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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

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X. Versuch. Ueber die Beziehung
Charakters, daß die Handlungen selbst einander ähnlich
sind; oder man muß dieses Hülfsmittel entbehren. Es
will sich z. B. jemand die große Miene geben, die er
an einem siehet, und die ihm gefällt, ohne sich im Spie-
gel beschauen zu können. Das Verbindungsmittel ist
alsdenn das Wort, oder die Benennung, womit seine
eigene und die fremde Gebehrdung bezeichnet wird. Die
seinige fühlt er innerlich; und ob er sie zwar nicht sehen
kann, so weis er doch daraus, daß sie mit der gesehe-
nen Gebehrdung eines andern, einerley ist, weil beide
auf einerley Art benennet werden. Die seinige,
welche er fühlt, ist Gravität genannt, wie die, welche
er an seinem Muster sieht, und zwar von solchen Perso-
nen, welche beide nach Gesichtsvorstellungen verglichen
hatten. Die Gleichheit des Namens vertritt hier also
die Stelle einer empfundenen Aehnlichkeit in ihren äußern
Gestalten.

Die dritte Art der Verbindung in der Nachah-
mung treffen wir in solchen Beyspielen an, wo schon ei-
ne Vorstellung und eine Fertigkeit zu der nachgemach-
ten Aktion vorhanden ist. Der Eindruck von der frem-
den Aktion von außen, thut nichts mehr, als daß er die
Veranlassung ist, bey der die Vorstellung von der Hand-
lung, die zugleich der Anfang der Aktion selbst ist, wie-
der erwecket wird. Und dieß geschicht daher, weil ein
solcher Eindruck selbst ein Stück einer solchen Vorstellung
ausmacht. Und dieß ist ein eigentliches Nachthun,
und geschicht vermittelst einer Reproduktion von Jdeen.
Jch verweise auf die obige Erklärung, wie das Mitgäh-
nen entstehet. Der äußere Eindruck von einer fremden
Handlung ist ein Zug, der mit der Vorstellung von der
eigenen Handlung verbunden ist, und nach dem Gesetz
der Association die ganze Vorstellung erwecket. Diese
letztere ist aber selbst ein Anfang der Aktion, welche in
die völlige Aktion übergehet.

Die

X. Verſuch. Ueber die Beziehung
Charakters, daß die Handlungen ſelbſt einander aͤhnlich
ſind; oder man muß dieſes Huͤlfsmittel entbehren. Es
will ſich z. B. jemand die große Miene geben, die er
an einem ſiehet, und die ihm gefaͤllt, ohne ſich im Spie-
gel beſchauen zu koͤnnen. Das Verbindungsmittel iſt
alsdenn das Wort, oder die Benennung, womit ſeine
eigene und die fremde Gebehrdung bezeichnet wird. Die
ſeinige fuͤhlt er innerlich; und ob er ſie zwar nicht ſehen
kann, ſo weis er doch daraus, daß ſie mit der geſehe-
nen Gebehrdung eines andern, einerley iſt, weil beide
auf einerley Art benennet werden. Die ſeinige,
welche er fuͤhlt, iſt Gravitaͤt genannt, wie die, welche
er an ſeinem Muſter ſieht, und zwar von ſolchen Perſo-
nen, welche beide nach Geſichtsvorſtellungen verglichen
hatten. Die Gleichheit des Namens vertritt hier alſo
die Stelle einer empfundenen Aehnlichkeit in ihren aͤußern
Geſtalten.

Die dritte Art der Verbindung in der Nachah-
mung treffen wir in ſolchen Beyſpielen an, wo ſchon ei-
ne Vorſtellung und eine Fertigkeit zu der nachgemach-
ten Aktion vorhanden iſt. Der Eindruck von der frem-
den Aktion von außen, thut nichts mehr, als daß er die
Veranlaſſung iſt, bey der die Vorſtellung von der Hand-
lung, die zugleich der Anfang der Aktion ſelbſt iſt, wie-
der erwecket wird. Und dieß geſchicht daher, weil ein
ſolcher Eindruck ſelbſt ein Stuͤck einer ſolchen Vorſtellung
ausmacht. Und dieß iſt ein eigentliches Nachthun,
und geſchicht vermittelſt einer Reproduktion von Jdeen.
Jch verweiſe auf die obige Erklaͤrung, wie das Mitgaͤh-
nen entſtehet. Der aͤußere Eindruck von einer fremden
Handlung iſt ein Zug, der mit der Vorſtellung von der
eigenen Handlung verbunden iſt, und nach dem Geſetz
der Aſſociation die ganze Vorſtellung erwecket. Dieſe
letztere iſt aber ſelbſt ein Anfang der Aktion, welche in
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Die
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[676/0736] X. Verſuch. Ueber die Beziehung Charakters, daß die Handlungen ſelbſt einander aͤhnlich ſind; oder man muß dieſes Huͤlfsmittel entbehren. Es will ſich z. B. jemand die große Miene geben, die er an einem ſiehet, und die ihm gefaͤllt, ohne ſich im Spie- gel beſchauen zu koͤnnen. Das Verbindungsmittel iſt alsdenn das Wort, oder die Benennung, womit ſeine eigene und die fremde Gebehrdung bezeichnet wird. Die ſeinige fuͤhlt er innerlich; und ob er ſie zwar nicht ſehen kann, ſo weis er doch daraus, daß ſie mit der geſehe- nen Gebehrdung eines andern, einerley iſt, weil beide auf einerley Art benennet werden. Die ſeinige, welche er fuͤhlt, iſt Gravitaͤt genannt, wie die, welche er an ſeinem Muſter ſieht, und zwar von ſolchen Perſo- nen, welche beide nach Geſichtsvorſtellungen verglichen hatten. Die Gleichheit des Namens vertritt hier alſo die Stelle einer empfundenen Aehnlichkeit in ihren aͤußern Geſtalten. Die dritte Art der Verbindung in der Nachah- mung treffen wir in ſolchen Beyſpielen an, wo ſchon ei- ne Vorſtellung und eine Fertigkeit zu der nachgemach- ten Aktion vorhanden iſt. Der Eindruck von der frem- den Aktion von außen, thut nichts mehr, als daß er die Veranlaſſung iſt, bey der die Vorſtellung von der Hand- lung, die zugleich der Anfang der Aktion ſelbſt iſt, wie- der erwecket wird. Und dieß geſchicht daher, weil ein ſolcher Eindruck ſelbſt ein Stuͤck einer ſolchen Vorſtellung ausmacht. Und dieß iſt ein eigentliches Nachthun, und geſchicht vermittelſt einer Reproduktion von Jdeen. Jch verweiſe auf die obige Erklaͤrung, wie das Mitgaͤh- nen entſtehet. Der aͤußere Eindruck von einer fremden Handlung iſt ein Zug, der mit der Vorſtellung von der eigenen Handlung verbunden iſt, und nach dem Geſetz der Aſſociation die ganze Vorſtellung erwecket. Dieſe letztere iſt aber ſelbſt ein Anfang der Aktion, welche in die voͤllige Aktion uͤbergehet. Die

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/736>, abgerufen am 30.04.2024.