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Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812.

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Die Schaafzucht.
zu einseitig sind. Vermuthlich werden diese Abarten, da ein jeder bei der Aus-
wahl der Böcke sein eigenes Ideal immer mehr zu erreichen strebt, mit der
Zeit immer konstanter und charakteristisch verschiedener werden.

Die Abarten werden sich bei uns wahrscheinlich weit auffallender als in
Spanien selbst bilden, da man die individuelle Begattung bestimmter leitet, als
es dort, wo sie auf den Weiden und auf der Reise vorgehet, geschehen kann.
Die Engländer haben aber gezeigt, welche Gewalt man durch eine solche Auswahl
der Individuen über die Form und Natur aller Thierarten, besonders über die
der Schaafe, habe. Backewell, sagt Lord Sommerwille, schien das Model
eines Schaafes, wie er es sich dachte, schnitzen und es dann lebendig machen
zu können.

So arbeiten einige unserer vorzüglichsten Schaafzüchter auf die Größe des
Körpers hin, weil bei dem größeren Umfange desselben auch der Wollertrag stär-
ker sey. Andere halten eine kleinere Natur vortheilhafter, welche durch Dichtig-
keit der Wolle den größeren Umfang ersetze; und wenn sie auch in der Quantität
der Wolle jenen nachstehe, doch leichter zu nähren sey und deshalb in größerer Zahl
gehalten werden könne. Einige wollen niedrigere Beine, andere höhere, und sie
sind nicht so gleichgültig, wie es manchem scheinen mögte. Bei niedrigern Bei-
nen hält sich das Schaaf ruhiger, und sie haben Vorzüge auf nahen und kon-
zentrirten Weiden. Hohe Beine aber erleichtern ihnen weite Wege nach den Wei-
den und aus diesen in den Hürdenschlag und den Stall. Man hat eine Art, die
sich durch einen dreifachen Wollkragen um den Hals auszeichnet, und auch eine
starke Wamme und behangene Brust zu haben pflegt, die einige vorzüglich schätzen,
andere aber nicht sehr wünschen, weil die sich hier erzeugende Wolle nur zur
dritten Gattung gehöre. Bei einigen gehet der Wollwuchs herab bis auf die
Klauen der Hinter- auch wohl der Vorderbeine, bei andern nur bis auf die Knie.
Manche sehen dieß als eine vorzügliche Eigenschaft an, weil es eine Neigung zum
starken Wollwuchse verrathe; andere tadeln es wegen der Schlechtheit dieser Ab-
fallwolle. Aber alle Schaafzüchter sind einverstanden, daß diese Eigenheiten sich ver-
erben. Genauere Beobachtungen müssen noch ergeben, welchen Bezug sie auf die
Quantität und Qualität der Wolle haben. Die Bildung und Constitution des Kör-
pers zum Fleisch- und Fettansatz ist bei der reinen Merino-Race von uns wenig

berück-

Die Schaafzucht.
zu einſeitig ſind. Vermuthlich werden dieſe Abarten, da ein jeder bei der Aus-
wahl der Boͤcke ſein eigenes Ideal immer mehr zu erreichen ſtrebt, mit der
Zeit immer konſtanter und charakteriſtiſch verſchiedener werden.

Die Abarten werden ſich bei uns wahrſcheinlich weit auffallender als in
Spanien ſelbſt bilden, da man die individuelle Begattung beſtimmter leitet, als
es dort, wo ſie auf den Weiden und auf der Reiſe vorgehet, geſchehen kann.
Die Englaͤnder haben aber gezeigt, welche Gewalt man durch eine ſolche Auswahl
der Individuen uͤber die Form und Natur aller Thierarten, beſonders uͤber die
der Schaafe, habe. Backewell, ſagt Lord Sommerwille, ſchien das Model
eines Schaafes, wie er es ſich dachte, ſchnitzen und es dann lebendig machen
zu koͤnnen.

