aus der vereinigten Wirkung des Gefühls, der vorstellenden Kraft und der, die Verhältnisse nach ge- wissen allgemeinen Gesetzen erkennenden, Denkkraft be- griffen, und die bey diesen oder jenen einzelnen Jdeen vorkommenden Schwierigkeiten gehoben werden. Und da, deucht mich, werden die Hauptstücke, worauf es ankommt, um das Jdeenmachen völlig einzusehen, folgende seyn.
Mit allen Vorstellungen des Gesichts, des Gefühls und der übrigen Sinne wird der Gedanke verbunden, daß sie äußere Objekte vorstellen. Dieser Gedanke be- stehet in einem Urtheil, und setzet voraus, daß schon eine allgemeine Vorstellung von einem Dinge, von einem wirklichen Dinge, und von einem äußern Dinge, vorhanden, und daß diese von einer andern allgemeinen Vorstellung von unserm Selbst, und von einer Sache in uns, unterschieden sey. Wie diese Vorstellungen
entstehen,
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
es doch auch nicht nach Hypotheſen philoſophiren, wenn man die in einigen Erfahrungen deutlich beobachteten Wirkungsgeſetze auf andere anwendet, worinn man die dazu erforderlichen Thaͤtigkeiten nicht ſo unmittelbar be- obachten kann. Wenn die letztern ſich aus denſelbigen Gruͤnden und auf dieſelbige Art begreifen laſſen, wie die erſtern erklaͤret ſind, ſo macht die Analogie es wahr- ſcheinlich, daß ſie auch wirklich auf dieſelbige Art und Weiſe entſtehen. Und dieß wird zur voͤlligen Gewiß- heit gebracht, wenn man Erfahrungen findet, woraus es unmittelbar erhellet, daß es mit ihnen in Hinſicht der vornehmſten Umſtaͤnde, dieſelbige Beſchaffenheit habe, wie mit jenen. Wenn Hr. Reid und ſeine Nachfolger ſo billig ſind, dieſes Verfahren fuͤr logiſch richtig zu er- kennen, ſo wird der Urſprung aller Empfindungsideen, wovon ſie glauben, daß ſolcher nothwendig ein eigenes Princip in der Seele erfordere, welches ſie den gemei- nen Verſtand nennen, und der Vernunft entgegen ſetzen, aus der vereinigten Wirkung des Gefuͤhls, der vorſtellenden Kraft und der, die Verhaͤltniſſe nach ge- wiſſen allgemeinen Geſetzen erkennenden, Denkkraft be- griffen, und die bey dieſen oder jenen einzelnen Jdeen vorkommenden Schwierigkeiten gehoben werden. Und da, deucht mich, werden die Hauptſtuͤcke, worauf es ankommt, um das Jdeenmachen voͤllig einzuſehen, folgende ſeyn.
Mit allen Vorſtellungen des Geſichts, des Gefuͤhls und der uͤbrigen Sinne wird der Gedanke verbunden, daß ſie aͤußere Objekte vorſtellen. Dieſer Gedanke be- ſtehet in einem Urtheil, und ſetzet voraus, daß ſchon eine allgemeine Vorſtellung von einem Dinge, von einem wirklichen Dinge, und von einem aͤußern Dinge, vorhanden, und daß dieſe von einer andern allgemeinen Vorſtellung von unſerm Selbſt, und von einer Sache in uns, unterſchieden ſey. Wie dieſe Vorſtellungen
entſtehen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0404"n="344"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IV.</hi> Verſuch. Ueber die Denkkraft</hi></fw><lb/>
es doch auch nicht nach Hypotheſen philoſophiren, wenn<lb/>
man die in einigen Erfahrungen deutlich beobachteten<lb/>
Wirkungsgeſetze auf andere anwendet, worinn man die<lb/>
dazu erforderlichen Thaͤtigkeiten nicht ſo unmittelbar be-<lb/>
obachten kann. Wenn die letztern ſich aus denſelbigen<lb/>
Gruͤnden und auf dieſelbige Art begreifen laſſen, wie die<lb/>
erſtern erklaͤret ſind, ſo macht die Analogie es wahr-<lb/>ſcheinlich, daß ſie auch wirklich auf dieſelbige Art und<lb/>
Weiſe entſtehen. Und dieß wird zur voͤlligen Gewiß-<lb/>
heit gebracht, wenn man Erfahrungen findet, woraus<lb/>
es unmittelbar erhellet, daß es mit ihnen in Hinſicht der<lb/>
vornehmſten Umſtaͤnde, dieſelbige Beſchaffenheit habe,<lb/>
