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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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verlachet -- und seine Stunden nach der Na-
tur mißt? Mit allen seinen Calendern wird
er bald sein Mittagsmahl -- bald den Besuch
bey seiner Geliebten und bald den Thor-
schluß versäumen.

Zween würdige Gesellschafter beschlossen den
Einzug in einem alten Schlitten, den ein
unscheinbares Bildniß beschwerte -- Ob es
einen nervigten Vulcan oder einen aufgebläh-
ten Midas vorstellte, war für die Kunstrichter
ein Rätzel. Ein halbgelehrter Patritius, eh-
maliger Hofmeister des Marschalls, am Stan-
de, so wie an Wissenschaft, weder Pferd noch
Esel -- nahm die eine Hälfte des bretternen
Sitzes ein, und auf der andern saß ein grauge-
wordener Hofnarr, der mühsam den ganzen
Weg hindurch auf Einfälle dachte, in Versen
und Prosa, die hohe Gesellschaft zu erlustigen:
aber sein leerer Kopf blieb ohne Erfindung.
Oft weinte der Arme, daß sein Alter ihm das
Ruder aus den Händen wand, das er so lange

glück-
E 4

verlachet — und ſeine Stunden nach der Na-
tur mißt? Mit allen ſeinen Calendern wird
er bald ſein Mittagsmahl — bald den Beſuch
bey ſeiner Geliebten und bald den Thor-
ſchluß verſaͤumen.

Zween wuͤrdige Geſellſchafter beſchloſſen den
Einzug in einem alten Schlitten, den ein
unſcheinbares Bildniß beſchwerte — Ob es
einen nervigten Vulcan oder einen aufgeblaͤh-
ten Midas vorſtellte, war fuͤr die Kunſtrichter
ein Raͤtzel. Ein halbgelehrter Patritius, eh-
maliger Hofmeiſter des Marſchalls, am Stan-
de, ſo wie an Wiſſenſchaft, weder Pferd noch
Eſel — nahm die eine Haͤlfte des bretternen
Sitzes ein, und auf der andern ſaß ein grauge-
wordener Hofnarr, der muͤhſam den ganzen
Weg hindurch auf Einfaͤlle dachte, in Verſen
und Proſa, die hohe Geſellſchaft zu erluſtigen:
aber ſein leerer Kopf blieb ohne Erfindung.
Oft weinte der Arme, daß ſein Alter ihm das
Ruder aus den Haͤnden wand, das er ſo lange

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[71/0075] verlachet — und ſeine Stunden nach der Na- tur mißt? Mit allen ſeinen Calendern wird er bald ſein Mittagsmahl — bald den Beſuch bey ſeiner Geliebten und bald den Thor- ſchluß verſaͤumen. Zween wuͤrdige Geſellſchafter beſchloſſen den Einzug in einem alten Schlitten, den ein unſcheinbares Bildniß beſchwerte — Ob es einen nervigten Vulcan oder einen aufgeblaͤh- ten Midas vorſtellte, war fuͤr die Kunſtrichter ein Raͤtzel. Ein halbgelehrter Patritius, eh- maliger Hofmeiſter des Marſchalls, am Stan- de, ſo wie an Wiſſenſchaft, weder Pferd noch Eſel — nahm die eine Haͤlfte des bretternen Sitzes ein, und auf der andern ſaß ein grauge- wordener Hofnarr, der muͤhſam den ganzen Weg hindurch auf Einfaͤlle dachte, in Verſen und Proſa, die hohe Geſellſchaft zu erluſtigen: aber ſein leerer Kopf blieb ohne Erfindung. Oft weinte der Arme, daß ſein Alter ihm das Ruder aus den Haͤnden wand, das er ſo lange gluͤck- E 4

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/75>, abgerufen am 29.04.2024.