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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dort aus altem Chaos alle glänzenden Kräfte aus Betäubung und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! O meine Freunde, so schalten und spotteten auch Diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht empfangen hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt sich und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, und dem aufgehenden Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, das bis dahin stumm in dunkler Nacht gestanden hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen alle die Geisterchen die süßen Wogen und kriechen mit lachenden Augen aus ihren finstern Winkeln hervor; sie dehnen die feinen krystallnen Gliederchen und stürzen sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen, und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln die bunten Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren Tropfen von den Federchen fallen. Sie rennen umher und begegnen einander, und küssen frohes Leben Einer von des Andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird die Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen sie gekränzt und hoch triumphirend den Genius herbei, der kaum mit den dunkeln Augen aus vollen Blumengewinden hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch die Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt die Millionen von Geistern in sich und ergötzt sich an ihren Spielen. Was soll man dann von den gemeinen Seelen sagen, die Einem nachrufen: seht! der Kerl ist besoffen. Was meinst du, redliches Krokodill?

dort aus altem Chaos alle glänzenden Kräfte aus Betäubung und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! O meine Freunde, so schalten und spotteten auch Diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht empfangen hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt sich und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, und dem aufgehenden Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, das bis dahin stumm in dunkler Nacht gestanden hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen alle die Geisterchen die süßen Wogen und kriechen mit lachenden Augen aus ihren finstern Winkeln hervor; sie dehnen die feinen krystallnen Gliederchen und stürzen sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen, und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln die bunten Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren Tropfen von den Federchen fallen. Sie rennen umher und begegnen einander, und küssen frohes Leben Einer von des Andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird die Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen sie gekränzt und hoch triumphirend den Genius herbei, der kaum mit den dunkeln Augen aus vollen Blumengewinden hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch die Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt die Millionen von Geistern in sich und ergötzt sich an ihren Spielen. Was soll man dann von den gemeinen Seelen sagen, die Einem nachrufen: seht! der Kerl ist besoffen. Was meinst du, redliches Krokodill?

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[0108] dort aus altem Chaos alle glänzenden Kräfte aus Betäubung und Schlummer aufzuwecken. Seht, da geht der Säufer! O meine Freunde, so schalten und spotteten auch Diejenigen, die die Eleusinische Weihe nicht empfangen hatten. Mit dieser goldnen und purpurnen Fluth ergießt sich und breitet sich in uns ein Meer von Wohllaut aus, und dem aufgehenden Morgenroth erklingt das alte Memnons-Bild, das bis dahin stumm in dunkler Nacht gestanden hatte. Durch Blut und Gehirn rinnt und eilt frohlockend der holde Ruf: der Frühling ist da! Da fühlen alle die Geisterchen die süßen Wogen und kriechen mit lachenden Augen aus ihren finstern Winkeln hervor; sie dehnen die feinen krystallnen Gliederchen und stürzen sich zum Bade in die Weinfluth, und plätschern und ringen, und steigen schwebend wieder heraus, und schütteln die bunten Geisterschwingen, daß mit Gesäusel die klaren Tropfen von den Federchen fallen. Sie rennen umher und begegnen einander, und küssen frohes Leben Einer von des Andern Lippe. Immer dichter, immer leuchtender wird die Schaar, immer wohllautender ihr Gestammel: da führen sie gekränzt und hoch triumphirend den Genius herbei, der kaum mit den dunkeln Augen aus vollen Blumengewinden hervor schauen kann. Nun fühlt der Mensch die Unendlichkeit, die Unsterblichkeit; er sieht und fühlt die Millionen von Geistern in sich und ergötzt sich an ihren Spielen. Was soll man dann von den gemeinen Seelen sagen, die Einem nachrufen: seht! der Kerl ist besoffen. Was meinst du, redliches Krokodill?

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/108>, abgerufen am 06.05.2024.