wie mit jenen. Wenn Hr. <hirendition="#fr">Reid</hi> und ſeine Nachfolger<lb/>ſo billig ſind, dieſes Verfahren fuͤr logiſch richtig zu er-<lb/>
kennen, ſo wird der Urſprung aller Empfindungsideen,<lb/>
wovon ſie glauben, daß ſolcher nothwendig ein eigenes<lb/>
Princip in der Seele erfordere, welches ſie den <hirendition="#fr">gemei-<lb/>
nen Verſtand</hi> nennen, und der Vernunft entgegen<lb/>ſetzen, aus der vereinigten Wirkung des Gefuͤhls, der<lb/>
vorſtellenden Kraft und der, die Verhaͤltniſſe nach ge-<lb/>
wiſſen allgemeinen Geſetzen erkennenden, Denkkraft be-<lb/>
griffen, und die bey dieſen oder jenen einzelnen Jdeen<lb/>
vorkommenden Schwierigkeiten gehoben werden. Und<lb/>
da, deucht mich, werden die Hauptſtuͤcke, worauf es<lb/>
ankommt, um das <hirendition="#fr">Jdeenmachen</hi> voͤllig einzuſehen,<lb/>
folgende ſeyn.</p><lb/><p>Mit allen Vorſtellungen des Geſichts, des Gefuͤhls<lb/>
und der uͤbrigen Sinne wird der Gedanke verbunden,<lb/>
daß ſie aͤußere <hirendition="#fr">Objekte</hi> vorſtellen. Dieſer Gedanke be-<lb/>ſtehet in einem Urtheil, und ſetzet voraus, daß ſchon eine<lb/>
allgemeine Vorſtellung von einem <hirendition="#fr">Dinge,</hi> von einem<lb/><hirendition="#fr">wirklichen</hi> Dinge, und von einem <hirendition="#fr">aͤußern</hi> Dinge,<lb/>
vorhanden, und daß dieſe von einer andern allgemeinen<lb/>
Vorſtellung von <hirendition="#fr">unſerm Selbſt,</hi> und von einer Sache<lb/><hirendition="#fr">in uns,</hi> unterſchieden ſey. Wie dieſe Vorſtellungen<lb/><fwplace="bottom"type="catch">entſtehen,</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[344/0404]
IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
es doch auch nicht nach Hypotheſen philoſophiren, wenn
man die in einigen Erfahrungen deutlich beobachteten
Wirkungsgeſetze auf andere anwendet, worinn man die
dazu erforderlichen Thaͤtigkeiten nicht ſo unmittelbar be-
obachten kann. Wenn die letztern ſich aus denſelbigen
Gruͤnden und auf dieſelbige Art begreifen laſſen, wie die
erſtern erklaͤret ſind, ſo macht die Analogie es wahr-
ſcheinlich, daß ſie auch wirklich auf dieſelbige Art und
Weiſe entſtehen. Und dieß wird zur voͤlligen Gewiß-
heit gebracht, wenn man Erfahrungen findet, woraus
es unmittelbar erhellet, daß es mit ihnen in Hinſicht der
vornehmſten Umſtaͤnde, dieſelbige Beſchaffenheit habe,
wie mit jenen. Wenn Hr. Reid und ſeine Nachfolger
ſo billig ſind, dieſes Verfahren fuͤr logiſch richtig zu er-
kennen, ſo wird der Urſprung aller Empfindungsideen,
wovon ſie glauben, daß ſolcher nothwendig ein eigenes
Princip in der Seele erfordere, welches ſie den gemei-
nen Verſtand nennen, und der Vernunft entgegen
ſetzen, aus der vereinigten Wirkung des Gefuͤhls, der
vorſtellenden Kraft und der, die Verhaͤltniſſe nach ge-
wiſſen allgemeinen Geſetzen erkennenden, Denkkraft be-
griffen, und die bey dieſen oder jenen einzelnen Jdeen
vorkommenden Schwierigkeiten gehoben werden. Und
da, deucht mich, werden die Hauptſtuͤcke, worauf es
ankommt, um das Jdeenmachen voͤllig einzuſehen,
folgende ſeyn.
Mit allen Vorſtellungen des Geſichts, des Gefuͤhls
und der uͤbrigen Sinne wird der Gedanke verbunden,
daß ſie aͤußere Objekte vorſtellen. Dieſer Gedanke be-
ſtehet in einem Urtheil, und ſetzet voraus, daß ſchon eine
allgemeine Vorſtellung von einem Dinge, von einem
wirklichen Dinge, und von einem aͤußern Dinge,
vorhanden, und daß dieſe von einer andern allgemeinen
Vorſtellung von unſerm Selbſt, und von einer Sache
in uns, unterſchieden ſey. Wie dieſe Vorſtellungen
entſtehen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/404>, abgerufen am 12.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.