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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIII. Versuch. Ueber das Seelenwesen
der Seele in Verbindung gebracht, und also dem Wil-
len der Seele haben unterworfen werden können. Denn
da bey dem Menschen alle Vorstellungen, und auch die
Vorstellungen von den Handlungen unsers Körpers, aus
Empfindungen entstehen: *) so müssen die Bewegungen
der Arme in dem Kinde, das Stoßen und Schlagen,
worinn sich der Wehrtrieb äußert, eben so wie die Ver-
änderungen der Minen im Gesichte, vorher von selbst
aus bloßem Jnstinkt entstanden seyn, ehe davon eine
Vorstellung gemacht werden, und ehe das Kind nun
nach einer Vorstellung sich dazu bestimmen, das ist, sie
wollen könne. Es giebt keine willkürliche Handlung,
die nicht eine unwillkürliche gewesen ist, oder aus un-
willkürlichen bestehet, so wie es keine Phantasie giebt,
die nicht aus Empfindungsvorstellungen herrührt.

Nun ist dieser Umstand freylich noch nicht entschei-
dend. Denn ohne ein Stahlianer zu seyn, hat man
doch immer die Einwendung für sich, daß es wohl die
Seele seyn könne, welche durch ein instinktartiges Be-
streben, wozu sie in dem Kinde durch die unangenehme
Jmpression der Beleidigung gebracht wird, auf den
Körper wirke, und ihn zu den Bewegungen bestimme,
die die Vertheidigung erfodert. Auf diese Art möchte
hier doch die Reihe über die Seele gehen, und also ein
ursprüngliches Mittelglied, welches den hineingehenden
Eindruck mit der herausgehenden Bewegung verbindet,
in der Seele selbst seyn, das niemals in den Körper
übergetragen werden könnte.

Man wird, wenn man auf mehrere solche Fälle
Acht hat, und auf die ununterbrochene genaue Vereini-
gung der Seele mit ihrem Körper Rücksicht nimmt,
wohl nicht eben geneigt werden zu glauben, daß viele
solcher organischen Reihen zu stande kommen sollten,
ohne daß sie auch zugleich über und durch die Seele eine

Ver-
*) Zehnter Versuch. II.

XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen
der Seele in Verbindung gebracht, und alſo dem Wil-
len der Seele haben unterworfen werden koͤnnen. Denn
da bey dem Menſchen alle Vorſtellungen, und auch die
Vorſtellungen von den Handlungen unſers Koͤrpers, aus
Empfindungen entſtehen: *) ſo muͤſſen die Bewegungen
der Arme in dem Kinde, das Stoßen und Schlagen,
worinn ſich der Wehrtrieb aͤußert, eben ſo wie die Ver-
aͤnderungen der Minen im Geſichte, vorher von ſelbſt
aus bloßem Jnſtinkt entſtanden ſeyn, ehe davon eine
Vorſtellung gemacht werden, und ehe das Kind nun
nach einer Vorſtellung ſich dazu beſtimmen, das iſt, ſie
wollen koͤnne. Es giebt keine willkuͤrliche Handlung,
die nicht eine unwillkuͤrliche geweſen iſt, oder aus un-
willkuͤrlichen beſtehet, ſo wie es keine Phantaſie giebt,
die nicht aus Empfindungsvorſtellungen herruͤhrt.

Nun iſt dieſer Umſtand freylich noch nicht entſchei-
dend. Denn ohne ein Stahlianer zu ſeyn, hat man
doch immer die Einwendung fuͤr ſich, daß es wohl die
Seele ſeyn koͤnne, welche durch ein inſtinktartiges Be-
ſtreben, wozu ſie in dem Kinde durch die unangenehme
Jmpreſſion der Beleidigung gebracht wird, auf den
Koͤrper wirke, und ihn zu den Bewegungen beſtimme,
die die Vertheidigung erfodert. Auf dieſe Art moͤchte
hier doch die Reihe uͤber die Seele gehen, und alſo ein
urſpruͤngliches Mittelglied, welches den hineingehenden
Eindruck mit der herausgehenden Bewegung verbindet,
in der Seele ſelbſt ſeyn, das niemals in den Koͤrper
uͤbergetragen werden koͤnnte.

Man wird, wenn man auf mehrere ſolche Faͤlle
Acht hat, und auf die ununterbrochene genaue Vereini-
gung der Seele mit ihrem Koͤrper Ruͤckſicht nimmt,
wohl nicht eben geneigt werden zu glauben, daß viele
ſolcher organiſchen Reihen zu ſtande kommen ſollten,
ohne daß ſie auch zugleich uͤber und durch die Seele eine

Ver-
*) Zehnter Verſuch. II.
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[330/0360] XIII. Verſuch. Ueber das Seelenweſen der Seele in Verbindung gebracht, und alſo dem Wil- len der Seele haben unterworfen werden koͤnnen. Denn da bey dem Menſchen alle Vorſtellungen, und auch die Vorſtellungen von den Handlungen unſers Koͤrpers, aus Empfindungen entſtehen: *) ſo muͤſſen die Bewegungen der Arme in dem Kinde, das Stoßen und Schlagen, worinn ſich der Wehrtrieb aͤußert, eben ſo wie die Ver- aͤnderungen der Minen im Geſichte, vorher von ſelbſt aus bloßem Jnſtinkt entſtanden ſeyn, ehe davon eine Vorſtellung gemacht werden, und ehe das Kind nun nach einer Vorſtellung ſich dazu beſtimmen, das iſt, ſie wollen koͤnne. Es giebt keine willkuͤrliche Handlung, die nicht eine unwillkuͤrliche geweſen iſt, oder aus un- willkuͤrlichen beſtehet, ſo wie es keine Phantaſie giebt, die nicht aus Empfindungsvorſtellungen herruͤhrt. Nun iſt dieſer Umſtand freylich noch nicht entſchei- dend. Denn ohne ein Stahlianer zu ſeyn, hat man doch immer die Einwendung fuͤr ſich, daß es wohl die Seele ſeyn koͤnne, welche durch ein inſtinktartiges Be- ſtreben, wozu ſie in dem Kinde durch die unangenehme Jmpreſſion der Beleidigung gebracht wird, auf den Koͤrper wirke, und ihn zu den Bewegungen beſtimme, die die Vertheidigung erfodert. Auf dieſe Art moͤchte hier doch die Reihe uͤber die Seele gehen, und alſo ein urſpruͤngliches Mittelglied, welches den hineingehenden Eindruck mit der herausgehenden Bewegung verbindet, in der Seele ſelbſt ſeyn, das niemals in den Koͤrper uͤbergetragen werden koͤnnte. Man wird, wenn man auf mehrere ſolche Faͤlle Acht hat, und auf die ununterbrochene genaue Vereini- gung der Seele mit ihrem Koͤrper Ruͤckſicht nimmt, wohl nicht eben geneigt werden zu glauben, daß viele ſolcher organiſchen Reihen zu ſtande kommen ſollten, ohne daß ſie auch zugleich uͤber und durch die Seele eine Ver- *) Zehnter Verſuch. II.

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/360>, abgerufen am 30.05.2024.