Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
die Entstehung organisirter Körper zu vermehren, bietet
sich mir diese doch bey der Vergleichung der Beobach-
tungen von selbst so natürlich dar, wie sich jemals eine
andere ihrem Erfinder dargeboten hat. Jch habe es
also der Mühe werth gehalten, sie etwas näher zu be-
leuchten, und von mehrern Seiten zu betrachten. Nach
meinem lebhaften Gefühl von der Schwäche menschli-
cher Kräfte, wenn es darauf ankommt, die Natur zu
entziffern, auch nur so weit, daß uns ihre gröbsten
Buchstaben, nur ihre allgemeinen Aufschriften leserlich
werden, bin ich darauf gefaßt zu erfahren, daß Män-
ner von ausgebreiteter Einsicht entdecken, es sey auch
diese Jdee so einseitig und unvollständig wie alle übri-
gen, wenn nicht ganz ein Jrrthum.

Daß es irgends eine neue Form in einem organisirten
Körper, die selbst Organisation enthält, geben sollte,
welche auf eine andre Art, als durch die Entwickelung
vorhergehender und in neue Verbindungen gebrachter
Formen entstanden sey, ist nach dem, was in dem letz-
tern Absatz davon gesagt worden, unwahrscheinlich. Jch
wiederhole zum Theil die letzten Gedanken. Es entste-
het etwas in den organisirten Körpern durch die bloße
Ausführung gewisser Säfte aus gewissen Gefäßen, in-
dem solche Säfte sich ansetzen und verdicken. Aber was
durch diese bloße Apposition erzeuget wird, kann schwer-
lich für sich etwas Organisirtes seyn. Denn es ist ja
nicht jeder Theil eines organifirten Körpers selbst etwas
Organisirtes. Die Erfahrung zeiget, so viel ich weiß,
kein einziges Beyspiel vor, das dagegen wäre. So fern
selbst in den Auswüchsen organisirter Körper eine Orga-
nisation vorhanden ist, wie bey den Nägeln, und bey
den Schalen, Hörnern und so weiter vorkommen
mag, in so fern findet sich auch, daß sie aus einer Ent-
wickelung vorhandener Theile entstehen. Bis dahin
geht das Wahre in der bonnetischen Hypothese. Da-

gegen

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
die Entſtehung organiſirter Koͤrper zu vermehren, bietet
ſich mir dieſe doch bey der Vergleichung der Beobach-
tungen von ſelbſt ſo natuͤrlich dar, wie ſich jemals eine
andere ihrem Erfinder dargeboten hat. Jch habe es
alſo der Muͤhe werth gehalten, ſie etwas naͤher zu be-
leuchten, und von mehrern Seiten zu betrachten. Nach
meinem lebhaften Gefuͤhl von der Schwaͤche menſchli-
cher Kraͤfte, wenn es darauf ankommt, die Natur zu
entziffern, auch nur ſo weit, daß uns ihre groͤbſten
Buchſtaben, nur ihre allgemeinen Aufſchriften leſerlich
werden, bin ich darauf gefaßt zu erfahren, daß Maͤn-
ner von ausgebreiteter Einſicht entdecken, es ſey auch
dieſe Jdee ſo einſeitig und unvollſtaͤndig wie alle uͤbri-
gen, wenn nicht ganz ein Jrrthum.

