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Thünen, Johann Heinrich von: Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie. Hamburg, 1826.

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Wir finden also, daß die Mehrzahl der Handelsge-
wächse nicht in der Nähe der Stadt, sondern in dem Kreise
der Viehzucht gebauet wird. Dieser Kreis, der, wenn
er bloß auf Viehzucht beschränkt bliebe, äußerst dünn be-
völkert seyn würde, erhält durch die Branntweinbrennerei
und durch den Anbau der Handelsgewächse, einen gro-
ßen Zuwachs an Erwerbsquellen und an Bevölkerung.
Besonders kann der Flachsbau einer großen Menschenzahl
Beschäftigung und Unterhalt geben. Nach einer hierüber
angestellten Berechnung finde ich, daß eine Tagelöhner-
familie, die im Sommer den Flachs erzielt, im Winter
verspinnt und zu Leinwand verwebt, von 300 #R. guten
Acker mit Flachs ihren Unterhalt beziehen kann, wenn sie
auch für den Acker 25 Thlr. Pacht bezahlt. Durch den
ausgedehnten Flachsbau ist es auch allein erklärlich, wie
in der Provinz Ostflandern, in welcher außer Gent doch
keine bedeutende Stadt liegt, 12000 Menschen auf der
Quadratmeile ihren Unterhalt finden können.

Der vordere Theil des Kreises der Viehzucht bietet
das interessante Schauspiel einer ziemlich gut kultivirten
Gegend, die wenig oder fast gar keine Landrente gibt,
dar. Denn der Preis der hier erzeugten Gewächse kann
nicht so hoch steigen, daß daraus eine irgend beträchtliche
Landrente hervorginge, weil sonst der rückwärts liegende
Theil dieses sehr ausgedehnten Kreises ebenfalls die Kul-
tur dieser Gewächse, die sämmtlich nur geringe Trans-
portkosten erfordern, betreiben und den Preis derselben
tiefer niederdrücken würde. Fast die sämmtlichen Ein-
künfte dieses Landstrichs bestehen also aus Kapitalgewinn
und Arbeitslohn.



Wir haben in §. 5. gesehen, daß auf Boden von 10
Körnern Ertrag, die Produktionskosten für einen Scheffel

Wir finden alſo, daß die Mehrzahl der Handelsge-
waͤchſe nicht in der Naͤhe der Stadt, ſondern in dem Kreiſe
der Viehzucht gebauet wird. Dieſer Kreis, der, wenn
er bloß auf Viehzucht beſchraͤnkt bliebe, aͤußerſt duͤnn be-
voͤlkert ſeyn wuͤrde, erhaͤlt durch die Branntweinbrennerei
und durch den Anbau der Handelsgewaͤchſe, einen gro-
ßen Zuwachs an Erwerbsquellen und an Bevoͤlkerung.
Beſonders kann der Flachsbau einer großen Menſchenzahl
Beſchaͤftigung und Unterhalt geben. Nach einer hieruͤber
angeſtellten Berechnung finde ich, daß eine Tageloͤhner-
familie, die im Sommer den Flachs erzielt, im Winter
verſpinnt und zu Leinwand verwebt, von 300 □R. guten
Acker mit Flachs ihren Unterhalt beziehen kann, wenn ſie
auch fuͤr den Acker 25 Thlr. Pacht bezahlt. Durch den
ausgedehnten Flachsbau iſt es auch allein erklaͤrlich, wie
in der Provinz Oſtflandern, in welcher außer Gent doch
keine bedeutende Stadt liegt, 12000 Menſchen auf der
Quadratmeile ihren Unterhalt finden koͤnnen.

Der vordere Theil des Kreiſes der Viehzucht bietet
das intereſſante Schauſpiel einer ziemlich gut kultivirten
Gegend, die wenig oder faſt gar keine Landrente gibt,
dar. Denn der Preis der hier erzeugten Gewaͤchſe kann
nicht ſo hoch ſteigen, daß daraus eine irgend betraͤchtliche
Landrente hervorginge, weil ſonſt der ruͤckwaͤrts liegende
Theil dieſes ſehr ausgedehnten Kreiſes ebenfalls die Kul-
tur dieſer Gewaͤchſe, die ſaͤmmtlich nur geringe Trans-
portkoſten erfordern, betreiben und den Preis derſelben
tiefer niederdruͤcken wuͤrde. Faſt die ſaͤmmtlichen Ein-
kuͤnfte dieſes Landſtrichs beſtehen alſo aus Kapitalgewinn
und Arbeitslohn.



Wir haben in §. 5. geſehen, daß auf Boden von 10
Koͤrnern Ertrag, die Produktionskoſten fuͤr einen Scheffel

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[238/0252] Wir finden alſo, daß die Mehrzahl der Handelsge- waͤchſe nicht in der Naͤhe der Stadt, ſondern in dem Kreiſe der Viehzucht gebauet wird. Dieſer Kreis, der, wenn er bloß auf Viehzucht beſchraͤnkt bliebe, aͤußerſt duͤnn be- voͤlkert ſeyn wuͤrde, erhaͤlt durch die Branntweinbrennerei und durch den Anbau der Handelsgewaͤchſe, einen gro- ßen Zuwachs an Erwerbsquellen und an Bevoͤlkerung. Beſonders kann der Flachsbau einer großen Menſchenzahl Beſchaͤftigung und Unterhalt geben. Nach einer hieruͤber angeſtellten Berechnung finde ich, daß eine Tageloͤhner- familie, die im Sommer den Flachs erzielt, im Winter verſpinnt und zu Leinwand verwebt, von 300 □R. guten Acker mit Flachs ihren Unterhalt beziehen kann, wenn ſie auch fuͤr den Acker 25 Thlr. Pacht bezahlt. Durch den ausgedehnten Flachsbau iſt es auch allein erklaͤrlich, wie in der Provinz Oſtflandern, in welcher außer Gent doch keine bedeutende Stadt liegt, 12000 Menſchen auf der Quadratmeile ihren Unterhalt finden koͤnnen. Der vordere Theil des Kreiſes der Viehzucht bietet das intereſſante Schauſpiel einer ziemlich gut kultivirten Gegend, die wenig oder faſt gar keine Landrente gibt, dar. Denn der Preis der hier erzeugten Gewaͤchſe kann nicht ſo hoch ſteigen, daß daraus eine irgend betraͤchtliche Landrente hervorginge, weil ſonſt der ruͤckwaͤrts liegende Theil dieſes ſehr ausgedehnten Kreiſes ebenfalls die Kul- tur dieſer Gewaͤchſe, die ſaͤmmtlich nur geringe Trans- portkoſten erfordern, betreiben und den Preis derſelben tiefer niederdruͤcken wuͤrde. Faſt die ſaͤmmtlichen Ein- kuͤnfte dieſes Landſtrichs beſtehen alſo aus Kapitalgewinn und Arbeitslohn. Wir haben in §. 5. geſehen, daß auf Boden von 10 Koͤrnern Ertrag, die Produktionskoſten fuͤr einen Scheffel

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Zitationshilfe: Thünen, Johann Heinrich von: Der isolirte Staat in Beziehung auf Landwirthschaft und Nationalökonomie. Hamburg, 1826, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuenen_staat_1826/252>, abgerufen am 27.04.2024.