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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
gereizet ist; und diese ihr zu geläufige Richtung macht
es schwer, nach einer andern Seite hin sich zu äußern,
wie doch nothwendig ist, um Geschäffte von einer andern
Gattung zweckmäßig zu betreiben. Die meistenmale
wird man bey sich selbst eine oder die andre dieser Ursa-
chen antreffen, und alsdenn diese dem Scheine nach
entgegenstehenden Erfahrungen in der That zur Bestä-
tigung des Satzes, daß eine jede Uebung einer Seelen-
kraft bey irgend einer Art von Gegenständen eine Stär-
ke in ihr hinterlasse, die sich auch bey andern verschiede-
nen Handlungen beweisen kann, übereinstimmend
finden.

Diese Beobachtungen scheinen mir wenigstens der
obigen Vorstellung, daß der Auwachs unserer Seelen-
vermögen nur in einer Vergrößerung ihres Spielraums,
oder in der Vermehrung und Erweiterung ihrer Jdeen
von den Objekten bestehe, eben so sehr zu widerstreiten,
als die zuerst angeführten solche zu bestätigen scheinen.
Die Frage ist, wenn man beide vergleichet und etwas
genauer auflöset, ob sich nicht ein bestimmter Begriff
von der innern Krafterhöhung daraus abziehen, oder
wenigstens durch sie bestätigen lasse?

3.

Jede Fertigkeit im Denken und Handeln, von de-
nen nämlich, die wir uns durch Uebung erwerben, ent-
hält zweyerley. Zuerst eine gewisse Leichtigkeit, die
Jdeen von den Gegenständen zu erwecken, mit
denen die Kraft sich beschäfftiget. Diese Leichtigkeit
macht, daß die Fertigkeit eine besondere Fertigkeit
in Hinsicht solcher Sachen und Gegenstände ist.
Alsdenn zweytens eine Leichtigkeit die Vorstel-
lung von der Aktion selbst
zu erwecken und zur Em-
pfindung zu machen. Dieß letztere ist das Jnnere
derselben,
und macht eigentlich die Fertigkeit in Hin-

sicht

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
gereizet iſt; und dieſe ihr zu gelaͤufige Richtung macht
es ſchwer, nach einer andern Seite hin ſich zu aͤußern,
wie doch nothwendig iſt, um Geſchaͤffte von einer andern
Gattung zweckmaͤßig zu betreiben. Die meiſtenmale
wird man bey ſich ſelbſt eine oder die andre dieſer Urſa-
chen antreffen, und alsdenn dieſe dem Scheine nach
entgegenſtehenden Erfahrungen in der That zur Beſtaͤ-
tigung des Satzes, daß eine jede Uebung einer Seelen-
kraft bey irgend einer Art von Gegenſtaͤnden eine Staͤr-
ke in ihr hinterlaſſe, die ſich auch bey andern verſchiede-
nen Handlungen beweiſen kann, uͤbereinſtimmend
finden.

Dieſe Beobachtungen ſcheinen mir wenigſtens der
obigen Vorſtellung, daß der Auwachs unſerer Seelen-
vermoͤgen nur in einer Vergroͤßerung ihres Spielraums,
oder in der Vermehrung und Erweiterung ihrer Jdeen
von den Objekten beſtehe, eben ſo ſehr zu widerſtreiten,
als die zuerſt angefuͤhrten ſolche zu beſtaͤtigen ſcheinen.
Die Frage iſt, wenn man beide vergleichet und etwas
genauer aufloͤſet, ob ſich nicht ein beſtimmter Begriff
von der innern Krafterhoͤhung daraus abziehen, oder
wenigſtens durch ſie beſtaͤtigen laſſe?

3.

Jede Fertigkeit im Denken und Handeln, von de-
nen naͤmlich, die wir uns durch Uebung erwerben, ent-
haͤlt zweyerley. Zuerſt eine gewiſſe Leichtigkeit, die
Jdeen von den Gegenſtaͤnden zu erwecken, mit
denen die Kraft ſich beſchaͤfftiget. Dieſe Leichtigkeit
macht, daß die Fertigkeit eine beſondere Fertigkeit
in Hinſicht ſolcher Sachen und Gegenſtaͤnde iſt.
Alsdenn zweytens eine Leichtigkeit die Vorſtel-
lung von der Aktion ſelbſt
zu erwecken und zur Em-
pfindung zu machen. Dieß letztere iſt das Jnnere
derſelben,
und macht eigentlich die Fertigkeit in Hin-

ſicht
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[390/0420] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt gereizet iſt; und dieſe ihr zu gelaͤufige Richtung macht es ſchwer, nach einer andern Seite hin ſich zu aͤußern, wie doch nothwendig iſt, um Geſchaͤffte von einer andern Gattung zweckmaͤßig zu betreiben. Die meiſtenmale wird man bey ſich ſelbſt eine oder die andre dieſer Urſa- chen antreffen, und alsdenn dieſe dem Scheine nach entgegenſtehenden Erfahrungen in der That zur Beſtaͤ- tigung des Satzes, daß eine jede Uebung einer Seelen- kraft bey irgend einer Art von Gegenſtaͤnden eine Staͤr- ke in ihr hinterlaſſe, die ſich auch bey andern verſchiede- nen Handlungen beweiſen kann, uͤbereinſtimmend finden. Dieſe Beobachtungen ſcheinen mir wenigſtens der obigen Vorſtellung, daß der Auwachs unſerer Seelen- vermoͤgen nur in einer Vergroͤßerung ihres Spielraums, oder in der Vermehrung und Erweiterung ihrer Jdeen von den Objekten beſtehe, eben ſo ſehr zu widerſtreiten, als die zuerſt angefuͤhrten ſolche zu beſtaͤtigen ſcheinen. Die Frage iſt, wenn man beide vergleichet und etwas genauer aufloͤſet, ob ſich nicht ein beſtimmter Begriff von der innern Krafterhoͤhung daraus abziehen, oder wenigſtens durch ſie beſtaͤtigen laſſe? 3. Jede Fertigkeit im Denken und Handeln, von de- nen naͤmlich, die wir uns durch Uebung erwerben, ent- haͤlt zweyerley. Zuerſt eine gewiſſe Leichtigkeit, die Jdeen von den Gegenſtaͤnden zu erwecken, mit denen die Kraft ſich beſchaͤfftiget. Dieſe Leichtigkeit macht, daß die Fertigkeit eine beſondere Fertigkeit in Hinſicht ſolcher Sachen und Gegenſtaͤnde iſt. Alsdenn zweytens eine Leichtigkeit die Vorſtel- lung von der Aktion ſelbſt zu erwecken und zur Em- pfindung zu machen. Dieß letztere iſt das Jnnere derſelben, und macht eigentlich die Fertigkeit in Hin- ſicht

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/420>, abgerufen am 29.04.2024.