Daß es irgends eine neue Form in einem organiſirten
Koͤrper, die ſelbſt Organiſation enthaͤlt, geben ſollte,
welche auf eine andre Art, als durch die Entwickelung
vorhergehender und in neue Verbindungen gebrachter
Formen entſtanden ſey, iſt nach dem, was in dem letz-
tern Abſatz davon geſagt worden, unwahrſcheinlich. Jch
wiederhole zum Theil die letzten Gedanken. Es entſte-
het etwas in den organiſirten Koͤrpern durch die bloße
Ausfuͤhrung gewiſſer Saͤfte aus gewiſſen Gefaͤßen, in-
dem ſolche Saͤfte ſich anſetzen und verdicken. Aber was
durch dieſe bloße Appoſition erzeuget wird, kann ſchwer-
lich fuͤr ſich etwas Organiſirtes ſeyn. Denn es iſt ja
nicht jeder Theil eines organifirten Koͤrpers ſelbſt etwas
Organiſirtes. Die Erfahrung zeiget, ſo viel ich weiß,
kein einziges Beyſpiel vor, das dagegen waͤre. So fern
ſelbſt in den Auswuͤchſen organiſirter Koͤrper eine Orga-
niſation vorhanden iſt, wie bey den Naͤgeln, und bey
den Schalen, Hoͤrnern und ſo weiter vorkommen
mag, in ſo fern findet ſich auch, daß ſie aus einer Ent-
wickelung vorhandener Theile entſtehen. Bis dahin
geht das Wahre in der bonnetiſchen Hypotheſe. Da-