So arbeiten einige unſerer vorzuͤglichſten Schaafzuͤchter auf die Groͤße des
Koͤrpers hin, weil bei dem groͤßeren Umfange deſſelben auch der Wollertrag ſtaͤr-
ker ſey. Andere halten eine kleinere Natur vortheilhafter, welche durch Dichtig-
keit der Wolle den groͤßeren Umfang erſetze; und wenn ſie auch in der Quantitaͤt
der Wolle jenen nachſtehe, doch leichter zu naͤhren ſey und deshalb in groͤßerer Zahl
gehalten werden koͤnne. Einige wollen niedrigere Beine, andere hoͤhere, und ſie
ſind nicht ſo gleichguͤltig, wie es manchem ſcheinen moͤgte. Bei niedrigern Bei-
nen haͤlt ſich das Schaaf ruhiger, und ſie haben Vorzuͤge auf nahen und kon-
zentrirten Weiden. Hohe Beine aber erleichtern ihnen weite Wege nach den Wei-
den und aus dieſen in den Huͤrdenſchlag und den Stall. Man hat eine Art, die
ſich durch einen dreifachen Wollkragen um den Hals auszeichnet, und auch eine
ſtarke Wamme und behangene Bruſt zu haben pflegt, die einige vorzuͤglich ſchaͤtzen,
andere aber nicht ſehr wuͤnſchen, weil die ſich hier erzeugende Wolle nur zur
dritten Gattung gehoͤre. Bei einigen gehet der Wollwuchs herab bis auf die
Klauen der Hinter- auch wohl der Vorderbeine, bei andern nur bis auf die Knie.
Manche ſehen dieß als eine vorzuͤgliche Eigenſchaft an, weil es eine Neigung zum
ſtarken Wollwuchſe verrathe; andere tadeln es wegen der Schlechtheit dieſer Ab-
fallwolle. Aber alle Schaafzuͤchter ſind einverſtanden, daß dieſe Eigenheiten ſich ver-
erben. Genauere Beobachtungen muͤſſen noch ergeben, welchen Bezug ſie auf die
Quantitaͤt und Qualitaͤt der Wolle haben. Die Bildung und Conſtitution des Koͤr-
pers zum Fleiſch- und Fettanſatz iſt bei der reinen Merino-Raçe von uns wenig

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[400/0424] Die Schaafzucht. zu einſeitig ſind. Vermuthlich werden dieſe Abarten, da ein jeder bei der Aus- wahl der Boͤcke ſein eigenes Ideal immer mehr zu erreichen ſtrebt, mit der Zeit immer konſtanter und charakteriſtiſch verſchiedener werden. Die Abarten werden ſich bei uns wahrſcheinlich weit auffallender als in Spanien ſelbſt bilden, da man die individuelle Begattung beſtimmter leitet, als es dort, wo ſie auf den Weiden und auf der Reiſe vorgehet, geſchehen kann. Die Englaͤnder haben aber gezeigt, welche Gewalt man durch eine ſolche Auswahl der Individuen uͤber die Form und Natur aller Thierarten, beſonders uͤber die der Schaafe, habe. Backewell, ſagt Lord Sommerwille, ſchien das Model eines Schaafes, wie er es ſich dachte, ſchnitzen und es dann lebendig machen zu koͤnnen. So arbeiten einige unſerer vorzuͤglichſten Schaafzuͤchter auf die Groͤße des Koͤrpers hin, weil bei dem groͤßeren Umfange deſſelben auch der Wollertrag ſtaͤr- ker ſey. Andere halten eine kleinere Natur vortheilhafter, welche durch Dichtig- keit der Wolle den groͤßeren Umfang erſetze; und wenn ſie auch in der Quantitaͤt der Wolle jenen nachſtehe, doch leichter zu naͤhren ſey und deshalb in groͤßerer Zahl gehalten werden koͤnne. Einige wollen niedrigere Beine, andere hoͤhere, und ſie ſind nicht ſo gleichguͤltig, wie es manchem ſcheinen moͤgte. Bei niedrigern Bei- nen haͤlt ſich das Schaaf ruhiger, und ſie haben Vorzuͤge auf nahen und kon- zentrirten Weiden. Hohe Beine aber erleichtern ihnen weite Wege nach den Wei- den und aus dieſen in den Huͤrdenſchlag und den Stall. Man hat eine Art, die ſich durch einen dreifachen Wollkragen um den Hals auszeichnet, und auch eine ſtarke Wamme und behangene Bruſt zu haben pflegt, die einige vorzuͤglich ſchaͤtzen, andere aber nicht ſehr wuͤnſchen, weil die ſich hier erzeugende Wolle nur zur dritten Gattung gehoͤre. Bei einigen gehet der Wollwuchs herab bis auf die Klauen der Hinter- auch wohl der Vorderbeine, bei andern nur bis auf die Knie. Manche ſehen dieß als eine vorzuͤgliche Eigenſchaft an, weil es eine Neigung zum ſtarken Wollwuchſe verrathe; andere tadeln es wegen der Schlechtheit dieſer Ab- fallwolle. Aber alle Schaafzuͤchter ſind einverſtanden, daß dieſe Eigenheiten ſich ver- erben. Genauere Beobachtungen muͤſſen noch ergeben, welchen Bezug ſie auf die Quantitaͤt und Qualitaͤt der Wolle haben. Die Bildung und Conſtitution des Koͤr- pers zum Fleiſch- und Fettanſatz iſt bei der reinen Merino-Raçe von uns wenig beruͤck-

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Zitationshilfe: Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 4. Berlin, 1812, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thaer_landwirthschaft04_1812/424>, abgerufen am 06.05.2024.