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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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IV. Versuch. Ueber die Denkkraft
Aehnlichkeit mit andern fest, nemlich mit solchen, welche
mit demselbigen Worte benennet sind. Und dieß letztere
ist die Wirkung einer angestellten Vergleichung.
Wenn ich mich also des simpeln Ausdrucks: ist, nur
bediene, und sage: das Papier ist weiß, so gebe ich
schon so viel an, daß die gegenwärtige Beziehung der
Jdee von der weißen Farbe, auf die Jdee von dem Pa-
pier dieselbige sey, welche allenthalben vorkommt, wo
wir sagen: ein Ding ist dieß, oder jenes, ich sage; sie
ist die Beziehung einer Beschaffenheit auf eine Sache,
oder die Beziehung eines Dinges auf ein anders, in wel-
chem oder bey welchem jenes als eine Beschaffenheit ist.

Ob ein Urtheil richtig ist oder unrichtig, das hängt
also theils von der gegenwärtigen Beziehung der Jdeen
ab; theils von der Richtigkeit des Gewahrnehmens, ob
die gegenwärtige Beziehung eben dieselbige sey, als die-
jenige, mit deren Jdee sie zusammen fällt, und durch
welche sie gewahrgenommen wird. Die erste Beziehung
kann schon unrichtig gemacht seyn; aber auch die Ver-
gleichung, welche das Gewahrnehmen befördert, kann
falsch seyn; wenn nach dem Gesetz der Phantasie das
Halbähnliche als völlig ähnlich zusammenfällt.

Jn so weit kann die getadelte Erklärung von dem
Urtheil, daß es auf eine Vergleichung der Jdeen des
Subjekts und des Prädikats beruhe, geduldet werden,
wenn man alle Verhältnisse zwischen den Jdeen außer
dem Seyn und Nichtseyn, in die Jdeen des Prädikats
hineinbringt. Aber dennoch stellt diese Erklärung die
Sache etwas verschoben dar. Beziehung der Jdeen,
und eine Gewahrnehmung dieser Beziehung oder der ihr
entsprechenden objektivischen Verhältnisse machen die
Form oder das Wesen des Urthells aus. Jn dem logi-
schen Satz aber als einem ausgedruckten Urtheil,
kommt noch die Beziehung dieses gewahrgenommenen
Verhältnisses durch ein allgemeines Zeichen hinzu, wo-

durch

IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft
Aehnlichkeit mit andern feſt, nemlich mit ſolchen, welche
mit demſelbigen Worte benennet ſind. Und dieß letztere
iſt die Wirkung einer angeſtellten Vergleichung.
Wenn ich mich alſo des ſimpeln Ausdrucks: iſt, nur
bediene, und ſage: das Papier iſt weiß, ſo gebe ich
ſchon ſo viel an, daß die gegenwaͤrtige Beziehung der
Jdee von der weißen Farbe, auf die Jdee von dem Pa-
pier dieſelbige ſey, welche allenthalben vorkommt, wo
wir ſagen: ein Ding iſt dieß, oder jenes, ich ſage; ſie
iſt die Beziehung einer Beſchaffenheit auf eine Sache,
oder die Beziehung eines Dinges auf ein anders, in wel-
chem oder bey welchem jenes als eine Beſchaffenheit iſt.

Ob ein Urtheil richtig iſt oder unrichtig, das haͤngt
alſo theils von der gegenwaͤrtigen Beziehung der Jdeen
ab; theils von der Richtigkeit des Gewahrnehmens, ob
die gegenwaͤrtige Beziehung eben dieſelbige ſey, als die-
jenige, mit deren Jdee ſie zuſammen faͤllt, und durch
welche ſie gewahrgenommen wird. Die erſte Beziehung
kann ſchon unrichtig gemacht ſeyn; aber auch die Ver-
gleichung, welche das Gewahrnehmen befoͤrdert, kann
falſch ſeyn; wenn nach dem Geſetz der Phantaſie das
Halbaͤhnliche als voͤllig aͤhnlich zuſammenfaͤllt.

Jn ſo weit kann die getadelte Erklaͤrung von dem
Urtheil, daß es auf eine Vergleichung der Jdeen des
Subjekts und des Praͤdikats beruhe, geduldet werden,
wenn man alle Verhaͤltniſſe zwiſchen den Jdeen außer
dem Seyn und Nichtſeyn, in die Jdeen des Praͤdikats
hineinbringt. Aber dennoch ſtellt dieſe Erklaͤrung die
Sache etwas verſchoben dar. Beziehung der Jdeen,
und eine Gewahrnehmung dieſer Beziehung oder der ihr
entſprechenden objektiviſchen Verhaͤltniſſe machen die
Form oder das Weſen des Urthells aus. Jn dem logi-
ſchen Satz aber als einem ausgedruckten Urtheil,
kommt noch die Beziehung dieſes gewahrgenommenen
Verhaͤltniſſes durch ein allgemeines Zeichen hinzu, wo-

durch
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[368/0428] IV. Verſuch. Ueber die Denkkraft Aehnlichkeit mit andern feſt, nemlich mit ſolchen, welche mit demſelbigen Worte benennet ſind. Und dieß letztere iſt die Wirkung einer angeſtellten Vergleichung. Wenn ich mich alſo des ſimpeln Ausdrucks: iſt, nur bediene, und ſage: das Papier iſt weiß, ſo gebe ich ſchon ſo viel an, daß die gegenwaͤrtige Beziehung der Jdee von der weißen Farbe, auf die Jdee von dem Pa- pier dieſelbige ſey, welche allenthalben vorkommt, wo wir ſagen: ein Ding iſt dieß, oder jenes, ich ſage; ſie iſt die Beziehung einer Beſchaffenheit auf eine Sache, oder die Beziehung eines Dinges auf ein anders, in wel- chem oder bey welchem jenes als eine Beſchaffenheit iſt. Ob ein Urtheil richtig iſt oder unrichtig, das haͤngt alſo theils von der gegenwaͤrtigen Beziehung der Jdeen ab; theils von der Richtigkeit des Gewahrnehmens, ob die gegenwaͤrtige Beziehung eben dieſelbige ſey, als die- jenige, mit deren Jdee ſie zuſammen faͤllt, und durch welche ſie gewahrgenommen wird. Die erſte Beziehung kann ſchon unrichtig gemacht ſeyn; aber auch die Ver- gleichung, welche das Gewahrnehmen befoͤrdert, kann falſch ſeyn; wenn nach dem Geſetz der Phantaſie das Halbaͤhnliche als voͤllig aͤhnlich zuſammenfaͤllt. Jn ſo weit kann die getadelte Erklaͤrung von dem Urtheil, daß es auf eine Vergleichung der Jdeen des Subjekts und des Praͤdikats beruhe, geduldet werden, wenn man alle Verhaͤltniſſe zwiſchen den Jdeen außer dem Seyn und Nichtſeyn, in die Jdeen des Praͤdikats hineinbringt. Aber dennoch ſtellt dieſe Erklaͤrung die Sache etwas verſchoben dar. Beziehung der Jdeen, und eine Gewahrnehmung dieſer Beziehung oder der ihr entſprechenden objektiviſchen Verhaͤltniſſe machen die Form oder das Weſen des Urthells aus. Jn dem logi- ſchen Satz aber als einem ausgedruckten Urtheil, kommt noch die Beziehung dieſes gewahrgenommenen Verhaͤltniſſes durch ein allgemeines Zeichen hinzu, wo- durch

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/428>, abgerufen am 28.04.2024.