gegen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0544" n="514"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XIV.</hi> Ver&#x017F;. Ueber die Perfektibilita&#x0364;t</hi></fw><lb/>
die Ent&#x017F;tehung organi&#x017F;irter Ko&#x0364;rper zu vermehren, bietet<lb/>
&#x017F;ich mir die&#x017F;e doch bey der Vergleichung der Beobach-<lb/>
tungen von &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o natu&#x0364;rlich dar, wie &#x017F;ich jemals eine<lb/>
andere ihrem Erfinder dargeboten hat. Jch habe es<lb/>
al&#x017F;o der Mu&#x0364;he werth gehalten, &#x017F;ie etwas na&#x0364;her zu be-<lb/>
leuchten, und von mehrern Seiten zu betrachten. Nach<lb/>
meinem lebhaften Gefu&#x0364;hl von der Schwa&#x0364;che men&#x017F;chli-<lb/>
cher Kra&#x0364;fte, wenn es darauf ankommt, die Natur zu<lb/>
entziffern, auch nur &#x017F;o weit, daß uns ihre gro&#x0364;b&#x017F;ten<lb/>
Buch&#x017F;taben, nur ihre allgemeinen Auf&#x017F;chriften le&#x017F;erlich<lb/>
werden, bin ich darauf gefaßt zu erfahren, daß Ma&#x0364;n-<lb/>
ner von ausgebreiteter Ein&#x017F;icht entdecken, es &#x017F;ey auch<lb/>
die&#x017F;e Jdee &#x017F;o ein&#x017F;eitig und unvoll&#x017F;ta&#x0364;ndig wie alle u&#x0364;bri-<lb/>
gen, wenn nicht ganz ein Jrrthum.</p><lb/>
              <p>Daß es irgends eine neue Form in einem organi&#x017F;irten<lb/>
Ko&#x0364;rper, die &#x017F;elb&#x017F;t Organi&#x017F;ation entha&#x0364;lt, geben &#x017F;ollte,<lb/>
welche auf eine andre Art, als durch die Entwickelung<lb/>
vorhergehender und in neue Verbindungen gebrachter<lb/>
Formen ent&#x017F;tanden &#x017F;ey, i&#x017F;t nach dem, was in dem letz-<lb/>
tern Ab&#x017F;atz davon ge&#x017F;agt worden, unwahr&#x017F;cheinlich. Jch<lb/>
wiederhole zum Theil die letzten Gedanken. Es ent&#x017F;te-<lb/>
het etwas in den organi&#x017F;irten Ko&#x0364;rpern durch die bloße<lb/>
Ausfu&#x0364;hrung gewi&#x017F;&#x017F;er Sa&#x0364;fte aus gewi&#x017F;&#x017F;en Gefa&#x0364;ßen, in-<lb/>
dem &#x017F;olche Sa&#x0364;fte &#x017F;ich an&#x017F;etzen und verdicken. Aber was<lb/>
durch die&#x017F;e bloße Appo&#x017F;ition erzeuget wird, kann &#x017F;chwer-<lb/>
lich fu&#x0364;r &#x017F;ich etwas Organi&#x017F;irtes &#x017F;eyn. Denn es i&#x017F;t ja<lb/>
nicht jeder Theil eines organifirten Ko&#x0364;rpers &#x017F;elb&#x017F;t etwas<lb/>
Organi&#x017F;irtes. Die Erfahrung zeiget, &#x017F;o viel ich weiß,<lb/>
kein einziges Bey&#x017F;piel vor, das dagegen wa&#x0364;re. So fern<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in den Auswu&#x0364;ch&#x017F;en organi&#x017F;irter Ko&#x0364;rper eine Orga-<lb/>
ni&#x017F;ation vorhanden i&#x017F;t, wie bey den Na&#x0364;geln, und bey<lb/>
den Schalen, Ho&#x0364;rnern und &#x017F;o weiter vorkommen<lb/>
mag, in &#x017F;o fern findet &#x017F;ich auch, daß &#x017F;ie aus einer Ent-<lb/>
wickelung vorhandener Theile ent&#x017F;tehen. Bis dahin<lb/>
geht das Wahre in der <hi rendition="#fr">bonneti&#x017F;chen</hi> Hypothe&#x017F;e. Da-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gegen</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[514/0544] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt die Entſtehung organiſirter Koͤrper zu vermehren, bietet ſich mir dieſe doch bey der Vergleichung der Beobach- tungen von ſelbſt ſo natuͤrlich dar, wie ſich jemals eine andere ihrem Erfinder dargeboten hat. Jch habe es alſo der Muͤhe werth gehalten, ſie etwas naͤher zu be- leuchten, und von mehrern Seiten zu betrachten. Nach meinem lebhaften Gefuͤhl von der Schwaͤche menſchli- cher Kraͤfte, wenn es darauf ankommt, die Natur zu entziffern, auch nur ſo weit, daß uns ihre groͤbſten Buchſtaben, nur ihre allgemeinen Aufſchriften leſerlich werden, bin ich darauf gefaßt zu erfahren, daß Maͤn- ner von ausgebreiteter Einſicht entdecken, es ſey auch dieſe Jdee ſo einſeitig und unvollſtaͤndig wie alle uͤbri- gen, wenn nicht ganz ein Jrrthum. Daß es irgends eine neue Form in einem organiſirten Koͤrper, die ſelbſt Organiſation enthaͤlt, geben ſollte, welche auf eine andre Art, als durch die Entwickelung vorhergehender und in neue Verbindungen gebrachter Formen entſtanden ſey, iſt nach dem, was in dem letz- tern Abſatz davon geſagt worden, unwahrſcheinlich. Jch wiederhole zum Theil die letzten Gedanken. Es entſte- het etwas in den organiſirten Koͤrpern durch die bloße Ausfuͤhrung gewiſſer Saͤfte aus gewiſſen Gefaͤßen, in- dem ſolche Saͤfte ſich anſetzen und verdicken. Aber was durch dieſe bloße Appoſition erzeuget wird, kann ſchwer- lich fuͤr ſich etwas Organiſirtes ſeyn. Denn es iſt ja nicht jeder Theil eines organifirten Koͤrpers ſelbſt etwas Organiſirtes. Die Erfahrung zeiget, ſo viel ich weiß, kein einziges Beyſpiel vor, das dagegen waͤre. So fern ſelbſt in den Auswuͤchſen organiſirter Koͤrper eine Orga- niſation vorhanden iſt, wie bey den Naͤgeln, und bey den Schalen, Hoͤrnern und ſo weiter vorkommen mag, in ſo fern findet ſich auch, daß ſie aus einer Ent- wickelung vorhandener Theile entſtehen. Bis dahin geht das Wahre in der bonnetiſchen Hypotheſe. Da- gegen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/544
Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/544>, abgerufen am 21.05.2024.