Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

hölzernen Kanzel trotzig gefragt: Ob jemand
wider das Aufgeboth seines Freundes etwas
einzuwenden hätte? Und dreymal hatt' er die
Verleumdung mit diesen mächtigen Worten ge-
bannt: Der schweige nachmals stille! Sein
frommfarbichter Mantel bedeckt' ein wildes
Herz; ohne Neigung war er ein Geistlicher,
und ward selbst in einem Amte mager, das seit
dreyhundert Jahren die Schwindsüchtigen fett
gemacht hatte. Mosheim und Cramern kannt'
er nicht: er sprach aber gern von dem Gene-
ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach.
Seine Bauern, wild wie er selbst, konnt' er
lange nicht durch die Bibel bezähmen -- denn
er verstund sie nicht -- aber es glückte ihm
nach einer neuern Methode. Denn eh' er sei-
nen Rednerstuhl bestieg, besah er sein floren-
tinisches Wetterglas, und rief prophetisch alle
die Veränderungen von seiner Kanzel, die es
ihm ankündigte. Bald wahrsagt' er der un-
gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der

Heu-
E 5

hoͤlzernen Kanzel trotzig gefragt: Ob jemand
wider das Aufgeboth ſeines Freundes etwas
einzuwenden haͤtte? Und dreymal hatt’ er die
Verleumdung mit dieſen maͤchtigen Worten ge-
bannt: Der ſchweige nachmals ſtille! Sein
frommfarbichter Mantel bedeckt’ ein wildes
Herz; ohne Neigung war er ein Geiſtlicher,
und ward ſelbſt in einem Amte mager, das ſeit
dreyhundert Jahren die Schwindſuͤchtigen fett
gemacht hatte. Mosheim und Cramern kannt’
er nicht: er ſprach aber gern von dem Gene-
ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach.
Seine Bauern, wild wie er ſelbſt, konnt’ er
lange nicht durch die Bibel bezaͤhmen — denn
er verſtund ſie nicht — aber es gluͤckte ihm
nach einer neuern Methode. Denn eh’ er ſei-
nen Rednerſtuhl beſtieg, beſah er ſein floren-
tiniſches Wetterglas, und rief prophetiſch alle
die Veraͤnderungen von ſeiner Kanzel, die es
ihm ankuͤndigte. Bald wahrſagt’ er der un-
gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der

Heu-
E 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="73"/>
ho&#x0364;lzernen Kanzel trotzig gefragt: Ob jemand<lb/>
wider das Aufgeboth &#x017F;eines Freundes etwas<lb/>
einzuwenden ha&#x0364;tte? Und dreymal hatt&#x2019; er die<lb/>
Verleumdung mit die&#x017F;en ma&#x0364;chtigen Worten ge-<lb/>
bannt: Der &#x017F;chweige nachmals &#x017F;tille! Sein<lb/>
frommfarbichter Mantel bedeckt&#x2019; ein wildes<lb/>
Herz; ohne Neigung war er ein Gei&#x017F;tlicher,<lb/>
und ward &#x017F;elb&#x017F;t in einem Amte mager, das &#x017F;eit<lb/>
dreyhundert Jahren die Schwind&#x017F;u&#x0364;chtigen fett<lb/>
gemacht hatte. Mosheim und Cramern kannt&#x2019;<lb/>
er nicht: er &#x017F;prach aber gern von dem Gene-<lb/>
ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach.<lb/>
Seine Bauern, wild wie er &#x017F;elb&#x017F;t, konnt&#x2019; er<lb/>
lange nicht durch die Bibel beza&#x0364;hmen &#x2014; denn<lb/>
er ver&#x017F;tund &#x017F;ie nicht &#x2014; aber es glu&#x0364;ckte ihm<lb/>
nach einer neuern Methode. Denn eh&#x2019; er &#x017F;ei-<lb/>
nen Redner&#x017F;tuhl be&#x017F;tieg, be&#x017F;ah er &#x017F;ein floren-<lb/>
tini&#x017F;ches Wetterglas, und rief propheti&#x017F;ch alle<lb/>
die Vera&#x0364;nderungen von &#x017F;einer Kanzel, die es<lb/>
ihm anku&#x0364;ndigte. Bald wahr&#x017F;agt&#x2019; er der un-<lb/>
gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 5</fw><fw place="bottom" type="catch">Heu-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0077] hoͤlzernen Kanzel trotzig gefragt: Ob jemand wider das Aufgeboth ſeines Freundes etwas einzuwenden haͤtte? Und dreymal hatt’ er die Verleumdung mit dieſen maͤchtigen Worten ge- bannt: Der ſchweige nachmals ſtille! Sein frommfarbichter Mantel bedeckt’ ein wildes Herz; ohne Neigung war er ein Geiſtlicher, und ward ſelbſt in einem Amte mager, das ſeit dreyhundert Jahren die Schwindſuͤchtigen fett gemacht hatte. Mosheim und Cramern kannt’ er nicht: er ſprach aber gern von dem Gene- ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach. Seine Bauern, wild wie er ſelbſt, konnt’ er lange nicht durch die Bibel bezaͤhmen — denn er verſtund ſie nicht — aber es gluͤckte ihm nach einer neuern Methode. Denn eh’ er ſei- nen Rednerſtuhl beſtieg, beſah er ſein floren- tiniſches Wetterglas, und rief prophetiſch alle die Veraͤnderungen von ſeiner Kanzel, die es ihm ankuͤndigte. Bald wahrſagt’ er der un- gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der Heu- E 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/77
Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/77>, abgerufen am 29.04.2024.