Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

der Vorstellungskraft etc.
was auch unmittelbar auf den Sinn wirken, und eine
größere und längere anhaltende Thätigkeit desselben, ohne
andere dazwischengekommene Vorstellungen, herauslo-
cken kann, so ist dieser Reiz in derselbigen Beschaffenheit
der Jmpression gegründet, durch welche sie die vorstel-
lende und denkende Kraft in Regung setzet. Die gleich-
gültige
Empfindung ist nicht ganz unwirksam. Sie
heißt nur unwirksam, in so ferne sie keine Gemüthsbe-
wegungen und keine Bestrebungen der Thätigkeitskraft
hervorbringet.

5.

Gemäßigte Stärke und Deutlichkeit in den
gefühlten Eindrücken sind die Reizung für die
vorstellende und denkende Kraft.
Allzugroße
Schwäche wirket nichts, und reizet die Seele nicht, we-
der zum Denken noch zum Handeln. Große Lebhaftig-
keit unterhält das Gefühl, und spannet die thätige Kraft,
und hindert dagegen das Vorstellen und Denken. Aber
wo sie in einem mittlern Grade vorhanden ist, da fin-
det die Vorstellungskraft ihr Werk; da kann sie wirken
und wirket; und wo objektivische Deutlichkeit ist,
da ist Nahrung für das Beziehungsvermögen, und für
die Denkkraft.

Dieß Gesetz der Vorstellungskraft wird durch
folgende Beobachtungen, außer Zweifel gesetzt.

1) Die Gesichtsvorstellungen sind die Vorstellungen
von der ersten Ordnung. Jn ihnen ist die meiste Klar-
heit. Sie werden am leichtsten wieder erweckt, und
sind die Hülfsmittel, die übrigen wieder zu erwecken, die
man an sie anleget. Jn den Reihen der associirten Jdeen
sind die Gesichtsvorstellungen gemeiniglich die Klaves,
auf welche die Reproduktionskraft unmittelbar anschlä-
get, wenn sie ganze Jdeenreihen wiedererwecken will.

Aber

der Vorſtellungskraft ⁊c.
was auch unmittelbar auf den Sinn wirken, und eine
groͤßere und laͤngere anhaltende Thaͤtigkeit deſſelben, ohne
andere dazwiſchengekommene Vorſtellungen, herauslo-
cken kann, ſo iſt dieſer Reiz in derſelbigen Beſchaffenheit
der Jmpreſſion gegruͤndet, durch welche ſie die vorſtel-
lende und denkende Kraft in Regung ſetzet. Die gleich-
guͤltige
Empfindung iſt nicht ganz unwirkſam. Sie
heißt nur unwirkſam, in ſo ferne ſie keine Gemuͤthsbe-
wegungen und keine Beſtrebungen der Thaͤtigkeitskraft
hervorbringet.

5.

Gemaͤßigte Staͤrke und Deutlichkeit in den
gefuͤhlten Eindruͤcken ſind die Reizung fuͤr die
vorſtellende und denkende Kraft.
Allzugroße
Schwaͤche wirket nichts, und reizet die Seele nicht, we-
der zum Denken noch zum Handeln. Große Lebhaftig-
keit unterhaͤlt das Gefuͤhl, und ſpannet die thaͤtige Kraft,
und hindert dagegen das Vorſtellen und Denken. Aber
wo ſie in einem mittlern Grade vorhanden iſt, da fin-
det die Vorſtellungskraft ihr Werk; da kann ſie wirken
und wirket; und wo objektiviſche Deutlichkeit iſt,
da iſt Nahrung fuͤr das Beziehungsvermoͤgen, und fuͤr
die Denkkraft.

Dieß Geſetz der Vorſtellungskraft wird durch
folgende Beobachtungen, außer Zweifel geſetzt.

1) Die Geſichtsvorſtellungen ſind die Vorſtellungen
von der erſten Ordnung. Jn ihnen iſt die meiſte Klar-
heit. Sie werden am leichtſten wieder erweckt, und
ſind die Huͤlfsmittel, die uͤbrigen wieder zu erwecken, die
man an ſie anleget. Jn den Reihen der aſſociirten Jdeen
ſind die Geſichtsvorſtellungen gemeiniglich die Klaves,
auf welche die Reproduktionskraft unmittelbar anſchlaͤ-
get, wenn ſie ganze Jdeenreihen wiedererwecken will.

Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0775" n="715"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Vor&#x017F;tellungskraft &#x204A;c.</hi></fw><lb/>
was auch unmittelbar auf den Sinn wirken, und eine<lb/>
gro&#x0364;ßere und la&#x0364;ngere anhaltende Tha&#x0364;tigkeit de&#x017F;&#x017F;elben, ohne<lb/>
andere dazwi&#x017F;chengekommene Vor&#x017F;tellungen, herauslo-<lb/>
cken kann, &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;er Reiz in der&#x017F;elbigen Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
der Jmpre&#x017F;&#x017F;ion gegru&#x0364;ndet, durch welche &#x017F;ie die vor&#x017F;tel-<lb/>
lende und denkende Kraft in Regung &#x017F;etzet. Die <hi rendition="#fr">gleich-<lb/>
gu&#x0364;ltige</hi> Empfindung i&#x017F;t nicht ganz unwirk&#x017F;am. Sie<lb/>
heißt nur unwirk&#x017F;am, in &#x017F;o ferne &#x017F;ie keine Gemu&#x0364;thsbe-<lb/>
wegungen und keine Be&#x017F;trebungen der Tha&#x0364;tigkeitskraft<lb/>
hervorbringet.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>5.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Gema&#x0364;ßigte Sta&#x0364;rke und Deutlichkeit in den<lb/>
gefu&#x0364;hlten Eindru&#x0364;cken &#x017F;ind die Reizung fu&#x0364;r die<lb/>
vor&#x017F;tellende und denkende Kraft.</hi> Allzugroße<lb/>
Schwa&#x0364;che wirket nichts, und reizet die Seele nicht, we-<lb/>
der zum Denken noch zum Handeln. Große Lebhaftig-<lb/>
keit unterha&#x0364;lt das Gefu&#x0364;hl, und &#x017F;pannet die tha&#x0364;tige Kraft,<lb/>
und hindert dagegen das Vor&#x017F;tellen und Denken. Aber<lb/>
wo &#x017F;ie in einem <hi rendition="#fr">mittlern Grade</hi> vorhanden i&#x017F;t, da fin-<lb/>
det die Vor&#x017F;tellungskraft ihr Werk; da kann &#x017F;ie wirken<lb/>
und wirket; und wo <hi rendition="#fr">objektivi&#x017F;che Deutlichkeit</hi> i&#x017F;t,<lb/>
da i&#x017F;t Nahrung fu&#x0364;r das Beziehungsvermo&#x0364;gen, und fu&#x0364;r<lb/>
die Denkkraft.</p><lb/>
            <p>Dieß <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;etz der Vor&#x017F;tellungskraft</hi> wird durch<lb/>
folgende Beobachtungen, außer Zweifel ge&#x017F;etzt.</p><lb/>
            <p>1) Die Ge&#x017F;ichtsvor&#x017F;tellungen &#x017F;ind die Vor&#x017F;tellungen<lb/>
von der er&#x017F;ten Ordnung. Jn ihnen i&#x017F;t die mei&#x017F;te Klar-<lb/>
heit. Sie werden am leicht&#x017F;ten wieder erweckt, und<lb/>
&#x017F;ind die Hu&#x0364;lfsmittel, die u&#x0364;brigen wieder zu erwecken, die<lb/>
man an &#x017F;ie anleget. Jn den Reihen der a&#x017F;&#x017F;ociirten Jdeen<lb/>
&#x017F;ind die Ge&#x017F;ichtsvor&#x017F;tellungen gemeiniglich die Klaves,<lb/>
auf welche die Reproduktionskraft unmittelbar an&#x017F;chla&#x0364;-<lb/>
get, wenn &#x017F;ie ganze Jdeenreihen wiedererwecken will.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[715/0775] der Vorſtellungskraft ⁊c. was auch unmittelbar auf den Sinn wirken, und eine groͤßere und laͤngere anhaltende Thaͤtigkeit deſſelben, ohne andere dazwiſchengekommene Vorſtellungen, herauslo- cken kann, ſo iſt dieſer Reiz in derſelbigen Beſchaffenheit der Jmpreſſion gegruͤndet, durch welche ſie die vorſtel- lende und denkende Kraft in Regung ſetzet. Die gleich- guͤltige Empfindung iſt nicht ganz unwirkſam. Sie heißt nur unwirkſam, in ſo ferne ſie keine Gemuͤthsbe- wegungen und keine Beſtrebungen der Thaͤtigkeitskraft hervorbringet. 5. Gemaͤßigte Staͤrke und Deutlichkeit in den gefuͤhlten Eindruͤcken ſind die Reizung fuͤr die vorſtellende und denkende Kraft. Allzugroße Schwaͤche wirket nichts, und reizet die Seele nicht, we- der zum Denken noch zum Handeln. Große Lebhaftig- keit unterhaͤlt das Gefuͤhl, und ſpannet die thaͤtige Kraft, und hindert dagegen das Vorſtellen und Denken. Aber wo ſie in einem mittlern Grade vorhanden iſt, da fin- det die Vorſtellungskraft ihr Werk; da kann ſie wirken und wirket; und wo objektiviſche Deutlichkeit iſt, da iſt Nahrung fuͤr das Beziehungsvermoͤgen, und fuͤr die Denkkraft. Dieß Geſetz der Vorſtellungskraft wird durch folgende Beobachtungen, außer Zweifel geſetzt. 1) Die Geſichtsvorſtellungen ſind die Vorſtellungen von der erſten Ordnung. Jn ihnen iſt die meiſte Klar- heit. Sie werden am leichtſten wieder erweckt, und ſind die Huͤlfsmittel, die uͤbrigen wieder zu erwecken, die man an ſie anleget. Jn den Reihen der aſſociirten Jdeen ſind die Geſichtsvorſtellungen gemeiniglich die Klaves, auf welche die Reproduktionskraft unmittelbar anſchlaͤ- get, wenn ſie ganze Jdeenreihen wiedererwecken will. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/775
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 1. Leipzig, 1777, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche01_1777/775>, abgerufen am 29.04.2024.